Sensationeller Züchtungserfolg

Das weltweit erste Nashornkalb, das durch künstliche Befruchtung gezeugt wurde, ist nach 16-monatiger Trächtigkeit im Budapester Zoo zur Welt gekommen. Die Geburt am 23. Januar gegen 18 Uhr verlief ohne Komplikationen. Das kleine Nashornkalb wiegt 58 Kilo und ist ein Weibchen. Es kam nach rund 500 Tagen Tragezeit zur Welt.

Die Besamung war im September 2005 von Reproduktionsexperten des Berliner Leibniz- Instituts für Zoo- und Wildtierforschung (IZW) durchgeführt worden, nachdem die Nashornmutter Lulu nur vier Wochen zuvor ein totes Kalb zur Welt gebracht hatte (vergleiche Pressemitteilung:

http://www.fv-berlin.de/pm_archiv/2005/38-lulubaby.html).

Lulu war bereits im Jahr 2004 erstmals erfolgreich mit einer speziell für das Nashorn entwickelten Methode künstlich besamt worden. Drei Wissenschaftler des IZW, Thomas Hildebrandt, Frank Göritz und Robert Hermes, hatten das Verfahren zur künstlichen Befruchtung beim Nashorn entwickelt. Das Fachjournal „Science“ zeigte damals ein 3D- Ultraschallbild des ersten künstlich erzeugten Nashornbabys im Mutterleib. Nach normaler Trächtigkeit wurde dieses Nashornbaby leider nur tot geboren.

„Wir haben uns von der großen Enttäuschung nach der Totgeburt nicht entmutigen lassen“, sagte IZW-Veterinär Dr. Robert Hermes, „und haben sofort an eine erneute Besamung gedacht.“ Trotz Totgeburt hatte die schon 25 Jahre alte Lulu durch ihre erste Trächtigkeit bewiesen, dass sie noch fruchtbar ist. Besonders die verantwortlichen Zootierärzte in Budapest, Dr. Endre Sós und Dr. Victor Molnár, die sich intensiv auf diese zweite Geburt vorbereitet hatten, um bei Geburtskomplikationen notfalls schnell eingreifen zu können, sind glücklich und erleichtert über das kleine Kalb.

Der jetzige Erfolg des IZW-Teams um Dr. Thomas Hildebrandt gelang nur durch enge Zusammenarbeit mit Tierärzten verschiedener europäischer Institutionen und Ingenieuren. Hormonspezialist Prof. Franz Schwarzenberger und Wildtieranästhesist Dr. Chris Walzer von der Veterinärmedizinischen Universität Wien, die Chirurgiemechanikfirma A. Schnorrenberg aus Berlin und die Medizintechnikfirma General Electric (GE) leisteten einen wesentlichen Beitrag zu diesem entscheidenden Durchbruch nach siebenjähriger Forschungsarbeit.

Die Forscher hoffen, die künstliche Besamung nun auch bei Nördlichen Breitmaulnashörnern (Ceratotherium simum cottoni) einsetzen zu können, einer der seltensten Tierarten auf unserer Erde. Von dieser Breitmaulnashorn-Unterart gibt es noch 4 Exemplare in freier Wildbahn und lediglich 5 zuchtfähige Tiere in Menschenhand. Der Einsatz der künstlichen Besamung könnte helfen, das Überleben dieser hoch bedrohten Tiere in menschlicher Obhut zu sichern.

Ansprechpartner am IZW:
Prof. Dr. Heribert Hofer, Direktor: 030 / 5168-100
Steven Seet (Öffentlichkeitsarbeit): 030 / 5168-108
Hintergrund-Informationen
Kranke Geschlechtsorgane
Im Gegensatz zu anderen Rhinozerosarten pflanzen sich Breitmaulnashörner – Nördliche ebenso wie Südliche – in Gefangenschaft kaum fort. Auch Lulu war nie gedeckt worden, obwohl sie seit vielen Jahren mit dem Vater des ungeborenen Babys zusammenlebte. „Wir vermuten, dass die beiden wie Bruder und Schwester aufgewachsen sind, obwohl sie nicht verwandt sind“, sagt Dr. Robert Hermes vom IZW. Als er und seine Kollegen Lulu vor der ersten Besamung untersuchten, stellten sie fest, dass ihr Jungfernhäutchen noch intakt war. Die Paarungsunlust hat für die Geschlechtsorgane der weiblichen Tiere gravierende Folgen. Werden die Tiere nicht schwanger, so degeneriert die Gebärmutter, es bilden sich Zysten und Tumoren, und am Ende setzt die Menopause viele Jahre früher ein als normal. Für Lulu blieb nach einer anfänglichen gynäkologischen Untersuchung schätzungsweise nur noch ein Zeitraum von drei bis vier Jahren, bis die so genannte biologische Uhr abgelaufen wäre. Dies ist bereits bei vier der sechs weiblichen Nördlichen Breitmaulnashörnern in Gefangenschaft der Fall. „Da ist nichts mehr zu machen“, sagt Hermes, „diese Kühe sind für die Arterhaltung verloren“.

