Bakterien mit Magnetsinn
An den magnetischen Feldlinien der Erde orientieren sich nicht nur Zugvögel. Auch vermeintlich „einfach“ organisierte Bakterien haben im Lauf der Evolution die Fähigkeit entwickelt, das Magnetfeld für die Suche nach optimalen Lebensbedingungen zu nutzen. Solche „magnetotaktischen“ Mikroorganismen verwenden einen zellulären Mini-Kompass, der aus einer Kette von einzelnen Nano-Magneten, den Magnetosomen, besteht und die gesamte Bakterienzelle wie eine Kompassnadel im magnetischen Feld ausrichtet. Bisher war es ein Rätsel, wie die Einzeller es schaffen, ihre Magnetosomen entgegen ihrer wechselseitigen magnetischen Anziehung in einer stabilen Kette anzuordnen. Mit modernen molekulargenetischen und bildgebenden Verfahren ist es jetzt Forschern des Bremer Max-Planck-Instituts für marine Mikrobiologie und des Max-Planck-Instituts für Biochemie in Martinsried gelungen, das für die Entstehung der Magnetosomenketten verantwortliche Protein zu identifizieren. Sie konnten zeigen, dass dieses Protein die Magnetosomen entlang einer bisher unbekannten Zellskelett-Struktur ausrichtet. Damit gelang erstmals der Nachweis, dass die Magnetosomenkette genetisch exakt reguliert wird. Zudem handelt es sich dabei um eine der komplexesten Strukturen, die bisher in bakteriellen Zellen gefunden wurden – vergleichbar jenen Zellorganellen, die man bisher nur von höheren Organismen kennt (Nature, Advanced Online Publication, 20. November 2005).
Magnetotaktische Bakterien sind im Schlamm von Gewässern weit verbreitet. In ihrem Zellinneren sind so genannte Magnetosomen kettenförmig angeordnet und erlauben dem Bakterium, anhand der irdischen Magnetfeldlinien „oben“ von „unten“ zu unterscheiden und zielsicher jene Wasserschichten anzusteuern, in denen es optimale Wachstumsbedingungen vorfindet. Die Magnetosomen bestehen aus winzigen, nur etwa 50 Nanometer (1 Nanometer = 1 Millionstel Millimeter) großen Kristallen des magnetischen Eisenminerals Magnetit (Fe3O4).
Zur Bildung der Magnetosomen müssen die Zellen nicht nur große Mengen Eisen aus der Umgebung aufnehmen und daraus dieses spezielle Eisenoxid herstellen. Vielmehr müssen die Kristalle auch in genau definierter Anzahl, Form und Größe vorliegen, um als Magnetfeldsensor wirken zu können. Für eine optimale Funktion müssen die Magnetosomenkristalle zudem noch in einer geraden Kette in der Zelle aufgereiht sein, um ihre magnetischen Momente zu summieren. Erst die Kettenstruktur sorgt dann dafür, dass sich die Magnetosomen zusammen wie eine Kompassnadel verhalten, die das Bakterium im relativ schwachen Erdmagnetfeld ausrichtet. Doch wie die Bildung dieser Magnetosomenketten gesteuert wird, war bisher nicht bekannt.
Die Bremer Forschergruppe um Dr. Dirk Schüler vom Max-Planck-Institut für marine Mikrobiologie untersucht seit Jahren die Magnetosomenbildung im Magnetbakterium Magnetospirillum gryphiswaldense, das die Wissenschaftler im Schlamm eines Greifswalder Flüsschens entdeckt hatten. Erst vor kurzem gelang es den Bremern, jene Abschnitte auf der DNA zu identifizieren, die vermutlich die gesamte Erbinformation für die Bildung und Anordnung der Magnetosomenpartikel tragen. In diesem als „Magnetosomen-Insel“ bezeichneten Genomabschnitt liegen mindestens 25-30 verschiedene Magnetosomen-Gene, deren genaue Rolle bisher im Einzelnen noch unbekannt war.
Bei der näheren Untersuchung der Magnetosomeninsel/suche nach ihren Funktionen fiel den Bremer Forschern ein Gen auf, dessen Produkt neben anderen Magnetosomenproteinen ein Bestandteil jener Membranhülle ist, die die Magnetitkristalle umschließt. Dieses MamJ genannte Protein weist einen ungewöhnlich hohen Anteil an sauren Aminosäuren auf, die in sich wiederholenden Motiven, so gennanten „repeats“, angeordnet sind. Wegen seiner entfernten Ähnlichkeit mit Proteinen, die in anderen Biomineralen, wie Knochen, Zähnen, Otolithen oder Muschelschalen, an der Steuerung der Kristallisation beteiligt sind, vermuteten die Wissenschaftler zunächst, dass MamJ für die Bildung der Magnetitkristalle selbst zuständig sei.
