Duftgeflüster: Die chemische Sprache der Insekten
Der Austausch von Informationen ist nicht nur für den Menschen im Informationszeitalter, sondern für alle Organismen geradezu überlebensnotwendig. Chemische Signale sind eine sehr raffinierte und weit verbreitete Form der „lautlosen“ Kommunikation. In der AG „Angewandte Zoologie/Ökologie der Tiere“ der Freien Universität Berlin um Prof. Dr. Monika Hilker werden Kommunikationssysteme untersucht, in denen Naturstoffe als Informationsträger dienen. Dabei konzentrieren sich die FU-Wissenschaftler/innen auf pflanzenfressende Insekten, die mehr als ein Viertel aller bekannten Arten von Lebewesen überhaupt ausmachen. Sie treten in Wäldern und im Kulturpflanzenanbau oft als Schädlinge auf. Kennt man die Kommunikationssignale der Schadinsekten, lässt sich dieses Wissen zu ihrer Bekämpfung nutzen, indem man etwa ihre Kommunikationsübertragung stört. Vergleichende Studien lassen auch Einblicke in die Evolution der kommunizierenden Arten zu. Weiß man erst, unter welchen ökologischen und physiologischen Wirkungsbedingungen chemische Signale produziert, wahrgenommen und beantwortet werden, lassen sich daraus Rückschlüsse auf die phänotypische Plastizität genetisch fixierter Kommunikationsstrategien ziehen.
Insekten kommunizieren nicht nur über visuelle und auditive, sondern auch über chemische Signale. Die Antennen (Fühler) der Insekten sind für die Aufnahme dieser chemischen Signale verantwortlich. Über Sinneshaare auf den Antennen können Insekten Düfte wahrnehmen. Die Duftmoleküle dringen durch Poren in die Sinneshaare und werden von Proteinen dorthin transportiert, wo sie an entsprechende Rezeptoren andocken können. Bei der chemischen Kommunikation nennt man die informativen Verbindungen allgemein „Infochemikalien“. Solche Infochemikalien, die innerhalb einer Art aktiv sind, heißen „Pheromone“. Infochemikalien, die Informationen zwischen Individuen verschiedener Arten vermitteln, werden „Allelochemikalien“ genannt.
Bei der Untersuchung von „Duftgeflüster“ wird bei den Arbeiten in der AG „Angewandte Zoologie/ Ökologie der Tiere“ im wesentlichen zwischen folgenden Informationswegen unterschieden: 1. dem „Geflüster“ zwischen Insekten zur innerartlichen Kommunikation (Pheromone), 2. dem Informationsaustausch über Düfte zwischen Insekten verschiedener Arten (Allelochemikalien) und 3. dem „Duftgeflüster“ zwischen Insekten und Pflanzen (Allelochemikalien).
1. DUFTGEFLÜSTER ZWISCHEN INSEKTEN ZUR INNERARTLICHEN KOMMUNIKATION: PHEROMONE
Viele Insektenarten benutzen zur Kommunikation arteigene chemische Signale: die Pheromone. Man unterscheidet z.B. Sexual-, Aggregations-, Spur- und Alarmpheromone.
A. Sexualpheromone
Sexualpheromone, die Insekten bei der Partnersuche aussenden, weisen verschiedenartige Duftnoten auf: Während etwa das Sexualpheromon einer Blattlaus (Myoura viciae) nach Katzenminze riechen kann, duftet es bei dem Schmetterling Hepialus necta nach Erdbeere. Es lassen sich bei einigen Schmetterlingen sogar einzelne „Pheromondialekte“ nachweisen. Die quantitative Zusammensetzung der verschiedenen Sexualpheromonkomponenten kann sich lokal von Population zu Population verändern.
Das Wissen über die Sexualpheromone wird heutzutage für die Schädlingsbekämpfung genutzt. Von verschiedenen Schmetterlingsarten, deren Larven durch ihre Fraßtätigkeit im Obstbau, in der Land- und Forstwirtschaft großen Schaden anrichten, kennt man die Pheromone der weiblichen Tiere. Eine Möglichkeit der Nutzung dieser Weibchenpheromone ist die sogenannte Verwirrtechnik. Dazu werden künstlich hergestellte „weibliche“ Pheromone in hohen Konzentrationen ausgebracht. Die Schmetterlingsmännchen sind dadurch derart verwirrt, dass sie in den hoch konzentrierten synthetischen Pheromonwolken die Weibchen mit ihren natürlichen Pheromonen nicht mehr orten können. Dies führt zu einer verminderten Paarungsfrequenz der Weibchen, die entsprechend weniger befruchtete Eier ablegen. Folglich wird die Zahl der Nachkommen reduziert.