Alle Hoffnungen ruhen daher auf zwei noch fruchtbaren Kühen im Zoo von Dvur Kralové (Tschechien). Im Jahre 2000 wurde dort das letzte Jungtier auf natürlichem Wege geboren. Doch seither gab es keine Trächtigkeit mehr. So droht diesen beiden Nashorndamen dasselbe Schicksal wie den fünf Artgenossinnen in Gefangenschaft – außer, es gelingt eine künstliche Besamung wie bei Lulu.

Ist noch Rettung möglich?

Lulu ist zwar auch ein Breitmaulnashorn, gehört aber zur südlichen Unterart (Ceratotherium simum simum). Deren Population in Südafrika und angrenzenden Ländern ist mittlerweile wieder stabil. Die Gesamtzahl der Südlichen Breitmaulnashörner wird auf 12.000 geschätzt. Ist es da angesichts der bloß noch 9 überlebenden und fruchtbaren Nördlichen Breitmaulnashörner nicht aussichtslos, für den Arterhalt zu kämpfen? „Nein“, sagt Hermes, „denn auch die Südlichen Breitmaulnashörner standen einmal kurz vor dem Aussterben.“ Zu Beginn des 20. Jahrhunderts gab es davon schätzungsweise nur mehr hundert Tiere. Jetzt sind es mehr als hundertmal so viele.

Vor diesem Hintergrund kann das in Berlin entwickelte Verfahren vielleicht noch einen Beitrag zur Rettung für die Nördlichen Breitmaulnashörner leisten. Der Erfolg in Budapest bringt auch Hoffnung für extrem bedrohte asiatische Nashornarten, deren Fortpflanzung in Gefangenschaft auch wenig erfolgreich ist.

Bevor es zu den beiden Schwangerschaften von Lulu kam, mussten zahlreiche Schwierigkeiten überwunden werden. Herkömmliches Besamungsbesteck, wie es routinemäßig bei vielen Großtierarten eingesetzt wird, erwies sich als nutzlos. Denn der Genitaltrakt von Nashörnern ist extrem lang, rund eineinhalb Meter. Hinzu kommt, dass der Gebärmutterhals sehr derb und stark gefaltet ist. Außerdem sind Nashörner gefährlich. Alle Untersuchungen zur Fruchtbarkeit (Ultraschallaufnahmen) müssen daher unter Narkose gemacht werden. Erst die Entwicklung eines spezifischen Narkoseprotokolls von Dr. Walzer von der Universität Wien ermöglichte die erforderlichen Untersuchungen und schließlich die Besamung. Die verwendeten Narkosemittel sind 5000-fach wirksamer als vergleichbare Narkotika in der Humanmedizin.

„Das geht nur mit einem Team aus erfahrenen Spezialisten“, betont Hermes und hebt die Rolle seiner Kollegen aus Wien (Prof. Franz Schwarzenberger, Hormonanalyse Dr. Chris Walzer, Anästhesie) sowie die Kooperation mit der Chirurgiemechanikfirma A. Schnorrenberg und der Medizintechnikfirma General Electric hervor.

Zusätzlich zu den veröffentlichten Bildern liegt weiteres umfangreiches Material vor (patentiertes Besamungsbesteck, Porträts der Nashornkuh). Bildanfragen können an die Pressestelle des IZW (seet@izw-berlin.de) oder des Forschungsverbundes Berlin (zens@fv- berlin.de) gerichtet werden. Eine 3D-Visualisierung des Nashornbabys kann das IZW zur Verfügung stellen (honorarpflichtig).

Das IZW forscht in den Bereichen Evolutionsbiologie und -ökologie, Wildtiermedizin sowie Reproduktionsbiologie. Die Experten untersuchen Säugetiere und Vögel in ihren Wechselbeziehungen mit Mensch und biotischer wie abiotischer Umwelt (Biotop, Nahrung, Krankheitserreger und Beutegreifer). Hauptziel ist die Erforschung der Anpassungsleistungen und -grenzen größerer Wildtiere und ihrer Rolle in naturnahen und kulturnahen Ökosystemen. Schwerpunktregionen sind Mitteleuropa, Ostasien, Ost- und südliches Afrika. Das Institut legt besonderen Wert auf die interdisziplinäre Zusammenarbeit von Biologen und Veterinärmedizinern und setzt seine Forschungsziele durch Kooperationsprojekte mit Schutzgebieten und Zoos in Europa, Afrika und Nordamerika um. Das IZW gehört zum Forschungsverbund Berlin. Es hat knapp hundert Mitarbeiter und einen Etat von mehr als vier Millionen Euro.

Das IZW im Netz: http://www.izw-berlin.de

Der Forschungsverbund Berlin e.V. (FVB) ist Träger von acht natur-, lebens- und umweltwissenschaftlichen Forschungsinstituten in Berlin, die alle wissenschaftlich eigenständig sind, aber im Rahmen einer einheitlichen Rechtspersönlichkeit gemeinsame Interessen wahrnehmen. Alle Institute des FVB gehören zur Leibniz-Gemeinschaft. Der FVB im Netz: www.fv-berlin.de.

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