Hirntumore aushungern – erste klinische Versuche in den USA und Deutschland
In klinischen Studien in den USA sowie in Deutschland versuchen Ärzte deshalb das Blutgefäßwachstum mit unterschiedlichen Ansätzen zu hemmen und damit die Hirntumore auszuhungern. Auf einer Tagung des Max-Delbrück-Centrums für Molekulare Medizin (MDC) Berlin-Buch und des Helios Klinikums Berlin-Buch über Hirntumore berichtete Prof. Peter Vajkoczy vom Universitätsklinikum Mannheim der Universität Heidelberg über eine klinische Pilotstudie, bei der Patienten statt einer hochdosierten, in Intervallen verabreichten Chemotherapie, kontinuierlich über Wochen hinweg ein niedrigdosiertes Krebsmedikament in Kombination mit einem Entzündungshemmer erhielten.
„Von den 30 Glioblastompatienten, die in die Studie eingeschlossen waren, betrug die mittlere Überlebenszeit bei sehr guter Verträglichkeit 17 Monate, was günstig im Vergleich mit herkömmlichen Therapien ist“, sagte Prof. Vajkoczy.
Die Ausbildung neuer Blutgefäße, Angiogenese genannt, spielt eine wichtige Rolle für das Krebswachstum, da Tumore über die Blutbahn Nährstoffe und Sauerstoff beziehen. Damit sie nicht verhungern, senden die Tumorzellen Signale in Form von Botenstoffen an die umliegenden Blutgefäße. Sie lösen so die Bildung neuer Blutgefäße aus, die zu ihnen hin wachsen und an die die Krebszellen binden können. Mehr als 25 solcher Botenstoffe sind bis heute bekannt. Einer der wichtigsten ist der Wachstumsfaktor VEGF (Vascular Endothelial Growth Factor), der als der zentrale Faktor gilt, der Gefäße neu wachsen lässt.
Um den Tumor am Wachstum zu hindern, arbeiten Grundlagenforscher und Kliniker daran, die Faktoren, beziehungsweise ihre Bildung zu blockieren. Die Idee der Anti-Angiogenese ist nicht neu. Prof. Judah Folkman stellte sie bereits vor 30 Jahren in den USA vor. Doch erst Anfang 2006 wurde in den USA ein Medikament zugelassen, das auf diesem Prinzip basiert und Nierenzellkrebs und einem seltenen Magen-Darm-Krebs (GIST) die Blutzufuhr abschneidet.
Seit kurzem wird dieses Prinzip als mögliche Therapie auch beim Glioblastom vor allem in den USA und auch in Deutschland getestet. Glioblastome entstehen aus den Gliazellen des Gehirns. Sie sind die häufigsten und aggressivsten Gehirntumoren. Gleichzeitig zählen sie nach Aussage von Prof. Vajkoczy zu den am besten durchbluteten Tumoren des Menschen. Da Glioblastome geradezu einen Wachstumsschub durchmachen, nachdem sie sich an das Blutgefäßsystem angebunden haben, messen die Forscher der Anti-Angiogenese eine besondere Bedeutung für die Therapie dieser Hirntumore bei.
Doch die Mechanismen der Gefäßneubildung sind kompliziert und noch nicht vollständig verstanden. Prof. Vajkoczy verfolgt deshalb einen indirekten Ansatz, um Anti-Angiogenese bei Glioblastomen auszulösen. „Es hat sich gezeigt“, so Prof. Vajkoczy, „dass einige Medikamente, die für die konventionelle Chemotherapie eingesetzt werden, eine anti-angiogene Wirkung haben.“ Dazu gehört das Krebsmedikament Temozolomid. Er kombiniert dieses Medikament mit einem Entzündungshemmer, der ebenfalls das Blutgefäßwachstum blockieren kann.
In einer Pilotstudie in Mannheim mit 30 Glioblastom-Patienten haben er und seine Mitarbeiter diesen Vorteil zu nutzen versucht. Die Ergebnisse der Studie, die 2002 begann und 2005 endete, sind erst zum Teil veröffentlicht.? Wie Prof. Vajkoczy in Berlin berichtete, teilten sie die Patienten in Versuchsgruppen auf, die über einen Zeitraum von bis zu 22 Monaten bis zu zweimal am Tag, niedrig dosiertes Temozolomid erhielten. Mit dieser gleichmäßigen, metronomen, Chemotherapie wollen die Mediziner eine Schwachstelle der herkömmlichen Tumortherapie vermeiden. Normalerweise erhalten Patienten hohe Dosen dieser Zellgifte (Cytostatika) für einen bestimmten Zeitraum, auf den eine Erholungsphase folgt. In der Chemotherapie-freien Zeit kann sich jedoch auch der Tumor wieder erholen und neues Blutgefäßwachstum auslösen. Bei der metronomen, niedrigdosierten Chemotherapie hingegen, die die Ärzte über Wochen hinweg verabreichen, wollen sie ausschließen, dass sich neue Blutgefässe bilden können.
Zugleich kombinierten die Mannheimer Kliniker das Cytostatikum mit dem entzündungshemmenden Stoff Rofexocib, einem Medikament, das im Herbst 2004 in anderem Zusammenhang vom Markt genommen wurde, und das sie durch den Entzündungshemmer Celebrex ersetzten. Beide Entzündungshemmer wirken auch anti-angiogen, da sie die vermehrte Bildung des Wachstumsfaktors VEGF in Tumorzellen hemmen. Sie blockieren ein Enzym, die Cyclooxigenase-2, kurz COX-2. Dieses Enzym ist vor allem in Glioblastomen in großen Mengen nachweisbar.
„Dieser kombinierte Ansatz ist sicher und hat nur geringe Nebenwirkungen bei guter Lebensqualität der Patienten“, berichtete Prof. Vajkoczy in Berlin. Die mittlere Überlebenszeit betrug 17 Monate, und für Patienten, bei denen die Angiogenese überduchschnittlich stark aktiviert war, sogar bis zu 22 Monate, was im Vergleich mit herkömmlichen Therapieformen sehr günstig ist“, sagte er. Prof. Vajkoczy betonte, es seien allerdings weitere Untersuchungen erforderlich, um die Wirkmechanismen und mögliche Resistenzstrategien der Tumore gegenüber dieser neuen Therapieform besser zu verstehen und sie somit unter Umständen optimieren zu können.
Continuous low-dose chemotherapy plus inhibition of cyclooxygenase-2 as an antiangiogenic therapy of glioblastoma multiforme
Jochen Tuettenberg1, Rainer Grobholz2, Tobias Korn1, Frederik Wenz3, Ralf Erber1, Peter Vajkoczy1
1, Department of Neurosurgery, Klinikum Mannheim, Medical Faculty, University of Heidelberg, Theodor-Kutzer-Ufer 1-3, 68167 Mannheim, Germany., E-mail: peter.vajkoczy@nch.ma.uni-heidelberg.de 2, Department of Pathology, Medical Faculty of the University of Heidelberg,Mannheim, Germany 3, Department of Radiation Oncology, Medical Faculty of the University of Heidelberg,Mannheim, Germany
Journal of Cancer Research and Clinical Oncology. 2005 Jan;131(1):31-40.
Barbara Bachtler
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