B. Aggregations- und Ablenkpheromone
Aggregationspheromone werden von Insekten insbesondere für das Einberufen von Versammlungen (Aggregationen) abgegeben. So werden z.B. von vielen Borkenkäfern, die entweder in der Rinde oder im Holz von Bäumen leben, solche Aggregationspheromone produziert. Wenn sich ein Borkenkäfer in einen Baum einbohrt, gibt er mit dem aus dem Bohrloch herausfallenden Kot (Bohrmehl) Aggregationspheromone ab, die weitere Artgenossen (Männchen und Weibchen) an diesen Baum heranlocken. Wenn eine Ansammlung von Borkenkäfern sich gemeinsam in einen Baum einbohrt, können Widerstandskräfte des Baumes (wie z.B. verstärkter Harzfluss) besser überwunden werden. Weiterhin ist in solchen Aggregationen auch die Paarungswahrscheinlichkeit erhöht. Wenn aber durch die Abgabe der Aggregationspheromone so viele Käfer herangelockt wurden, dass eine ausreichend hohe Dichte erreicht wurde und weitere angelockte Käfer nur zu verstärkter Konkurrenz führen würden, können einige Borkenkäfer beginnen, Ablenkpheromone abzugeben. Diese Ablenkpheromone veranlassen noch umherfliegende Käfer, andere noch unbefallene Bäume anzufliegen. Bei den Aggregations- und Ablenkpheromonen der Borkenkäfer handelt es sich chemisch um je nach Art sehr unterschiedliche Verbindungen. Einige Arten nutzen zur Produktion ihrer Pheromone die Terpene (hier organische Verbindungen aus dem Harz) der Wirtsbäume, oxidieren diese und können stereoselektiv (je nach räumlicher Struktur der Moleküle) auf ganz bestimmte Oxidationsprodukte reagieren. Die großflächigen Schäden im Bayerischen Wald sind auf Massenbefall durch Borkenkäfer zurückzuführen. Aggregationspheromone der Borkenkäfer können prinzipiell zum sogenannten „Monitoring“ genutzt werden, d.h. Überwachung der Populationsdichten durch Ausbringen der Aggregationspheromone in Fallen und Kontrolle der Fangzahlen. Ablenkpheromone können prinzipiell genutzt werden, indem man durch Ausbringen dieser Pheromone versucht, einen Waldbestand von Borkenkäfern freizuhalten.
C. Spurpheromone
Spurpheromone werden von Insekten insbesondere für Wegbeschreibungen verwendet. Bei Ameisen werden sie in kleinsten Mengen aus verschiedenen exokrinen Drüsen oder auch anal ausgeschieden. Die Spur wird direkt auf den Boden oder auf die Pflanze abgegeben. Die Arbeiterinnen folgen dieser Spur – einem imaginären Dufttunnel – zu Nahrungsquellen oder einem neuen Nest. Die gelegten Duftspuren besitzen je nach Art unterschiedliche Flüchtigkeit und müssen immer wieder erneuert werden. Haben z.B. einige Arbeiterinnen Nahrung gefunden, legen sie eine Spur, der viele weitere Ameisen folgen, die ebenfalls Spurpheromone abgegeben. Die hohe Konzentration zieht noch mehr Ameisen an. Falls die Nahrung ausgeht, wird die Spur schwächer und verdunstet. Der „Ameisenverkehr“ versiegt. Chemisch sind die Spurpheromone verschiedensten Substanzklassen zuzuordnen. Spurpheromone sind bei Ameisen art-, oftmals sogar nestspezifisch. So wird gewährleistet, dass sich die Arbeiterin aus Nest A nicht ins Nest B verläuft.
Die Spurpheromone einiger Ameisen können aber auch von Insekten genutzt werden, die sich in die Nester der Ameisen „einmieten“. Es gibt z.B. eine Schmetterlingsart, einen Bläuling, dessen Weibchen nur dann Eier an einer Pflanze ablegt, wenn dort auch die Spurpheromone einer Ameise vorhanden sind. Die aus den Eiern schlüpfenden Schmetterlingslarven finden über das Ameisenspurpheromon zum Ameisennest. Die Schmetterlingslarven können sich in das Ameisennest „einmieten“ und dort geschützt vor Fraßfeinden leben, weil sie sich chemisch als Ameisenbrut tarnen können. Die Schmetterlingslarven produzieren als eine Art „chemisches Tarnkleid“ Verbindungen, die der Ameisenbrut ähneln. Mit Hilfe dieser sogenannten „chemischen Mimikry“ können sie unbehelligt im Ameisennest leben. Einige Bläulingsraupen leben dann im Ameisennest sogar räuberisch und fressen die Ameisenbrut. Andere Bläulingsraupen verlassen nachts das Ameisennest, um an ihren Wirtspflanzen zu fressen. Tagsüber verstecken sie sich dann wieder in ihrem Nest.
