Wie DNA entkleidet und HIV geholfen wird

Zwei LMU-Publikationen aus der Strukturforschung

Die Erbinformation DNA muss von bestimmten Proteinen, so genannten Transkriptionsfaktoren, abgelesen werden, damit ihre Gene in die entsprechenden Genprodukte umgesetzt werden. Im Zellkern höherer Organismen liegt die DNA aber dicht gepackt und mit verschiedenen Proteinen assoziiert vor. Es war lange fraglich, wie die Transkriptionsfaktoren unter diesen Umständen an das Erbmolekül binden können. Vermutet wurde, dass ein Multi-proteinkomplex mit der Untereinheit SWI2/SNF2 als Motor die DNA besser zugänglich und damit den Transkriptionsfaktoren die Bindung erleichtern kann. Das Team um Professor Karl-Peter Hopfner vom Genzentrum der Ludwig-Maximilians-Universität (LMU) München konnte dies jetzt mit Hilfe der Kristallstruktur des SWI2/SNF2-Faktors bestätigen und auch zeigen, wie sich das Protein entlang der DNA bewegt. Erstmals konnte damit ein unspezifisch bindendes Enzym zusammen mit doppelsträngiger DNA kristallisiert werden, wie die Forscher in der online-Ausgabe des Fachmagazins Cell zeigen. Eine weitere Studie veröffentlichte Hopfner zusammen mit Professor Ralf-Peter Jansen, ebenfalls vom Genzentrum der LMU. Mit Hilfe ihrer Teams gelang den Forschern die Kristallisierung des RNAse-L-Inhibitors. „Dieses Protein ist unter anderem interessant, weil es im Menschen die Hülle und das Erbmaterial des HI-Virus zusammenfügt“ so Hopfner.

Das Erbmolekül DNA wird oft in seiner strukturell genau definierten Form als Chromosomen dargestellt. Tatsächlich liegt das fadenförmige Molekül aber nur vor und während der Zellteilung in dieser Gestalt vor. Meist füllt die DNA den Zellkern als Chromatin, eine amorphe Masse, in der das Erbmolekül dennoch hoch strukturiert und eng mit verschiedenen Proteinen assoziiert vorliegt. So wickelt sich das fadenförmige Erbmolekül um so genannte Histonproteine und bildet mit diesen größere Untereinheiten, die Nukleosomen. Lange war unklar, wie die Transkriptionsfaktoren, die die Abschrift der Gene vornehmen, an die DNA binden können. Dann konnte gezeigt werden, dass bestimmte Proteinfaktoren, unter anderem SWI2/SNF2, den Zugang zum Erbmolekül erleichtern können.

„SWI2/SNF2 ist ein Typ von Enzym, das in mehreren Multiproteinkomplexen vorkommt“, berichtet Hopfner. „Es gehört zu einer evolutionären Familie von molekularen Maschinen, die unter Energieverbrauch Komplexe von DNA und Proteinen lösen können. Dies dient meist dazu, die DNA für zelluläre Prozesse wie die Transkription, Replikation, also Verdopplung des Erbmaterials, und die Reparatur von DNA zugänglich zu machen.“ Die molekularen Maschinen mit der „Motordomäne“ SWI2/SNF2 können die Chromatinstruktur verändern, indem sie Nukleosomen verschieben oder Histone austauschen. Sie sind aber auch an anderen Strukturveränderungen des Erbmoleküls und seiner assoziierten Proteine beteiligt. Sie können beispielsweise auf der DNA festsitzende Proteine wieder entfernen.

Es war bereits bekannt, dass SWI2/SNF2 die Interaktion von DNA und Histonen stören kann. Ebenfalls gezeigt wurde, dass nach einer derartigen Destabilisierung die Bindung von Transkriptionsfaktoren an die DNA zunimmt. Der zugrunde liegende Mechanismus war lange allerdings nur schlecht verstanden. Hopfners Team gelangen jetzt erste Einblicke in diesen Vorgang, wie online in Cell berichtet. Die Publikation wird später auch in der Print-Ausgabe erscheinen. Den Wissenschaftlern gelang dabei die Bestimmung der Kristallstruktur der katalytischen Domäne, des eigentlich enzymatisch aktiven Zentrums also – zusammen mit und auch ohne DNA. „Unsere Strukturen zeigen, dass die SWI2/SNF2-Enzyme molekulare Motoren sind, die unter Energieverbrauch an der so genannten kleinen Furche, also einer Seite der DNA, entlanglaufen“, so Hopfner. „Diese Aktivität erzeugt vermutlich ein „Drehmoment“, das die DNA und mit ihr assoziierte Proteine trennt. Am besten ist das so zu erklären, dass der DNA-Protein-Komplex an einer Stelle festgehalten wird, während die DNA an anderer Stelle gedreht und geschoben wird.“

Die Arbeit Hopfners und seines Teams ist der erste Erfolg des erst in diesem Jahr angelaufenen Sonderforschungsbereiches 646 „Netzwerke in Expression und Erhalt des Genoms“ am Genzentrum der LMU. „Uns ist es zum ersten Mal gelungen, die Kristallstruktur eines Motorproteins im Komplex mit unspezifischer DNA zu bestimmen“, berichtet Harald Dürr, der Erstautor der Studie. „Der SWI2/SNF2-Faktor bindet ja unabhängig von Struktur und Sequenz der DNA.“ Das aber erschwert die Kristallisation, weil keine einheitlichen, quasi identischen Komplexe gebildet werden können. „Unsere Ergebnisse sind also nicht nur ein inhaltlicher, sondern auch methodischer Durchbruch“, meint Hopfner. „Sie sind wichtig in Hinsicht auf andere strukturbiologische Fragestellungen.“ Aber auch für die Bestimmung der Struktur und Funktion anderer Enzyme, die DNA und Chromatin verändern, sind die Resultate von Bedeutung. „Diese verschiedenen Proteinfaktoren sind zwar unterschiedlich aufgebaut“, so Hopfner. „Die eigentliche Motordomäne ist aber immer sehr ähnlich.“

