Spinnenseide gentechnologisch erzeugbar
Dünner wie menschliches Haar, aber reißfester als ein Stahlfaden: Spinnenfäden halten hohen Belastungen Stand. Erstmals kann dieses außergewöhnliche Naturprodukt auf künstlichem Weg hergestellt werden.
Naturmaterialien sind meist widerstandsfähiger als ihre Imitationen – Spinnenseide im Besonderen ist eines der stabilsten Materialien überhaupt. Während die meisten Gliedertiere nur eingeschränkt von der Fähigkeit Gebrauch machen, Seiden zu produzieren, haben sich Spinnen in einer über 300 Millionen Jahre dauernden Evolution zu Seidenspezialisten entwickelt. Die Arbeitsgruppe um Dr. Thomas Scheibel am Lehrstuhl für Biotechnologie (Prof. Johannes Buchner) der Technischen Universität in Garching versucht erfolgreich, von den Tieren zu lernen.
Spinnenseiden bestehen aus langen, über Jahrmillionen optimierten Eiweißketten, die die Spinne zu einem festen Faden verarbeitet. Durch die spezielle molekulare Anordnung wird das Material sehr dehnbar, extrem belastbar und enorm zugfest – und dennoch ist es viel elastischer als zum Beispiel Kevlar. Spinnenseide ist leicht und wasserfest, hat aber dennoch ein hohes Wasseraufnahmevermögen, vergleichbar dem von Wolle. Sie widersteht mikrobiologischen Angriffen und ist doch biologisch abbaubar. Spinnenseiden können stärker als Stahl und elastischer als Gummi sein. Nur so kann das Spinnennetz die Wucht abfangen, mit der etwa ein Käfer aus vollem Flug aufprallt.
Naturseide wird seit Jahrtausenden in traditionellen, landwirtschaftlichen Produktionsverfahren von den Kokons des Schmetterlings gewonnen. Wegen des kannibalischen Verhaltens von Spinnen ist es jedoch nicht möglich, diese Tiere in großem Maßstab zu züchten und Seide zu produzieren. Spinnenseide ist daher ein äußerst wertvoller Naturstoff. Könnte man sie im Labor produzieren, wäre dies der Anfang einer vollkommen neuen Generation umweltverträglicher, energiesparend herzustellender Werkstoffe.
Die Forschungsarbeiten des Teams um Thomas Scheibel — Entwicklung rekombinanter Produktionsverfahren für Spinnenseidenproteine – ist daher ein großer Schritt auf dem Weg zur industriellen Herstellung dieses begehrten Materials. Die Wissenschaftler konnten gleich zwei neue Methoden etablieren, die auf traditionellen, kostengünstigen Fermentationsprozessen basieren. So wurde eine Grundlage geschaffen, Spinnenseidenfäden ?im Reagenzglas“ und für die industrielle Nutzung herzustellen. Eine Methode basiert auf Zelllinien von Schmetterlingen. Mittels Viren schleusten die TUM-Biotechnologen die originalen Gene für Spinnenseiden in Schmetterlingszellen ein, die daraufhin strukturierte Spinnenseide bildeten. So gelang es, naturgetreue Spinnenseidenproteine in ausreichender Menge zu produzieren und erste Fäden zu erzeugen.
Grundlage des zweiten Verfahrens ist ein Bakterienwirtssystem, in dem sich Gene sehr leicht manipulieren lassen. Dieses System erlaubt es, Gene und somit Proteine maßzuschneidern oder auch gezielt neu zu konstruieren, um so Fäden mit definierten Eigenschaften zu generieren. In einem Klonierungssystem werden Fragmente von Seidengenen beliebig zusammengesetzt. So entstehen Proteine, die sich von natürlichen Spinnenseiden ableiten, aber für veränderte Produktanforderungen modifiziert und ?umgebaut“ werden können. Mit diesem Verfahren lässt sich eine Grundlage für Fäden mit definierten Eigenschaften bilden.
Mit Unterstützung des Erfinderbüros der TUM und der Hochschulpatentinitiative Bayern Patent meldeten die TUM-Wissenschaftler ihre beiden Verfahren zum Patent an. Für die wissenschaftlichen Leistungen, die zu diesem Erfolg führten, wurde Thomas Scheibel im September 2004 mit dem 1. Rang des Junior Scientist Awards der Werkstoffwoche 2004 ausgezeichnet. Das etablierte Produktionssystem lässt große Erfolge erwarten – schon mehrere Industrieunternehmen zeigten Interesse an den Seidenfäden made by TUM. So wurde bereits ein Materialübernahmevertrag mit einem international agierenden Chemieunternehmen geschlossen.
Kontakt:
Dr. Thomas Scheibel
Technische Universität München
Lehrstuhl für Biotechnologie
Tel.: (089) 289-13179
E-Mail: Thomas.Scheibel@ch.tum.de
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