TiHo forscht für Reduzierung von Tierversuchen
Am Institut für Lebensmitteltoxikologie und Chemische Analytik der TiHo wurde im August ein von der EU gefördertes Projekt zur Entwicklung von Methoden, mit denen Tierversuche minimiert oder ersetzt werden können, gestartet. Den TiHo-Wissenschaftlern, unter der Leitung von Professor Heinz Nau, werden dafür rund 340 000 Euro zu Verfügung gestellt. Das Programm „ReProTect“, an dem EU-weit 35 Arbeitsgruppen beteiligt sind, wird zunächst für drei Jahre mit insgesamt 13,5 Mio. Euro gefördert. Ziel des Projektes ist es, neue Methoden zur Risikoabschätzung von potentiell toxischen Substanzen in der Umwelt sowie in Lebensmitteln (Lebensmittelinhalts- und Zusatzstoffe, Verunreinigungen, Rückstände) zu entwickeln, die vor allem auf tierversuchsfreie Zellkulturen beruhen.
Zur Überprüfung, ob eine Substanz während der Reproduktion oder auf die Entwicklung der Nachkommen toxisch wirkt, gibt es noch keine gesicherten Ersatzmethoden. Hier setzt das Programm ReProTect an: Es sollen neue Methoden entwickelt werden, die es erlauben, in vitro, also im Reagenzglas die Toxizität von Substanzen auf die Fruchtbarkeit, die Einnistung der befruchteten Eizelle in die Gebärmutter (Implantation), den Austausch über die Plazenta, die embryonale und fetale Entwicklung, sowie die Phase nach der Geburt einschließlich der Stillzeit zu testen.
Mit den bisherigen in vitro Verfahren zur Aufdeckung von reproduktionstoxikologischen Effekten konnten nur Substanzen getestet werden, die direkt wirken. Eine Vielzahl von Substanzen wie z. B. verschiedene Lebensmittelkontaminanten (Nitrosamine, halogenierte Kohlenwasserstoffe, heterozyklische aromatische Amine oder einige Mykotoxine wie Aflatoxin B1) müssen aber erst im Organismus verstoffwechselt werden, bevor sie ihre Toxizität entfalten. Die Aufgabe des Instituts für Lebensmitteltoxikologie der TiHo innerhalb des ReProTect-Programms ist es daher, Systeme wie Leberzellenkulturen zu entwickeln, die es vermögen, Stoffwechselprodukte der Testsubstanzen zu erzeugen, die auf die Zellkulturen einwirken können und mit diesen kompatibel sind. Als Testzellen wird z. B. die D3-Stammzellinie der Maus verwendet oder Reporterzellkulturen, die es erlauben, die Wechselbeziehung der zu testenden Substanzen mit Rezeptoren im Zellkern zu messen. Das Ziel der Arbeiten des Instituts für Lebensmitteltoxikologie innerhalb dieses Programms ist es, die toxische Potenz von Substanzen wie Lebensmittelkontaminanten und -rückständen (z. B. von Tierarzneimitteln und Bioziden), die erst durch die Verstoffwechselung aktiviert werden, mit Ersatzmethoden zu erkennen. Auch soll der pharmazeutischen Industrie eine Möglichkeit an die Hand gegeben werden, in einem sehr frühen Stadium schädliche und insbesondere irreversible Nebenwirkungen bei der Reproduktion zu erkennen, und so die Entwicklung entsprechender toxischer Substanzen gar nicht weiter zu verfolgen.
Nach dem EU-Weißbuch „Strategie für eine zukünftige Chemikalienpolitik“ (2001) sowie der Änderung der Kosmetikrichtlinie (2003) sollen in Zukunft nur noch in vitro Methoden zur Durchführung sicherheitstoxikologischer Prüfungen eingesetzt werden. Bis zum Jahr 2012 sollen 30 000 „Altstoffe“ mit einem jährlichen Produktionsvolumen von 1-10 Tonnen, ausschließlich mit Ersatzmethoden getestet werden (Programm REACH der EU). Diese Altstoffe werden bereits seit Jahren verwendet, wurden aber noch nicht auf ihre Toxizität geprüft. 45 Mio. Tierversuche wären ohne Ersatzmethoden für die Prüfung dieser Menge an Substanzen nötig. Auch dürfen Kosmetika zukünftig nicht mehr mit Tierversuchen getestet werden. Schon heute ist es nicht erlaubt, Toxizitätstests mit Tierversuchen durchzuführen, wenn es bereits verlässliche und zugelassene Ersatzmethoden gibt. Solche in vitro Tests sind derzeit noch sehr rar, und beschränken sich auf die Erkennung der lokalen Toxizität von Substanzen wie Tests zu Hautverätzungen bzw. -irritationen, Photosensibilisierungen oder Augenreizungen.
Diese in ReProTect neu zu entwickelnden Methoden beschränken den gesundheitlichen Verbraucherschutz keinesfalls, sondern stellen ihn trotz Verringerung der Tierversuche durch die Anwendung moderner zell- und molekularbiologischer Methoden sowie genetischer Verfahren auf eine sichere und wissenschaftlich fundierte Basis.
Weltweit werden nach wie vor etwa 100-150 Millionen Wirbeltiere pro Jahr in Tierversuchen eingesetzt. Durch frühe Bemühungen, Tierversuche zu reduzieren bzw. Zell- und Organkulturen einzusetzen, sank die Zahl der Wirbeltiere, die in Deutschland verwendet wurden, von 2,7 Millionen im Jahre 1989 auf 1,6 Millionen im Jahre 1999. In den letzten Jahren stiegen diese Zahlen wieder etwas an. Das ist vor allem auf die Etablierung von neuen genetischen Tiermodellen, die die Untersuchung der Funktion einzelner Gene möglich machen (z. B. Knockout-Mäuse), zurückzuführen.
Für weitere Informationen steht Ihnen gern zur Verfügung:
Prof. Dr. Dr. h.c. Heinz Nau
Institut für Lebenmitteltoxikologie und Chemische Analytik
Tel.: 0511/85676-00, Fax: -80
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