Obwohl Magnetospirillum gryphiswaldense nur schwierig im Labor gezüchtet und manipuliert werden kann, gelang es André Scheffel in seiner Doktorarbeit, das entsprechende Gen aus dem Genom zu entfernen. Auf diese Weise wurde eine Bakterienmutante erzeugt, in der das MamJ-Protein fehlt. Zur Überraschung der Bremer Mikrobiologen bildete diese Mutante weiterhin Magnetosomenkristalle, die denen im genetisch unveränderten „Wildtyp“ in Form, Größe und Anzahl glichen. Hingegen war die Funktion des Magnetfeldsensors in der Mutante empfindlich gestört: Die Zellen konnten sich nur noch schwach im Magnetfeld ausrichten. Wie sich im Elektronenmikroskop dann herausstellte, bildeten die Magnetosomenkristalle in der Mutante – im Unterschied zum genetisch nicht veränderten Bakterium – keine perfekt organisierten linearen Ketten mehr, sondern verklumpten zu unregelmäßig angeordneten Haufen (s. Abb. 1).
Durch genetische Markierung des MamJ-Proteins mit dem fluoreszierenden Reporterprotein GFP („green fluorescent protein“) konnten die Wissenschaftler dann das Fusionsprotein in der lebenden Bakterienzelle verfolgen: Wie vermutet fand sich das Protein entlang der Magnetosomenkette. Zusätzlich war jedoch unter dem Mikroskop zu erkennen, dass sich MamJ offenbar entlang einer filamentösen Struktur anordnet, die sich fadenförmig durch die gesamte Zelle zieht. Bei der Suche nach dieser Struktur kam den Wissenschaftlern eine neue elektronenmikroskopische Methode zu Hilfe, die in der Abteilung Molekulare Strukturbiologie am Max-Planck-Institut für Biochemie entwickelt wurde und mit der bereits mehrfach zelluläre Strukturen und Funktionen aufgeklärt werden konnten [1].
Mithilfe der Kryo-Elektronentomographie ist es möglich, Strukturen innerhalb einer intakten Zelle im schockgefrorenen Zustand (bei minus 196 Grad Celsius) mit einer Auflösung von wenigen Nanometern dreidimensional darzustellen und detailliert zu analysieren. In der Martinsrieder Forschungsgruppe von Dr. Jürgen Plitzko untersuchte Manuela Gruska in ihrer Doktorarbeit mit dieser Technik erstmals die magnetischen Bakterienzellen und verglich dabei den Wildtyp mit der MamJ-Mutante. Dabei gelang es ihr, nicht nur die Magnetitkristalle, sondern auch die sie umgebenden Membranvesikel in bisher unerreichter Auflösung sichtbar zu machen.
Doch erstaunlicherweise war in den Wildtyp-Zellen eine bisher unbekannte filamentöse Struktur entlang der Magnetosomenkette zu erkennen, die einem Zellskelett ähnelte, wie es von den Martinsriedern Strukturbiologen bereits in anderen Zellen dreidimensional dargestellt worden ist. Hier also lag der Kern des Rätsels um die Magnetosomenkette: Während die Magnetosomen im Wildtyp entlang dieses Filaments wie Perlen auf einer Kette aufgefädelt scheinen, ordnen sich die leeren Magnetosomen-Vesikel in Zellen, denen das MamJ Protein fehlt, nur ganz verstreut an. Dies erklärt auch, warum die magnetischen Kristalle in der Bakterien-Mutante zusammenklumpen, sobald sie zu einer bestimmten Größe herangewachsen sind.
Die Wissenschaftler vermuten, dass das MamJ-Protein einerseits an die Oberfläche der Magnetosomen und andererseits an das neu entdeckte Filament bindet und dadurch für eine enge Verbindung der Magnetosomenvesikel mit der Zellskelett-Struktur sorgt. Dies ist ein weiterer Hinweis auf die vielfältigen Funktionen, die solche lange nur bei Eukaryonten, also Organismen, deren Zellen einen Kern besitzen, bekannten Zellskelett-Strukturen anscheinend auch in Bakterien haben können.
Dass die Kettenstruktur der bakteriellen Nano-Magnete genetisch genau reguliert wird, könnte auch für das Verständnis der Magnetfeldorientierung in höheren Organismen bedeutsam sein: So weiß man seit einigen Jahren, das einige Tiere – wie wandernde Lachse oder Tauben – in bestimmten Geweben Ketten von Magnetitkristallen bilden, die denen aus Bakterien verblüffend ähneln und möglicherweise durch einen verwandten Mechanismus gebildet werden.
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