Die erste Million ist sequenziert
Neandertaler sind die nächsten ausgestorbenen Verwandten des Menschen, ihr Genom könnte den Schlüssel dazu liefern, welche genetischen Veränderungen bei der Entwicklung zum modernen Menschen stattgefunden haben. Wissenschaftler des Max-Planck-Instituts für evolutionäre Anthropologie in Leipzig und der US-amerikanischen 454 Life Sciences Corporation haben nun die ersten eine Million Basenpaare des Neandertaler-Genoms ermittelt. Sie entwickelten eigens eine neue Technik, um auch die wenigen, kurzen DNA-Stücke vervielfältigen zu können, die sich 38.000 Jahre in fossilen Knochen erhalten haben. Die Forscher gehen davon aus, in zwei Jahren eine erste Rohfassung des ganzen Genoms präsentieren zu können (Nature, 16. November 2006).
Der Neandertaler war mindestens 300.000 Jahre über ganz Eurasien verbreitet und entfaltete seine eigene Kultur, bis vor etwa 45.000 Jahren der moderne Mensch nachrückte und seinen – obwohl stämmigeren – Verwandten verdrängte. Im Jahre 1856 kamen die ersten Neandertalerknochen zu Tage und warfen Fragen auf, die noch heute unbeantwortet sind. Wie unterscheiden sich die beiden Hominiden, mal abgesehen von physischen Merkmalen? Und wie begegneten sie sich? Um diese Fragen zu klären, war man lange Zeit darauf angewiesen, in dunklen Höhlen im Dreck der Jahrtausende nach fossilen Überresten des Vormenschen zu suchen.
Wissenschaftler des Max-Planck-Instituts für evolutionäre Anthropologie in Leipzig und der US-amerikanischen 454 Life Sciences Corporation folgen einer neuen Strategie: Wie bei einem riesigen Puzzle wollen sie aus kleinen DNA-Stückchen, die sich in den fossilen Knochen erhalten haben, das ganze Genom des Neandertalers zusammenbauen. Jetzt haben die Paläogenetiker die ersten eine Million Basenpaare entschlüsselt, das entspricht etwa 0,04 Prozent des gesamten Neandertaler-Genoms. Auf diese Weise hoffen sie, quasi einen Blick in das Regiebuch zu werfen, dass von der Entstehung des Neandertalers und damit auch der des modernen Menschen berichtet.
Die meisten der eine Million Basenpaare des Neandertalers sind identisch mit den homologen Regionen des Genoms von Mensch und Schimpanse. Über zehntausend Basenpaare teilen sich Mensch und Neandertaler. In etwas mehr als 400 Basenpaaren unterscheidet sich der Mensch sowohl vom Neandertaler als auch vom Schimpansen, umgekehrt unterscheidet sich der Neandertaler in etwa 3500 Positionen von Mensch und Schimpanse. Dies ist eine verhältnismäßig große Zahl. Sie rührt, so die Wissenschaftler, von altersbedingten Schäden an der DNA – hier hat der Zahn der Zeit an der DNA genagt. Der direkte Vergleich zwischen den drei Hominiden zeigt, dass von den genetischen Veränderungen zwischen Mensch und Schimpanse nur etwa sieben Prozent auftraten, nachdem sich die menschliche Linie von der des Neandertalers getrennt hatte.
Umso spannender ist die Frage, was diese geringen genetischen Unterschiede bewirken, wie sich also unsere Vorfahren unter dem Einfluss von wenigen Genmutationen auseinander entwickelten. Getrennt haben sich die die Abstammungslinien von Mensch und Neandertaler vor ungefähr einer halben Million Jahre – die aktuellen Daten der Leipziger Wissenschaftler bestätigen frühere Schätzungen auf der Basis der Analyse von DNA aus Mitochondrien (mtDNA). Dieses Zellorganell liefert, da es vielfach in der Zelle vorkommt, mehr DNA als der Zellkern – mtDNA lässt sich daher einfacher analysieren als Kern-DNA.
Die Sequenzierung von Neandertaler-DNA ist ein insgesamt extrem aufwändiger Prozess: Nicht nur dass die DNA – so wie alte Schriften mit der Zeit zerfallen – brüchig wird, sie ist darüber hinaus stets mit sehr viel Fremd-DNA kontaminiert, die entweder von Bakterien und Pilzen stammen, die den Körper nach seinem Tod besiedelt haben, oder von jenen Personen, die mit den Fossilien arbeiten. Weil menschliche DNA und Neandertaler-DNA so weit übereinstimmen, aber die feinen Unterschiede zwischen beiden festgestellt werden sollen, ist es besonders fatal, wenn menschliche DNA an den Knochen hängt.
