Genomprojekt am Archaeon Haloferax volcanii


Die das Extreme lieben
Über ein Genomprojekt am Archaeon Haloferax volcanii

Die traditionelle Einteilung der Lebewesen in Eukaryonten und Prokaryonten ist vor etwa zwei Jahrzehnten zu einer dreigliedrigen Systematik erweitert worden: den Archaea, vordem Archaebakterien genannt, wurde der Status stammesgeschichtlicher Eigenständigkeit attestiert. Unter Prokaryonten werden – fast ausschließlich einzellige – Organismen verstanden, die zwar über Desoxyribonucleinsäure als Genträger verfügen, aber keine Zellstruktur mit Chromosomen und Zellkern ausbilden. Die Bakterien und Blaualgen sind Prokaryonten, während alle anderen Lebewesen zu den Eukaryonten gehören.

Carl Woese und Otto Kandler waren es, die 1977 darauf hinwiesen, daß die Archaea mit Rücksicht auf ihre originale genetische Organisation als eigenständige Lebensform zu gelten haben. Archaea sind extremophil, das heißt sie leben vorwiegend an Orten mit extremen Bedingungen: hohen (Thermophile) und niedrigen Temperaturen (Psychrophile), hohen Salzkonzentrationen (Halophile), hohem Druck (Barophile) sowie in sauren (Acidophile) und basischen Milieus (Alkalophile). Vom Studium der archaealen molekularbiologischen Mechanismen werden wichtige Erkenntnisse in Hinsicht darauf erwartet, welche Strukturen und Eigenschaften die stoffwechseltragenden Enzyme haben müssen, um unter Extrembedingungen funktionsfähig zu bleiben. Darüber hinaus sollen diese Untersuchungen auch Aufschluß darüber geben, inwieweit der Zellkern der Eukaryonten in den Archaea Vorläuferformen hat.

Zu den Zentren, die sich mit diesen Fragestellungen auseinandersetzen, gehört Ulm. Seit längerem werden dazu in der Abteilung Molekulare Botanik (Leiter Prof. Dr. Axel Brennicke) der Universität Ulm Untersuchungen durchgeführt, die künftig von der Volkswagen-Stiftung gefördert werden. PD Dr. Anita Marchfelder erhält hier für den Aufbau einer eigenen Arbeitsgruppe 1,9 Mio. DM.

Bei der Sequenzierung der archaealen Genome hat sich gezeigt, daß sie neben Archaea-typischen auch bakterien- sowie überraschenderweise eukaryontenähnliche Gene enthalten. Das Genom der Archaea ist also ein Mosaik aus drei verschiedenen Elementen. Seine Erforschung kann wegen der deutlichen Verwandtschaft der Archaea zu den komplexeren Lebensformen der Eukaryonten womöglich deren Natur und Evolution besser verstehen helfen. Neben den evolutionären Aspekten verspricht die Forschung an den Archaea aber insbesondere neue Erkenntnisse über deren typische Eigenschaften. Das Leben unter extremen Bedingungen erfordert Enzyme, die entsprechend angepaßt sind. Noch ist unklar, wie die Extremophilen diese Anpassungen bewerkstelligen.

Als Modellorganismus hat Dr. Marchfelder das halophile (salztolerante) Archaeon Haloferax volcanii gewählt, dessen tRNA-prozessierende Enzyme untersucht werden sollen. Über die RNA- und insbesondere die tRNA-Reifung, zentrale lebenswichtige Vorgänge in der Zelle, ist in Archaea sehr wenig bekannt. So weiß man auch nicht, ob diese Prozesse Archaea-typisch ablaufen oder ob sie dem bakteriellen oder eukaryontischen Muster folgen. Die tRNA (Transfer-Ribonukleinsäure) stellt einen Hauptbeteiligten der Proteinbiosynthese dar, ohne die kein Organismus lebensfähig ist. Transfer-RNA wird zur Translation gebraucht. Translation heißt der Vorgang der genetischen Dekodierung: die Messenger-RNA bringt vom genetischen Code der DNS den Bauplan für das jeweilige Eiweiß mit. An ihr lagert sich komplementär die Transfer-RNA an, wodurch die von der tRNA transportierten Aminosäuren in eine für das herzustellende Eiweiß charakteristische Reihenfolge gebracht werden.

Mit den von der Volkswagen-Stiftung geförderten Arbeiten wollen Dr. Marchfelder und ihre Gruppe Aufschluß über diese Prozesse sowie über die charakteristischen Proteinstrukturen in Haloferax volcanii gewinnen, auf die die Salztoleranz zurückzuführen ist. Dazu werden gentechnische Eingriffe in die Bereiche des Genoms von Haloferax volcanii vorgenommen, die für die zur tRNA-Reifung erforderlichen Enzyme codieren. Durch Analysen der Gesamtheit der Proteine, des sogenannten Proteoms, läßt sich dann feststellen, welche Stoffwechselvorgänge von den jeweiligen Mutationen betroffen sind. Aus diesen Erkenntnissen sollen sich künftig Möglichkeiten ergeben, solche Extremtoleranzen auch auf andere Proteine zu übertragen, die für wirtschaftliche oder wissenschaftliche Zwecke über derartige Chrakteristiken verfügen müssen. Ein gängiges Beispiel für wirtschaftliche Anwendungen sind Waschmittelenzyme, die bei 95° C und unter alkalischen Bedingungen (Seife) wirkungsvoll etwa Schokoladenflecken entfernen können.

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Peter Pietschmann

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