Taube Mäuse helfen der Schwerhörigkeits-Forschung
Die molekularen Ursachen für eine bestimmte Form der vererbten, angeborenen Schwerhörigkeit beim Menschen beschreiben Göttinger und Pariser Forscher in der aktuellen Ausgabe der renommierten Fachzeitschrift 'Cell' vom 20. Oktober 2006.
Der Ausfall eines einzigen Genes, das für das Eiweiß 'Otoferlin' kodiert, führt demnach zu einem Totalausfall bei der Signalübertragung von den inneren Haarzellen im Innenohr zum Hörnerv. Das Team von Prof. Dr. Christine Petit, Direktorin der INSERM Unit 587 am Institut Pasteur in Paris, hat gemeinsam mit Dr. Regis Nouvian und Prof. Dr. Tobias Moser, Abt. Hals-, Nasen-, Ohrenheilkunde (Direktor: Prof. Dr. Wolfgang Steiner) am Bereich Humanmedizin der Universität Göttingen, den Otoferlin-Defekt in ähnlicher Form in der Maus nachgestellt und untersucht. Die Göttinger Forscher konnten den Hörschaden genau dort lokalisieren, wo die Schall-Information aus der Luftbewegung in das elektrische Signal der Nervenzellen übersetzt wird: an den Synapsen der inneren Haarzellen. Der Schallempfang im Ohr war bei den Mäusen zwar intakt, aber es wurde kein Signal an das Gehirn weitergeleitet. „Der Otoferlin-Defekt ist der einzige bisher sicher beim Menschen identifizierte Gendefekt, der über einen Schaden an der Synapse zu Schwerhörigkeit führt“, sagt Tobias Moser: „Die Ergebnisse erweitern auch unser Verständnis für den molekularen Mechanismus der Signalumwandlung im Innenohr.“
Komplett taube Mäuse
Forschern aus dem Team von Prof. Dr. Christine Petit in Paris war es gelungen, die Ursache einer beim Menschen vorkommenden, vererbten Schwerhörigkeit auf einen Fehler in einem bestimmten Abschnitt des Genoms zurückzuführen. Aus weiteren Untersuchungen wurde klar, dass der betroffene Genabschnitt für die Funktion der inneren Haarzellen im Innenohr wichtig sein könnte. Für eine genauere Analyse stellten die Wissenschaftler den Defekt in der Maus nach und erhielten komplett taube Mäuse. In Göttingen untersuchten Dr. Regis Nouvian und Professor Tobias Moser die Mäuse mit zellphysiologischen Methoden und fanden heraus, dass die inneren Haarzellen im Innenohr der Mäuse nicht in der Lage waren, auf einen Hör-Reiz hin Signalmoleküle auszuschütten. Das Otoferlin-Eiweiß ist offenbar essentiell für das Verschmelzen der mit Signalmolekülen gefüllten Bläschen in der Zelle mit der äußeren Zellmembran infolge des synaptischen Kalziumsignals. Weitere Forschungen sollen nun klären, ob Otoferlin als Messfühler für Kalzium-Konzentrationen in der Zelle wirkt.
Taubheit und Genetik
Über 40 Millionen Menschen in Europa leiden unter angeborenen, vererbbaren Hörstörungen. Ein Drittel der Menschen über 65 Jahren entwickelt zudem eine Altersschwerhörigkeit. Seit März 2005 versuchen Forscher und Ärzte aus 25 Teams in zehn europäischen Ländern im Rahmen des Projektes EuroHear, darunter die Arbeitsgruppen von Professor Tobias Moser und von Professorin Christine Petit, die Arbeitsweise des Innenohrs zu entschlüsseln und molekulare Defekte bei vererbten Schwerhörigkeiten zu identifizieren. EuroHear wird von der Europäischen Kommission gefördert und verfolgt das Ziel, Therapien zu entwickeln, die den Prozess der Hörverschlechterung aufhalten oder gar rückgängig machen können.
Prof. Dr. Tobias Moser leitet das InnenOhrLabor der Abteilung für Hals-Nasen-Ohrenheilkunde am Bereich Humanmedizin der Universität Göttingen. Er ist Mitglied im Göttinger Center for Molecular Physiology of the Brain (CMPB), das ebenso wie das Human Frontiers Science Program (HFSP) das Otoferlin-Projekt gefördert hat Die Untersuchung der Funktion von Otoferlin wird seit Mitte 2006 in einem Tandemprojekt zwischen der Max Planck Gesellschaft und dem Bereich Humanmedizin weitergeführt. Kooperationspartner des Bereichs Humanmedizin ist das Team um Prof. Dr. Nils Brose, Direktor der Abteilung Experimentelle Neurobiologie am Max Planck Institut für experimentelle Medizin, Göttingen.
Hörstudien in Göttingen
Zwei klinische Studien erforschen in Göttingen Hörstörungen. Die EU-Studie der Abteilung Hals-Nasen-Ohrenheilkunde über die „genetischen Ursachen für altersbedingte Schwerhörigkeit“ untersucht Altersschwerhörigkeit bei Personen ab 60 Jahren. Die „Tinnitus-Studie“, eine Kooperation der Abteilungen Klinische Neurophysiologie und Hals-Nasen-Ohrenheilkunde, untersucht, wie Magnetstimulation die Wahrnehmung von Ohr- und Kopfgeräuschen bei den Betroffenen verändern kann. Altersschwerhörige ab 60 Jahren sowie Tinnitus-Patienten sind willkommen, sich unter den Telefonnummern 0551/39-2846 (für Altersschwerhörigkeit) und 0551/39-12310 (Tinnitus) über die Studien zu informieren und zur Teilnahme anzumelden.
Weitere Informationen:
Universität Göttingen – Bereich Humanmedizin
Abt. Hals-Nasen-Ohrenheilkunde
Prof. Dr. Tobias Moser
Tel. 0551/39-8968
Robert-Koch-Str. 40
E-Mail: tmoser@gwdg.de
37075 Göttingen
Bereich Humanmedizin – Georg-August-Universität Göttingen
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