Wie Fledermäuse ihre Beute finden

In Europa kommen über 30 Fledermausarten vor. Der Tübinger Zoologe Dr. Björn Siemers hat bei Fledermäusen der Gattung Myotis die unterschiedlichen Jagdstrategien untersucht. In manchen Gebieten leben parallel bis zu sechs Myotis-Arten, die sich als hauptsächliche Insektenfresser Konkurrenz machen. Siemers erklärt, warum die Jagd dicht über dem Wasser besonders erfolgreich ist und hat geprüft, ob Fledermäuse tatsächlich Fische fressen.

Tübinger Zoologe untersucht die Ökologie der Echoortung

Sinne, die der Mensch nicht selbst besitzt, sind schwer zu begreifen. Welche Farben hätte die Welt, wenn wir wie Bienen kurzwelliges, ultraviolettes Licht sehen könnten? Wie würden wir andere Lebewesen wahrnehmen, wenn wir wie Klapperschlangen ein Organ für die Aufspürung von Infrarotstrahlen, für Wärme, hätten? Besonders faszinierend ist die Fähigkeit von Fledermäusen, ihre Umgebung durch Echoortung zu erkunden: Sie stoßen für uns unhörbare Ortungsrufe im Ultraschallbereich aus und können über den zurückkommenden Schall Hindernisse und Beute lokalisieren. Das funktioniert auch in absoluter Dunkelheit, wenn die sprichwörtlichen Nachteulen ihre Jagd längst aufgeben müssen. Doch selbst mit der ausgefallenen Jagdmethode über Echoortung machen sich manchmal in einem Gebiet fünf oder sechs Arten der Gattung Myotis unter den über 30 europäischen Fledermausarten direkte Konkurrenz. Dr. Björn Siemers vom Zoologischen Institut der Universität Tübingen untersucht, wie einzelne Fledermausarten ihre Beute fangen und wie sie sich dabei ökologisch gesehen von der Konkurrenz absetzen.

Die europäischen Fledermäuse ernähren sich hauptsächlich von Insekten und Spinnen. Björn Siemers ging bei seinen Untersuchungen an sechs Arten der Gattung Myotis davon aus, dass die Flattertiere leicht unterschiedliche Strategien bei der Jagd entwickelt haben könnten. „Über die Ökologie der Fledermäuse ist noch überraschend wenig bekannt“, sagt der Zoologe. Er wählte die Fransen- und Wimperfledermaus, die Kleine und die Große Bartfledermaus für seine Versuche aus, die äußerlich recht ähnlich aussehen und ihre Beute häufig dicht an Waldrändern und Büschen suchen. In manchen Gebieten kommen auch Wasser- und Teichfledermaus vor, die er ebenfalls einbezog. Von ihren äußeren Merkmalen wie der Flügelform schienen die untersuchten Arten ähnliche Chancen bei der Jagd zu haben. „Es hängt jedoch nicht nur von der Geschicklichkeit ab, wie gut die Jagderfolge sind, sondern auch von der Fähigkeit, die Beute vor schwierigem Hintergrund überhaupt zu entdecken“, meint Siemers.

Die Sinne müssen dafür hochspezialisiert sein. Wie ein Vogel, der versucht, auf grünen Blättern eine gleichfarbige Raupe auszumachen, haben die Fledermäuse bei der Echoortung das Problem, die Echos ihrer Beute von denen des Hintergrunds, den Störechos, zu unterscheiden. Die Störechos können zum Beispiel vom Boden, von Blättern oder Sträuchern kommen. Besonders schwierig wird es für die Flattertiere, wenn Beuteinsekten dicht über der Vegetation fliegen oder auf dem Boden sitzen. Von anderen Fledermäusen ist bekannt, dass sie auch auf Geräusche der Beute wie Rascheln im Laub oder den Flügelschlag horchen, um ihre Nahrung zu finden. Hufeisennasenfledermäuse nutzen die Echoinformation von flügelschlagenden Insekten, um sie aufzuspüren. Siemers wollte jedoch in seinen Versuchen in einem Flugzelt prüfen, ob die Myotis-Arten in der Lage sind, stille und bewegungslose Beute allein über Echoortung auszumachen. Dazu bot er den Tieren geruchlose Imitate aus Plastik, die die Fledermäuse als Beute betrachteten, vor störendem Hintergrund in totaler Dunkelheit an. Die Echoortung bei der Beutewahrnehmung funktionierte auch dann, als Beute und Störecho nur noch einen Abstand von fünf oder zehn Zentimetern hatten. Offenbar machte es den Fledermäusen nichts aus, wenn sich Echos der Beute und des Hintergrunds teilweise überlappten.