Letztlich von ganz entscheidender Bedeutung könnte Hopfners Arbeit aber aus medizinischer Sicht sein. So gibt es mehrere Erkrankungen, die auf Defekten im SWI2/SNF2-Enzym beruhen. Ein Beispiel ist das Cockayne-Syndrom, das zu fortschreitender Neurodegeneration, Kleinwüchsigkeit, Lichtsensitivität und Entwicklungsstörungen führt. „Unsere Kristallstruktur zeigt, dass sich die Mutationen bei diesen Leiden auf die Oberflächenbereiche der energieumsetzenden Domäne des Enzyms auswirken“, so Hopfner. „Vermutlich wird so die Funktion wichtiger Protein-Protein-Interaktionen zerstört.“

Die Arbeit an SWI2/SNF2 ist für Hopfner und seine Mitarbeiter erst der Anfang für weiterführende Experimente. „Unbekannt ist etwa, wie die durch den Energieumsatz verursachten strukturellen Veränderungen aussehen, die letztlich den Motor antreiben“, so Hopfner. „Zudem werden wir untersuchen, wie der Motor und die Protein-bindenen Domänen gekoppelt sind. Unser Langzeitziel aber ist die Aufklärung des strukturellen Mechanismus eines Multidomänenfaktors, der DNA und Chromatin verändert.“ Derartige Enzyme spielen unter anderem bei der Reparatur von Brüchen im DNA-Doppelstrang eine wichtige Rolle. Entscheidend ist dies auch bei der Bildung von Blutzellen. Defekte bei diesem Vorgang können zu Krebsarten wie Leukämie und Lymphom führen.

Auch bei der zweiten, im Fachmagazin Structure erschienenen Publikation geht es um die Entschlüsselung einer Enzymstruktur. „Der RNAse-L-Inhibitor, kurz RLI, ist ein für das Überleben der Zelle wichtiger und in der Evolution hoch konservierter Faktor“, berichtet Hopfner. Dieses Schlüsselenzym ist unter anderem an der Bildung von Ribosomen, den Protein-synthetisierenden Einheiten höherer Zellen, beteiligt. Zudem ermöglicht der Proteinfaktor die Zusammenführung der an der Proteinsynthese beteiligten Einheiten zu Beginn des Prozesses. Dazu gehören Proteine, aber auch RNA, ein der DNA verwandtes Molekül. Die postulierte Fähigkeit von RLI, RNA und Protein zusammenzubringen, macht sich auch ein gefährliches Virus zunutze. Die genetische Information von HIV ist in Form von RNA gespeichert. In den befallenen Zellen eines infizierten Menschen müssen die neu synthetisierten RNA-Moleküle mit den ebenfalls neu gebildeten Hüllproteinen des Virus zusammenkommen. Diese Aufgabe übernimmt nach gegenwärtigen Hinweisen RLI.

RLI gehört zu einer Gruppe von Enzymen, deren struktureller Mechanismus von hoher biomedizinischer Relevanz ist. Eine ganze Reihe derartiger Enzyme ist assoziiert mit Erkrankungen beim Menschen, unter anderem während der Entwicklung von Resistenzen gegen Krebsmedikamente. Die von Hopfners und Jansens Mitarbeitern entschlüsselte Struktur von RLI zeigt Ähnlichkeiten, aber auch Unterschiede zu den bereits bekannten Bereichen verwandter Enzyme. Die Forscher konnten zudem eine weitreichende Strukturänderung von RLI in Folge des Energieumsatzes postulieren, der möglicherweise hilft, HIV-Hüllen zusammenzubauen.

„Wir werden jetzt testen, ob die Energie-abhängige Strukturänderung von RLI eine direkte Rolle bei der Veränderung von RNA-Protein-Komplexen spielt“, so Annette Karcher, die Erstautorin der Studie. „Im Prinzip könnte der Energieumsatz direkt verbunden sein mit der Zusammenführung, Trennung oder Strukturänderung von RNA oder RNA-Protein-Komplexen.“ Das würde erklären, warum RLI vergleichsweise unspezifisch an der Bildung verschiedener RNA-Protein-Komplexe beteiligt sein kann. „Wir werden in Zukunft auch nach Interaktionspartnern von RLI suchen“, berichtet Ralf-Peter Jansen. „Schließlich ist das Enzym ein interessantes Zielenzym für die Entwicklung von HIV-Therapeutika. Anders als virale Proteine, kann ein zelluläres Enzym nicht durch Mutationen verändert werden. Es können also keine Resistenzen entstehen, was ja ein Hauptproblem bei HIV-Therapien ist.“ (suwe)

Ansprechpartner:

Prof. Dr. Karl-Peter Hopfner
Genzentrum der LMU
Tel: 089/2180-76953
Fax: 089/2180 76999
E-Mail: hopfner@lmb.uni-muenchen.de

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