Evolution der circadianen Rhythmen – Innere Uhr stellt sich auch mit Fehler im Getriebe
Nahezu alle Lebensfunktionen von Organismen werden von der inneren oder circadianen Uhr gesteuert und laufen in Zyklen synchron zur Umwelt – etwa dem Tag-Nacht-Wechsel – ab. So genannte Zeitgeber, meist das Tageslicht, lösen die Synchronisation aus: Sie „stellen“ die innere Uhr in einem Entrainment genannten Prozess. Uhren-Gene, wie etwa das Gen frequency beim Schimmelpilz Neurospora crassa, spielen eine zentrale Rolle im System der inneren Uhr. In Zusammenarbeit mit Kollegen am Max-Planck-Institut für Zelluläre Biochemie in Martinsried und der Universität von Groningen, Niederlande, konnte Professor Till Roenneberg vom Zentrum für Chronobiologie der LMU zeigen, dass die innere Uhr von Neurospora auch ohne das intakte Uhren-Gen frequency gestellt werden kann. Wie jetzt in der online Ausgabe des Fachmagazins PNAS berichtet, liefern die Wissenschaftler damit einen wichtigen Beitrag zum Verständnis der Evolution circadianer Programme sowie ein System zur Unterscheidung von Entrainment und anderen Prozessen, die ähnliche Effekte bewirken.
Sehr viele Prozesse im Körper laufen zyklisch ab, etwa die Körpertemperatur oder die Ausschüttung bestimmter Hormone. Beim Menschen verlaufen diese Zyklen meist synchron zum Tag-Nacht-Wechsel. Bei anderen Lebewesen können sich Lebensfunktionen auch nach dem Gezeiten-, Mond- oder Jahresrhythmus richten. Zeitgeber sind dabei äußere Faktoren, die die Synchronisation des inneren und äußeren Rhythmus auslösen. „Beeinflusst wird dadurch aber die innere Uhr“, berichtet Roenneberg. „Nur in seltenen Fällen sind tageszeitlich strukturierte Prozesse direkte Reaktionen auf Licht und Dunkel. Vielmehr wird die innere Uhr programmiert, die selbst durch den komplizierten Mechanismus des so genannten Entrainments mit der Umwelt synchronisiert wurde.“
Die eigenständige Natur der Tagesrhythmik zeigt sich, wenn Organismen unter konstanten Bedingungen ohne äußere Rhythmen gehalten werden. Denn dann schwingt die innere Uhr mit ihrer eigenen Periodik weiter. „Die Länge eines Zyklus ist unterschiedlich, je nach Bedingung und Organismus“, so Roenneberg. „Meist stellt sich aber ein quasi 24-stündiger Rhythmus ein, weshalb die innere Uhr auch circadian, also „ungefähr dem Tag entsprechend“, genannt wird.“
Unter normalen Bedingungen aber werden circadiane Uhren täglich durch Signale der Umwelt, die Zeitgeber, gestellt. Dabei verhalten sie sich wie mechanische Oszillatoren. Je nachdem, wann ein Zeitgeber-Signal den freien Lauf der inneren Uhr unterbricht, reagiert sie mal durch Vorstellen, mal durch Nachstellen oder auch gar nicht. Uhren-Gene erzeugen den inneren Rhythmus, bei dem unter anderem molekulare Rückkopplungsschleifen wichtig sind. Schon lange ist bekannt, dass das Uhren-Gen frequency beim Schimmelpilz Neurospora crassa eine entscheidende Rolle spielt.
Die entscheidende Frage bei vorliegenden Experimenten war, ob Neurospora crassa auch ohne funktionierendes frequency-Gen entrained werden kann. Bekannt war, dass diese so genannten frqNULL-Mutanten Rhythmen im circadianen Bereich zeigen, wenn sie unter konstanten Bedingungen gehalten werden. Damit war auch klar, dass dieser Stamm noch über ein rudimentäres circadianes System verfügt. Jeder Oszillator kann unter den richtigen Bedingungen entrained werden. Fraglich war nur, welcher Zeitgeber bei den Neurospora-Mutanten der richtige war, nachdem Licht offenkundig wegfiel: Ohne frequency-Gen kann der Pilz kein Licht mehr wahrnehmen.
Die Forscher setzten die Neurospora-Mutante unterschiedlichen Temperaturen, zwischen 22 und 27°C, über verschieden lange Zeiträume, von 16 bis 27 Stunden, aus. Die Bildung von Konidien, asexuellen Sporen, wurde als Maß für die innere Uhr genommen. Dabei konnten die Wissenschaftler nachweisen, dass der Pilz auch ohne intaktes frequency-Gen entrained werden kann. Es fanden sich alle typischen Merkmale, die von nicht mutierten Stämmen bekannt sind, mit einem Unterschied allerdings: Der mutierte Schimmelpilz reagierte sogar noch sensitiver auf den Zeitgeber.
Im Gegensatz zu diesen Resultaten war eine vorangegangene, an anderer Stelle durchgeführte Studie zu dem Ergebnis gekommen, dass ohne frequency kein Entrainment bei Neurospora mehr möglich ist – die innere Uhr also nicht mehr gestellt werden kann. Dies wird nun durch die neuen Ergebnisse eindeutig widerlegt. Roenneberg und seine Kollegen fanden aber auch einen möglichen Hinweis auf die Ursache der falschen Resultate: Masking. Entrainment unterscheidet sich von einfachen Reiz-Antwort-Mustern, weil es den zugrunde liegenden Oszillator, die innere Uhr, beeinflusst. Masking dagegen ist ein Vorgang, bei dem der Stimulus einen direkten Effekt auf den Rhythmus, nicht aber die innere Uhr hat. Weil der beobachtbare Effekt ähnlich sein kann, sind Entrainment und Masking oft nur schwer zu unterscheiden.
In einem weiteren Experiment konnten Roenneberg und seine Kollegen einen Masking-Effekt bei ihrer eigenen Studie ausschließen. Sie entdeckten aber, dass Masking durch Luftfeuchtigkeit als Signal möglich ist. Auch dieser Effekt war bei den mutierten Stämmen stärker als bei den normalen. Die Forscher zeigten nun, dass in der vorangegangenen Studie diese Masking-Effekte nicht beachtet, und daher die Ergebnisse falsch interpretiert wurden. Diese Studie hatte einen anderen experimentellen Aufbau genutzt, der eine Veränderung der Luftfeuchtigkeit in der Umgebung der Pilzstämme nicht ausschloss.
In den vorliegenden Experimenten wurde die circadiane biologische Uhr genutzt, um Eigenschaften des Entrainments zu untersuchen. „Wir konnten bestätigen, dass auch in einem mutierten Neurospora-Stamm ohne funktionierendes frequency-Gen Eintrainment stattfinden kann“, so Roenneberg. „Diese Ergebnisse sind wichtig in Hinsicht auf die Evolution der inneren Uhr. Sie bieten aber auch die Möglichkeit, weitere Komponenten von Entrainment und Masking zu unterscheiden und zu analysieren.“
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