Nährstoffe treten den geordneten Rückzug aus dem Blatt an
Tübinger Genetikerin untersucht die Regulierung der Seneszenzprozesse in Pflanzen
Eine einjährige Pflanze braucht ihre Blätter nur für eine Saison. Denn sie bildet Blüten aus, die – im besten Falle – bestäubt werden und Samen erzeugen. Die Samen wachsen unter günstigen Bedingungen wieder zu Pflänzchen aus, die neue Blätter bilden. In den Blättern findet hauptsächlich die Fotosynthese statt, mit der die Pflanze die Energie aus dem Sonnenlicht nutzen kann, um Zucker und andere Stoffe herzustellen. Die einjährige Pflanze Ackerschmalwand zum Beispiel kann ihre Blattrosette aber entbehren, sobald ein Stängel ausgewachsen ist, der die Blüten trägt. Tatsächlich sterben die Blätter zu dieser Zeit ab – Seneszenz heißt dafür der Fachbegriff. Was einfach klingt, ist aber ein komplizierter und bisher grundsätzlich wenig erforschter Vorgang. Denn vor dem Blättersterben sichert sich die Pflanze wertvolle Eiweiße und Mineralstoffe aus den Zellen. Sie werden in den Blüten und Samen gespeichert und der nächsten Pflanzengeneration mit auf den Weg gegeben. Die Genetikerin Dr. Ulrike Zentgraf vom Zentrum für Molekularbiologie der Pflanzen der Universität Tübingen erforscht, wie den Blättern signalisiert wird, dass es Zeit ist für den geordneten Rückzug und was sich während der Seneszenzprozesse in den Zellen abspielt.
Die Blattseneszenz ist ein aktiver, energieaufwendiger Abbauprozess. „Im Vordergrund steht nicht der Zelltod, sondern die Mobilisierung von Stoffen aus den Zellen des absterbenden Pflanzenorgans“, erklärt die Forscherin. Die Seneszenzprozesse könnten auch sehr lange, bis zum eigentlichen Zelltod, rückgängig gemacht werden. Bei Tabakpflanzen könne man die Blattseneszenz verzögern, indem man Blüten oder Schoten entfernt. Entferne man den Stängel und behandle die Pflanzen mit dem Pflanzenhormon Cytokinin, ergrünten die unteren Blätter sogar wieder. „Auch wenn man versucht, nur an einer Stelle in die Abläufe der Seneszenz einzugreifen, erhält man eine Vielzahl von Effekten, die sich dann kaum ordnen lassen“, sagt die Genetikerin. Ulrike Zentgraf hat sich daher entschieden, mit ihren Forschungen an einem möglichst einfachen Pflanzenmodellsystem unter gleich bleibenden Laborbedingungen zu beginnen. Die Wahl fiel – wie fast immer in der Pflanzengenetik – auf die Ackerschmalwand, lateinisch Arabidopsis thaliana. Das Genom dieser Pflanze ist vollständig sequenziert, die Daten sind in Datenbanken gut zugänglich, und es gibt in der Genetik viele molekularbiologische Werkzeuge, mit denen sich die Prozesse in den Zellen untersuchen oder im Experiment lenken lassen. Außerdem hat die Ackerschmalwand im Labor eine kurze Generationszeit von nur zwölf Wochen. Im Alter von sechs bis sieben Wochen zeigen die Arabidopsis-Blätter die ersten Zeichen von Seneszenz. Sie werden hellgrün, später braun und welk, bald ist die ganze Blattrosette betroffen. Doch wann und wie wird der Vorgang eingeläutet?
Als möglicher Auslöser der Seneszenz käme das Absinken der Fotosyntheserate im Blatt unter einen Schwellenwert in Frage – denn sie erreicht im Modellsystem bereits vier bis sechs Tage nach der vollen Entfaltung des Blatts nur noch die Hälfte des Maximums. Doch das Alter des Blatts kann nicht allein bestimmend sein. „In einer bestimmten Phase zeigen ältere Blätter einer relativ jungen Pflanze die gleichen Anzeichen von Seneszenz wie die jüngeren Blätter einer älteren Pflanze“, sagt Ulrike Zentgraf. Wenn man auf der Ebene der Gene näher untersuche, welche in den beiden unterschiedlich alten Blättern aktiv sind, unterschieden sich die so genannten Expressionsmuster stark voneinander. Die Forscherin hat die unterschiedlich stark exprimierten Gene, deren Genprodukte zum Beispiel für den Proteinabbau oder den Transport von Nährstoffen zuständig sind, nach ihren Aktivitätsmustern sortiert. „Es zeigte sich, dass die Aktivität mancher Gene mit dem Alter des Blatts zusammenhängt, bei anderen aber mit dem Alter der ganzen Pflanze“, berichtet sie.