Die Leipziger Forscher untersuchten deshalb zunächst jeweils 100-200 Milligramm von verschiedenen Knochen bzw. Zähnen. Die Analyse der extrahierten hominiden mtDNA ergab, dass sich die Proben in ihrem Grad an Kontamination durch moderne menschliche DNA drastisch unterschieden. Teilweise war nur ein Prozent der untersuchten mtDNA-Stücke aus grauer Vorzeit, 99 Prozent stammte vom modernen Menschen. Doch bei einer Probe aus der Vindija-Höhle in Kroatien hatten die Forscher Glück: Hier stammten umgekehrt 99 Prozent vom Neandertaler.
Dank der neuen von 454 Life Sciences entwickelten Technik konnten die Paläogenetiker um Svante Pääbo aus diesem Knochenmaterial nun erstmals die Kern-DNA vervielfältigen und anschließend sequenzieren. Sowohl das X- als auch das Y-Chromosom ließen sich nachweisen und belegten, dass der Knochen von einem männlichen Individuum stammt.
Die Forscher fragten sich auch, wie häufig der Neandertaler das Allel seines Urahns trägt oder aber eine neue Variante mit dem modernen Menschen teilt: „In etwa 30 Prozent aller Fälle besitzt der Neandertaler tatsächlich die neue Genvariante“, erklärt Svante Pääbo. Dieser hohe Wert ist eigentlich nicht vereinbar mit den bisherigen Vorstellungen, dass sich die Populationen von Mensch und Neandertaler einfach aufgespalten haben. „Möglicherweise hat es einen Austausch von genetischem Material zwischen dem modernen Menschen und dem Neandertaler gegeben“, sagt Pääbo. Da die Unterschiede im X-Chromosom des Neandertalers allerdings sehr viel größer sind als bei den Autosomen spekulieren die Forscher, dass dieser Genfluss vor allem von männlichen Vertretern des modernen Menschen hin zum Neandertaler erfolgt ist. Um diese Möglichkeit zu prüfen, bedarf es allerdings noch einer ausgiebigeren Sequenzierung des Neandertaler-Genoms.
Die Forscher wollen mit der im Zuge dieser Arbeit etablierten Methode das gesamte nukleare Genom des Neandertalers entschlüsseln – dazu müssen sie DNA von etwa 20 Gramm Neandertaler-Knochenmaterial extrahieren. „Die Genom-Sequenz des Neandertalers könnte dann nicht nur neue Informationen über unsere ausgestorbenen Verwandten liefern“, so Pääbo, „sondern auch Hinweise auf Regionen in unserem eigenen Genom, die sich seit der Aufspaltung vom Neandertaler vor ca. 500.000 Jahren besonders stark verändert haben. Solche Regionen standen mit großer Wahrscheinlichkeit unter positiver Selektion und könnten von daher eine entscheidende Rolle bei der Enstehung des modernen Menschen gespielt haben.“
Originalveröffentlichung:
Richard E. Green, Johannes Krause, Susan E. Ptak, Adrian W. Briggs, Michael T. Ronan, Jan F. Simons, Lei Du, Michael Egholm, Jonathan M. Rothberg, Maja Paunovic & Svante Pääbo
Analysis of one million base pairs of Neanderthal DNA
Nature 16.November 2006
Media Contact
Weitere Informationen:
http://www.mpg.deAlle Nachrichten aus der Kategorie: Biowissenschaften Chemie
Der innovations-report bietet im Bereich der "Life Sciences" Berichte und Artikel über Anwendungen und wissenschaftliche Erkenntnisse der modernen Biologie, der Chemie und der Humanmedizin.
Unter anderem finden Sie Wissenswertes aus den Teilbereichen: Bakteriologie, Biochemie, Bionik, Bioinformatik, Biophysik, Biotechnologie, Genetik, Geobotanik, Humanbiologie, Meeresbiologie, Mikrobiologie, Molekularbiologie, Zellbiologie, Zoologie, Bioanorganische Chemie, Mikrochemie und Umweltchemie.
Neueste Beiträge
Klimawandel führt zu mehr alpinen Gefahren
Von Steinschlag bis Eislawine: So hat der Klimawandel die Naturgefahren in den Alpen verändert. Der Klimawandel intensiviert vielerorts Naturgefahren in den Bergen und stellt den Alpenraum damit vor besondere Herausforderungen….
SAFECAR-ML: Künstliche Intelligenz beschleunigt die Fahrzeugentwicklung
Mit neuen Methoden des Maschinellen Lernens gelingt es, Daten aus der Crashtest-Entwicklung besser zu verstehen und zu verarbeiten. Im Projekt SAFECAR-ML entsteht eine automatisierte Lösung zur Dokumentation virtueller Crashtests, die…
Robotergestütztes Laserverfahren ermöglicht schonende Kraniotomie im Wachzustand
Um während neurochirurgischen Eingriffen komplexe Hirnfunktionen testen zu können, werden diese an wachen, lokal anästhesierten Patienten durchgeführt. So können die Chirurgen mit ihnen interagieren und prüfen, wie sich ihr Eingriff…