Golden Rice und Gesundheitskosten: Erste umfassende Simulation berücksichtigt medizinische, wirtschaftliche und soziale Faktoren
Wirtschaftlich betrachtet könnte der genveränderte „Goldene Reis“ die kostengünstigste Variante sein, den Vitamin-A-Mangel und seine Folgekrankheiten vor allem in armen Ländern zu bekämpfen. Zu diesem Ergebnis kommt ein neu entwickeltes Simulationsmodell von Agrarökonomen der Universität Hohenheim, das erstmals auch lokale Essgewohnheiten, Gesundheitszustand und die Zugehörigkeit zu armen oder reichen Gesellschaftsschichten berücksichtigt, neue Züchtungen einbezieht und neueste Ergebnisse aus Biomedizin zu Grunde legt. Am Beispiel Indiens berechnen die Forscher, dass sich der Vitamin-A-Mangel um 10 bis 60 Prozent reduzieren ließe – zu Kosten, die weit unter denen konventioneller Gesundheitsmaßnahmen liegen. Ausführliche Ergebnisse werden in der diese Woche erscheinenden Oktoberausgabe des Wissenschaftsmagazins Nature Biotechnology publiziert.
Erstmals haben sich die Forscher in ihren Hochrechnungen nicht auf Durchschnittswerte beschränkt, sondern ein Modell entwickelt, das Ernährungsunterschiede zwischen verschiedenen Bevölkerungsgruppen ebenso berücksichtigt, wie bisher unveröffentlichte Erkenntnisse der Ernährungsmedizin. Die umfangreichen Detailergebnisse haben Dr. Alexander Stein und Prof. Dr. Matin Qaim vom Lehrstuhl für Internationalen Agrarhandel und Welternährungswirtschaft der Universität Hohenheim in zwei Szenarien gebündelt. Sie prognostizieren, wie sich der Vitamin-A-Mangel in armen Ländern durch sogenannten „Golden Rice“ reduzieren lässt – und welche Kosten im Vergleich zu konventionellen Maßnahmen dadurch entstehen.
Beim „Golden Rice“ handelt es sich um eine gentechnisch veränderte Reisvariante, die eine Vorstufe von Vitamin A enthält. Vor allem in armen Ländern leiden die Menschen unter Vitamin-A-Mangel, da ihre Nahrung zu wenig dieses Stoffes enthält. Die Folgen sind Blindheit und andere schwerwiegende Augenkrankheiten, erhöhte Kindersterblichkeit und erhöhte Anfälligkeit für Masern. Natürlich kommt der Stoff – das sogenannte Beta-Karotin – zum Beispiel in Karotten vor. Dem „Golden Rice“ verleiht das Beta-Karotin seine namensgebende goldgelbe Färbung.
In ihrem Simulationsmodell greifen die Hohenheimer Forscher viele Kritikpunkte auf, die in der bisherigen Debatte um Nutzen und Kosten der neuen Technologie gemacht wurden. „Bislang wurde vor allem kritisiert, dass der Beta-Karotin-Gehalt im Golden Rice vergleichsweise gering sei und dass eine Wirkungsanalyse auch verschiedene Essgewohnheiten berücksichtigen müsse“, fasst Prof. Matin Qaim zusammen. „Im vergangenen Jahr ist es den Züchtern jedoch gelungen, den Beta-Karotin-Gehalt im Golden Rice noch einmal auf das 20fache zu steigern.“
Auch stellen die Forscher in ihrem Modell gegenüber, dass nicht das gesamte Beta-Karotin in einem Nahrungsmittel tatsächlich vom Menschen aufgenommen und in Vitamin A umgewandelt wird. „Zur sogenannten Bioverfügbarkeit von Golden Rice liegen uns jetzt erst medizinische Ergebnisse vor, die wir noch vor Veröffentlichung in unser Modell integrieren durften“, sagt Agrarökonom Dr. Alexander Stein.
Neuland betraten die beiden Forscher auch durch Verwendung einer repräsentativen Erhebung über die Ernährungsgewohnheiten in 120.000 indischen Haushalten. „Auf diese Weise können wir die Ergebnisse lokal und auf verschiedene Bevölkerungsschichten herunter brechen: So essen manche Regionen traditionell mehr Reis als andere, während ärmere Bevölkerungsschichten generell geringeren Zugang zur Nahrung haben“, sagt Stein. „Außerdem haben wir Kosten und Nutzen bei verschiedenen Bevölkerungsgruppen untersucht – zum Beispiel bei Kleinkindern sowie schwangeren und stillenden Frauen.“
Auch bei der Akzeptanz des neuen Nahrungsmittels gehen Qaim und Stein von verschiedenen Szenarien aus: „Um Golden Rice populär zu machen, ist sicher ein entsprechendes Marketing nötig. Wir haben angenommen, dass bestenfalls die Hälfte des Reiskonsums durch Golden Rice gedeckt wird, im schlechtesten Fall nur zirka 15 Prozent“, urteilt Qaim.
Ein vielversprechendes Ergebnis habe die Hochrechnung laut Dr. Stein trotz aktueller Restunsicherheiten: „Wir gehen davon aus, dass sich der Vitamin-A-Mangel speziell in Indien durch Golden Rice um 10 bis 60 Prozent reduzieren ließe. Die Kindersterblichkeit könnte um bis zu 40.000 Todesfälle pro Jahr gesenkt werden – und das zu Kosten, die bei nur 3 bis 15 Prozent konventioneller Gesundheitsmaßnahmen liegen. Unter optimistischen Annahmen würde es mit Golden Rice nur 54 Dollar kosten, ein Leben zu retten, und selbst unter pessimistischen Annahmen lägen die Kosten bei nur 358 Dollar.“
Ein Allheilmittel gegen Mangelernährung möchten die Agrarökonomen im genveränderten „Golden Rice“ dennoch nicht sehen. „Im medizinischen Bereich sind noch weitere Versuche auf größerer Basis nötig, um mehr über die Bioverfügbarkeit zu lernen. Auch besteht noch Forschungsbedarf, die fremden Gene in lokal angepasste Sorten einzuschleusen. Ganz abgesehen davon, dass die üblichen Risiko- und Sicherheitsstudien noch ausstehen“, sagt Prof. Qaim. Dr. Stein fügt hinzu: „Natürlich sind für die Bekämpfung von Vitamin-A-Mangel auch andere Maßnahmen erforderlich, aber Golden Rice verspricht, eine sozioökonomisch sinnvolle Ergänzung zu sein.“
Kontaktadresse (nicht zur Veröffentlichung):
Prof. Dr. Matin Qaim, Universität Hohenheim, Fachgebiet Internationaler Agrarhandel und Welternährungswirtschaft
Tel.: 0711 459-22784, E-Mail: qaim@uni-hohenheim.de
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