Jedoch war der Fangerfolg der untersuchten Arten unterschiedlich. Wasser- und Teichfledermaus hatten deutlich schlechtere Fangerfolge unter den Laborbedingungen. Tatsächlich jagen sie im Freien auch hauptsächlich über Wasserflächen. Am besten vollführten die Fransenfledermäuse die Experimente. Es lässt sich vermuten, dass sie am dichtesten an der Vegetation jagen. In mehreren Metern Entfernung von Geäst und Blättern jagen die Wimper-Fledermaus und die Große Bartfledermaus. Die Kleine Bartfledermaus hatte deutlich schlechtere Erfolge. Alle diese Arten stoßen kurze, steil frequenzmodulierte Ortungsrufe aus. Hauptunterschied zwischen den Suchrufen der einzelnen Arten war die Bandbreite in der Frequenz: Je größer der Frequenzumfang, desto besser war der Fangerfolg. Möglicherweise spielen andere Faktoren wie etwa der Flugstil auch eine Rolle. Doch vermutet Siemers, dass die Fledermausarten mit ihren verschiedenen Ortungsrufen auch unterschiedliche, enge ökologische Nischen besetzen. „Bei vielen Fledermauspopulationen wissen wir jedoch noch nicht, ob tatsächlich hauptsächlich die Konkurrenz um die Nahrung die Größe der Population begrenzt oder ob zum Beispiel die Situation bei den Parasiten ausschlaggebend für die Einnischung ist“, merkt der Forscher kritisch an. Siemers Untersuchungen sind jedoch nicht nur wissenschaftlich interessant, sondern auch für den praktischen Naturschutz relevant. Die 22 deutschen Fledermausarten finden sich alle auf der Roten Liste der gefährdeten Arten.

Siemers hat auch die Beutewahrnehmung der drei europäischen gewässerbejagenden Arten der Gattung Myotis, die Wasserfledermaus, die Teichfledermaus und die Langfußfledermaus untersucht. Sie jagen niedrig über Wasserflächen und fangen ihre Beute hauptsächlich von oder wenige Zentimeter über Wasserflächen. Dabei bevorzugen die gewässerbejagenden Fledermäuse ruhige Wasserflächen vor unruhigen oder mit Pflanzen bewachsenen Gewässern. Der Zoologe hat festgestellt, dass dies nicht nur an der Menge der Beutetiere, die sich bei oder auf ruhigen Wasserflächen aufhalten, sondern an den unterschiedlichen akustischen Eigenschaften der Wasseroberfläche liegt. Im Labor wurden die Wasserflächen durch glatten Linoleumboden beziehungsweise einen genoppten Untergrund simuliert: „Eine glatte Fläche wirkt wie ein akustischer Spiegel. Wenn die Fledermaus ihren Ortungsruf schräg nach vorn und unten auf die Oberfläche schickt, dann wird das „Wasserecho“ weg von ihr gespiegelt: Einfallswinkel gleich Ausfallswinkel. Es gibt kaum störende Hintergrundechos. Ein Insekt auf oder über der glatten Fläche wirft dagegen ein deutliches Echo zur Fledermaus zurück. Das Echo des Insekts kann vervielfacht werden und ist dann besonders groß. Der Fangerfolg der Fledermäuse ist deshalb auf glatten Flächen besser“, fasst Siemers das Ergebnis zusammen. Die gewässerbejagenden Fledermäuse sind nicht alle nah verwandt. Siemers vermutet, dass der Beutefang über Wasserflächen in der Evolution mehrmals entwickelt wurde – unter dem Selektionsdruck der Konkurrenz durch andere Fledermausarten.

Die einheimischen Fledermäuse – so betonen Zoologen immer wieder – seien keine Vampire und hätten nur Insekten und Spinnen auf dem Speiseplan. Doch schon vor längerer Zeit hatten französische Wissenschaftler eine Wasserfledermaus erwischt, in deren Magen sich Fischschuppen fanden. „Mich hat es nicht gewundert, dass Wasserfledermäuse auch Fische als Beute betrachten könnten. Denn sie haben bei der Jagd ein einfaches Suchbild – einen kleinen Reflektor. Das trifft zum Beispiel auch auf treibende Pflanzensamen zu“, erklärt der Tübinger Forscher. Er fragte sich vor allem, ob die eher kleinen Wasserfledermäuse in der Lage wären, einen Fisch aus dem Wasser zu ziehen. Siemers stellte die Situation nach: „Die Wasserfledermäuse konnten im Labor tatsächlich mit ihren relativ großen Füßen Fische greifen, wenn sie aus der Wasseroberfläche herausschauten, und haben sie auch gleich ver-speist“, berichtet der Zoologe.

Nähere Informationen:

Dr. Björn Siemers
Zoologisches Institut
Auf der Morgenstelle 28
72076 Tübingen
Tel. 0 70 71/2 97 73 93
Fax 0 70 71/29 26 18
E-Mail: bjoern.siemers@uni-tuebingen.de

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Michael Seifert idw

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