Apfelsinengroße Tausendfüßler entdeckt
Sie sind älter als Dinosaurier und sorgen im Regenwald für nährstoffreiche Böden: so genannte Riesenkugler, eine Art von Tausendfüßlern, die im zusammengerollten Zustand so groß wie eine Apfelsine sind. Fünf bisher völlig unbekannte Arten hat der Bochumer Zoologe Thomas Wesener bei einer Expedition auf Madagaskar entdeckt. Sie sind Teil der einzigartigen Fauna der Tropeninsel und durch die Abholzung der Wälder vom Aussterben bedroht. Wesener hat die Arten in seiner Diplomarbeit am Lehrstuhl für Spezielle Zoologie der RUB bei Prof. Dr. Johann Wolfgang Wägele bestimmt und erforscht sie nun weiter in einer Dissertation.
Ein ursprünglicher, perfekter Organismus
Die Riesenkugler, wissenschaftlich „Sphaerotheriiden“, waren seit über 100 Jahren nicht mehr Gegenstand wissenschaftlicher Untersuchungen – trotz ihrer beeindruckenden Größe. Die Tiere sind sehr ursprünglich gebaut und vermutlich bereits vor den Dinosauriern entstanden. Sie können sich zu einer perfekten Kugel einrollen, die sämtliche Beine, die Bauchseite und den Kopf vollständig in sich birgt – dadurch sind sie für viele Feinde unangreifbar. Als besonderes Kennzeichen besitzen die madagassischen Arten in beiden Geschlechtern Zirporgane, mit denen sie Töne erzeugen, die bei der Paarung eine Rolle spielen. Außerdem zeichnen sie sich einmalig durch eine besondere Farbenpracht und durch Riesenwuchs aus. Während einheimische Kuglerarten maximal die Größe einer Erbse erreichen, sind die größten Arten auf Madagaskar eingekugelt etwa so groß wie eine Orange, was den Tieren ihren Namen einbrachte.
Der Riesenkugler: ökologisch wertvoll
Die Riesenkugler haben eine große ökologische Bedeutung: Die Tiere ernähren sich nach dem heutigen Kenntnisstand ausschließlich von altem Laub und vermoderndem Holz. Daher spielen gerade Riesenkugler in ihren Verbreitungsgebieten eine zentrale, unverzichtbare Rolle bei der Zersetzung von Laub, ähnlich wie in unseren Breiten die Regenwürmer.
Als „Streuabbauer“ zerkleinern sie totes Pflanzenmaterial, so dass Mikroorganismen dieses leichter zersetzen können und die Hauptnährstoffe den Pflanzen wieder zur Verfügung stehen. Zudem durchmischen die Riesenkugler durch Ihre Grabtätigkeiten den Boden und lockern ihn auf. Besonders die Böden in Plantagen sind in Gebieten mit Riesenkuglern deutlich nährstoffreicher als dort, wo diese Tiergruppe nicht mehr auftritt.
Lebensfeindliche Steppenlandschaften drohen
Gefunden hat Thomas Wesener die Riesenkugler im Küstenregenwald Madagaskars. Drei der Arten kamen nur in jeweils einem der verbliebenen Regenwaldgebiete vor, sie sind hier „endemisch“. Ein Großteil der Wälder, die einst fast die gesamte Insel bedeckten, ist bereits verschwunden. Einmal abgeholzt, wird die dünne Humusschicht binnen kürzester Zeit weggeschwemmt und eine lebensfeindliche Steppenlandschaft tritt an ihre Stelle. Die Vernichtung des Restwaldes hätte große Auswirkungen: Die gerade erst entdeckten Arten würden unwiederbringlich aussterben – mit unüberschaubaren Kaskadeneffekten auf das gesamte Ökosystem. Umso bedeutender sind die laufenden Erfassungen und taxonomischen Arbeiten an den Tausendfüßlern. Eine große Anzahl von Tierarten würde in den nächsten Jahren, nicht nur auf Madagaskar, aussterben, ohne dass die Menschheit überhaupt je Kenntnis von ihnen hatte.
Weitere Informationen
Dipl.-Biol. Thomas Wesener, Lehrstuhl für Spezielle Zoologie, Fakultät für Biologie der RUB, Tel. 0234/32-22370, Thomas.Wesener@rub.de
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