Wer hat wen gefressen?

Jeder zweite Mensch trägt heute Helicobacter pylori im Magen. Jetzt fanden Forscher, dass die nahe verwandte Spezies Helicobacter acinonychis vor etwa 200 000 Jahren vom Menschen in Großkatzen gelangte - Beispiel für einen erfolgreichen Wirtssprung. Bild: MPI für Infektionsbiologie / Volker Brinkmann

Es kann eine chronische Gastritis auslösen, Magengeschwüre und im schlimmsten Fall sogar Magenkrebs – das Bakterium Helicobacter pylori. Die Hälfte der Weltbevölkerung ist mit diesem Keim infiziert, und offenbar litten auch schon unsere Vorfahren darunter.

In den Mägen von Großkatzen, wie Löwen, Tiger oder Geparden, findet man eine eng verwandte Spezies: Helicobacter acinonychis. Dieses Bakterium könnte möglicherweise auf den Menschen übergesprungen sein – oder war es umgekehrt? Wissenschaftler des Max-Planck-Instituts für Infektionsbiologie in Berlin und von der Pennsylvania State University sind dieser Frage nachgegangen und haben dabei die molekulare Basis für einen solchen Wirtssprung entschlüsselt. Darüber berichtet die neueste Ausgabe der MaxPlanckForschung (3/2006).

Das Bakterium Helicobacter pylori ist seit langem ein – wenn auch unangenehmer – Begleiter des Menschen. Seine Populationsgenetik spiegelt die frühmenschlichen Wanderbewegungen wider und legt den Schluss nahe, dass schon unsere in Afrika lebenden Vorfahren infiziert waren. Eine nah verwandte Spezies von H. pylori besiedelt die Mägen von Großkatzen wie Löwen, Tiger und Geparden: Helicobacter acinonychis. Die Wissenschaftler spekulieren daher, ob H. pylori möglicherweise das Ergebnis eines Wirtssprungs von einer Großkatze auf den Menschen gewesen ist, die in der afrikanischen Savanne aufeinander getroffen sind. Möglicherweise war es aber auch umgekehrt und der Keim ist vom Menschen auf die Großkatze übergesprungen. Fragt sich also: Wer hat wen gefressen?

Um das zu beantworten, haben die Teams um Mark Achtman vom Max-Planck-Institut für Infektionsbiologie in Berlin und Stephan Schuster von der Pennsylvania State University das Genom von H. acinonychis sequenziert und mit dem von H. pylori verglichen. Dabei richteten die Forscher ihr Augenmerk auf jene genomischen Unterschiede, die möglicherweise für einen Wirtssprung eine Rolle spielen. So könnten bestimmte Genprodukte, die nach einem Wirtssprung funktional überflüssig geworden sind, inaktiviert werden oder ganz verloren gehen. Im Zuge eines horizontalen Gentransfers könnte das Bakterium auch neue Gene aufgenommen haben, die den Wirtssprung auslösen oder zumindest erleichtern. In beiden Fällen sollte das Fehlen oder aber das Vorhandensein von bestimmten Genen einzig in der neu evolvierten Art auftreten.

Tatsächlich finden sich im Genom von H. acinonychis eine Reihe inaktivierter Gene – zehnmal mehr als bei H. pylori. Sie sind in erster Linie fragmentiert und haben deshalb ihre eigentliche Funktion verloren. Auch neue Gene, die offenbar durch horizontalen Gentransfer von einem Bakterium zum anderen gelangt sind, haben die Infektionsbiologen entdeckt. Ihre Schlussfolgerung: Der Erreger muss vor etwa 200 000 Jahren vom Menschen in die Großkatze gelangt sein – offenbar war der Frühmensch in Afrika ein gefundenes Fressen. Allerdings muss das Mahl der Großkatze schlecht bekommen sein, da sie sich damit auch das Bakterium einverleibt hat. Und sie wird es so schnell nicht wieder los: H. acinonychis hat sich mittlerweile so gut an seinen Wirt angepasst, dass er sich im Labor kaum noch bei Mäusen kolonisieren lässt und natürlicherweise keinen anderen Wirtsorganismus infiziert.

In sehr wenigen Fällen führt eine solche Übertragung auch zu einem echten Wirtssprung. Denn in der Regel ist die Weitergabe zwischen den Individuen des neuen Wirts sehr ineffektiv. Die Übertragung, die schließlich die Entwicklung von H. acinonychis auslöste, war deshalb erfolgreich, weil sich das Bakterium durch den Import neuer Gene und durch die Inaktivierung anderer Gene an den neuen Wirt (die Großkatze) anzupassen vermochte. So stellten die Wissenschaftler fest, dass vor allem Gene importiert und fragmentiert worden sind, die mit Änderungen der bakteriellen Zelloberfläche in Verbindung stehen. „Möglicherweise sind auf diese Weise Zielstrukturen an der Zelloberfläche eliminiert worden, die Angriffspunkte für die Immunabwehr des Wirts waren, oder neue Andockstellen als Anpassung an den neuen Wirt geschaffen worden“, sagt Mark Achtman.

Diese Ergebnisse erhellen die molekularen Ereignisse, die es einem Bakterium erlauben, sich an einen neuen Wirt anzupassen: Sie zeigen, dass schon einige wenige genetische Veränderungen einen erfolgreichen Wirtssprung erlauben. Darüber hinaus bietet H. acinonychis eines der wenigen Beispiele für einen Wirtssprung vom Menschen auf ein Tier.

Eine ausführlichere Version dieses Textes finden Sie in der neuesten Ausgabe von MaxPlanckForschung. Im Schwerpunkt des Heftes beleuchten wir das Thema „Information“ aus unterschiedlichen Blickwinkeln: Was hat es mit der Quantenkryptografie auf sich? Wie funktioniert der Bordcomputer einer Fliege? Wird Open Access das wissenschaftliche Publikationssystem verändern? Was lässt ein Computerbild naturgetreu aussehen? Im Essay widmet sich Gastautor Jürgen Kaube von der Frankfurter Allgemeinen Zeitung dem Verhältnis zwischen Wissenschaft und Öffentlichkeit. Unter der Rubrik „Faszination Forschung“ erleben Sie eine Reise durch das Universum und zu den Anfängen von Raum und Zeit. Außerdem finden Sie ein Porträt der Materialwissenschaftlerin Anke Pyzalla und einen Beitrag aus dem Bereich der Entwicklungspsychologie: „Wie wir werden, wer wir sind.“ Lesen Sie im Kongressbericht das Neueste aus der Systembiologie („Die Zelle als Puzzlespiel“) und begleiten Sie unter „Wissen aus erster Hand“ einen Forscher, der das Geheimnis der Blüte entblättert.

Dem Heft liegt der BIOMAX „Der Duft der Gene – was bei der Partnerwahl wirklich entscheidet“ bei.

MaxPlanckForschung erscheint viermal im Jahr. Das Wissenschaftsmagazin kann bei der Pressestelle der Max-Planck-Gesellschaft oder über unser Webformular abonniert werden. Der Bezug ist kostenfrei.

Originalveröffentlichung:

Mark Eppinger, Claudia Baar, Bodo Linz, Günter Raddatz, Christa Lanz, Heike Keller, Giovanni Morelli, Helga Gressmann, Mark Achtman, Stephan C. Schuster

Who ate whom? Adaptive Helicobacter

Media Contact

Dr. Andreas Trepte Max-Planck-Gesellschaft

Weitere Informationen:

http://www.mpg.de

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