Ein weiteres Fadenende im Knäuel der schwer überschaubaren Seneszenzprozesse bekam die Forscherin mit ihrem Team in die Hand, als sie die Reaktion auf den so genannten oxidativen Stress untersuchte. Unter oxidativem Stress verstehen die Wissenschaftler zerstörerische Sauerstoffradikale, die als unerwünschte Nebenprodukte in allen Organismen entstehen, die Sauerstoff zum Leben benötigen. „Bei diesen Organismen hängt die Lebensdauer stark davon ab, wie gut ihr Stoffwechsel solche Sauerstoffradikale unschädlich machen kann“, erklärt Ulrike Zentgraf. In den Blättern der Ackerschmalwand, so hat sie festgestellt, werden bereits einige Zeit bevor Anzeichen von Seneszenz zu erkennen sind, deutlich weniger Enzyme hergestellt, die Sauerstoffradikale einfangen. „Wir haben vor allem das Auftreten von Wasserstoffperoxid, das Gewebe schwer schädigen kann, in den Blättern des Modellsystems untersucht. Dort gab es in sieben Wochen alten Pflanzen eine auffällige Spitzenkonzentration“, sagt die Forscherin. Möglicherweise sei dies ein Signal zur Einleitung der Seneszenz in den Blättern.
Diese Annahme wird dadurch gestützt, das zum Zeitpunkt der Wasserstoffperoxidspitze der Stängel der Ackerschmalwand auswächst. Außerdem ließ sich feststellen, dass eine ganze Reihe von Genen, die während der Seneszenzprozesse angeschaltet werden, durch steigenden oxidativen Stress induziert werden. Sie enthalten Informationen für Abbau- und Transportenzyme sowie mehr als 40 verschiedene Transkriptionsfaktoren, die die Genexpression regeln. „Wir haben einen Transkriptionsfaktor namens WRKY 53 identifiziert, der in der komplizierten Regelungskaskade der Seneszenz weit oben stehen muss“, sagt die Forscherin. „In der sechsten bis siebten Woche des Pflanzensystems steigt die Produktion von WRKY 53 in allen Blättern der Rosette. Es ist, als würde hier der Regelungsschalter vom Blattalter zum Pflanzenalter umgelegt.“ WRKY 53, so haben die Genetiker weiter festgestellt, hat als Aktionspartner ein weiteres Protein. „Im lebenden Gewebe haben wir dieses Protein mit Hilfe eines Fluoreszenzmarkers sowohl außerhalb des Zellkerns als auch darin gefunden“, berichtet Zentgraf. Bei gentechnisch veränderten Ackerschmalwand-Pflanzen, die kein WRKY53 produzieren können, erscheint es nicht mehr im Zellkern. „Es kommt dort also nur mit Hilfe von WRKY 53 hinein. „Wahrscheinlich beeinflusst dieses Protein ein Enzym, das in die Herstellung von Stoffen eingreift, die gegen Krankheitserreger wirken können. „Die Ausprägung der Seneszenz wird durch die Gegenspieler WRKY53 und seinen Interaktionspartner beeinflusst. Die beiden werden wiederum durch das Gegenspielerpaar der Hormone Salicylsäure und Jasmonsäure reguliert. Und wir haben auch festgestellt, dass sich die Produktion von WRKY53 durch Wasserstoffperoxid anwerfen lässt.“ So kompliziert es jetzt schon klingt – das Team von Ulrike Zentgraf hat beim Ordnen der Seneszenzprozesse noch viel Arbeit vor sich.
Zwischen den Prozessen, die sich bei der Seneszenz abspielen und jenen, die auf einen Befall der Pflanze mit Krankheitserregern folgten, gebe es eine starke Überlappung, sagt die Forscherin. „Allerdings wehrt sich die Pflanze gegen einen Pathogenbefall bereits innerhalb weniger Stunden mit dem Tod der infizierten Organe. Die Seneszenz dauert im Arabidopsis-Modellsystem mehrere Tage und kann sich bei anderen Pflanzen über mehrere Wochen hinziehen.“ Als Fernziel ihrer Forschungen kann sich Ulrike Zentgraf vorstellen, dass sich in die Blattalterungsprozesse und die Mobilisierung von Nährstoffen in der Pflanze für landwirtschaftliche Zwecke eingreifen ließe, etwa zur Steigerung der Erträge von Nutzpflanzen. Auch für die Lagerung von Früchten, Gemüse wie etwa Brokkoli, Schnittblumen oder Getreide könnte es interessant sein, die Alterung der Pflanzenorgane hinauszuzögern. (7710 Zeichen)
Nähere Informationen:
PD Dr. Ulrike Zentgraf
Zentrum für Molekularbiologie der Pflanzen – Allgemeine Genetik
Auf der Morgenstelle 28
72076 Tübingen
Tel. 0 70 71/2 97 88 33
E-Mail ulrike.zentgraf@zmbp.uni-tuebingen.de
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