Mit Blick aufs Auge
Gießener Zoologe an Science-Publikation beteiligt – Enge Zusammenarbeit mit European Molecular Biological Laboratory (EMBL) in Heidelberg
Die Wahrnehmung des sichtbaren Lichtes ist für die meisten Menschen eine so alltägliche Erfahrung, dass man sich über die Entstehung der dafür erforderlichen Sinnesorgane keine großen Gedanken mehr macht. Das Auge ist nach dem Gehirn vermutlich das komplexeste Organ der mehrzelligen Organismen. Obwohl man die embryonale Entstehung des Wirbeltierauges schon sehr detailliert kennt, herrscht in der Stammesgeschichte der Tiere noch Ungewissheit darüber, wie diese Augen der Wirbeltiere entstanden sind und ob alle zuvor entstandenen Augentypen, wie z.B. die Grubenaugen bei Schnecken, die Komplexaugen bei Insekten oder die Linsenaugen beim Tintenfisch, mit dem Wirbeltierauge homolog sind. Dabei geht es um die Frage, ob alle Augen auf eine gemeinsame Vorläuferstruktur zurückgeführt werden können.
Fotopigmente sind schon bei Einzellern entdeckt und beschrieben worden. Sie bewirken die „Übersetzung“ von Licht in elektrische Signale. In der Evolution der mehrzelligen Organismen haben sich die Augen aus fotorezeptiven Sinneszellen und abschirmenden Pigmentzellen entwickelt. Strukturell unterscheidet man Augen vom rhabdomeren Typ, z.B. bei Insekten, und vom ciliären Typ bei den Wirbeltieren, deren Rezeptoren i.a. als „Stäbchen“ und „Zapfen“ bezeichnet werden. In der soeben in Science (Vol. 306 Nr. 5697) erschienenen Publikation „Ciliary Photoreceptors with Vertebrate-Type Opsins in an Invertebrate Brain“ beschreiben die Autoren, darunter auch der Gießener Zoologe Prof. Dr. Adriaan Dorresteijn, dass in der Entwicklung des marinen Borstenwurmes Platynereis dumerilii neben den drei Augenpaaren vom rhabdomeren Typ sich im Gehirn zusätzlich paarige photorezeptive Felder von ciliären Rezeptoren, ähnlich denen der Wirbeltiere, befinden. Auch die Opsine, Proteinkomponenten der Fotopigmente, dieser ciliären Rezeptoren zeigen in ihrer Molekülstruktur eine sehr starke Verwandtschaft zu den gleichen Molekülen der Wirbeltierrezeptoren. Untersuchungen mit dem Elektronenmikroskop belegen, dass sich das Cilium der Rezeptoren beim Borstenwurm bereits an der Basis in Cytoplasmafäden auffächert, um so die Oberfläche zu vergrößern. Jeder dieser Fäden enthält im Zentrum ein Duplett aus Mikrotubuli, also zwei eng zusammenliegende winzige Röhrchen.
Diese neuen Forschungsergebnisse sind ein starkes Indiz dafür, dass sich die rhabdomeren und die ciliären Fotorezeptoren in den Ur-Bilateria, der Stammgruppe oder den gemeinsamen Vorfahren aller bilateral-symmetrischen Tiere, fast zeitgleich entwickelt haben. In der späteren Evolution haben die Arthropoden oder Gliederfüßler den rhabdomeren Typ, die Wirbeltiere den ciliären Typ dieser Fotorezeptoren geerbt. Deswegen unterscheiden sich die Augen eines Insekts und die eines Menschen auch schon auf den ersten Blick.
Prof. Dr. Adriaan Dorresteijn (Gießen) kooperiert seit vielen Jahren mit Dr. Detlev Arendt und Dr. Jochen Wittbrodt, beide beim European Molecular Biological Laboratory (EMBL) in Heidelberg, innerhalb eines internationalen Forschungskonsortiums der Platynereis-Forschung. Weitere Informationen hierzu im Internet unter http://www.platynereis.de und auf den Homepages der jeweiligen Forscher.
Kontakt:
Prof. Dr. Adriaan Dorresteijn
Institut für Allgemeine und Spezielle Zoologie
Stephanstraße 24
35390 Gießen
Tel.: 0641/99-35620
Fax: 0641/99-35609
Adriaan.Dorresteijn@allzool.bio.uni-giessen.de
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