D. Alarmpheromone
Mit Hilfe von Alarmpheromonen können Insekten lautlosen „Gefahrenalarm“ schlagen. In Verbänden lebende Insekten können bei drohender Gefahr durch z.B. Räuber ihre Artgenossen alarmieren, so dass diese sich rechtzeitig in Sicherheit bringen können. Die in Kolonien auf Pflanzen lebenden Blattläuse z.B. können bei Angriffen durch räuberische Marienkäfer ein Alarmpheromon über kleine Röhren auf dem Rücken abgeben, das anderen Blattläusen der Kolonie die Gefahr signalisiert. Bei Wahrnehmung des Gefahrensignals laufen die Blattläuse aufgeregt hin und her und versuchen, die Gefahrenstelle zu verlassen. Über die Röhren auf dem Rücken (Siphone) wird neben den Alarmpheromonen auch klebrige Hämolymphe (das ’Blut’ der Insekten) abgegeben, die zusammen mit dem süßen klebrigen Kot der Blattläuse im Sommer die Autos verklebt, die unter stark blattlausbefallenen Bäumen parken.
2. DUFTGEFLÜSTER ZWISCHEN INSEKTEN ZUR KOMMUNIKATION VERSCHIEDENER ARTEN: ALLELOCHEMIKALIEN
Chemische Signale, die dem Informationsaustausch zwischen Organismen verschiedener Arten dienen, werden zur Abgrenzung von den Pheromonen als Allelochemikalien bezeichnet. Solche Allelochemikalien können z.B. pflanzenfressende Insekten „unfreiwillig“ mit ihrem Kot oder aus exokrinen Drüsen abgegeben und damit ihre Gegenwart an räuberische Insekten verraten (Allelochemikalien als“Kairomone“). Weiterhin können Allelochemikalien von Insekten zur Abwehr gegen Fraßfeinde eingesetzt werden (Allelochemikalien als“Allomone“). Ein berühmtes Beispiel der chemischen Abwehr gegen Fraßfeinde bietet der Bombardierkäfer. Dieser sprüht seine Abwehrstoffe aus Pygidialdrüsen amHinterleibende heraus direkt auf die Angreifer. Interessanterweise handelt es sich bei dem Abwehrstoff des Bombardierkäfers (Benzochinon) um die gleiche Substanz, wie diejenige, die Waldmaikäfer als ihren Sexuallockstoff nutzen. Bei den Bombardierkäfern allerdings wirkt sie als Schutz gegen Fraßfeinde. Möglicherweise hat Benzochinon auch bei Waldmaikäfern ursprünglich ausschließlich eine Abwehrfunktion gehabt. Die zusätzliche Nutzung dieser Substanz im Zusammenhang mit der Partnerfindung könnte ein besonders sparsames Prinzip der Naturstoffproduktion darstellen: Mit ein- und derselben Substanz könnte damit ein Waldmaikäfer sich vor Fraßfeinden schützen und seine Partnerfindung organisieren (Wirtschaftlichkeit bei Insekten).
3. DUFTGEFLÜSTER ZWISCHEN INSEKTEN UND PFLANZEN: ALLELOCHEMIKALIEN
Das folgende Beispiel eines raffinierten Informationsaustausches zwischen Pflanzen, pflanzenfressenden Insekten und deren Antagonisten lässt die Komplexizität der Kommunikationssysteme nur erahnen. Schon seit einiger Zeit ist bekannt, dass Pflanzen, die von Insekten befressen werden, ihr Duftstoffmuster so verändern, dass räuberische und parasitische Insekten angelockt werden, die dann die Pflanzenfresser verspeisen. Die durch Fraß induzierte Veränderung des Duftstoffmusters wird als Hilferuf der Pflanze an die Räuber interpretiert, sie von den Pflanzenfressern zu „befreien“. Die Wissenschaftler/innen um Professor Hilker konnten zeigen, dass nicht Fraß, sondern schon alleine die Eiablage eines Insekts auf einer Pflanze deren Duftmuster so verändern kann, dass spezialisierte Eiparasitoide angelockt werden. Sie werden aber nur dann von den Pflanzendüften angezogen, wenn die Pflanzen auch tatsächlich die „richtigen“ Wirtseier tragen. Derzeit werden zahlreiche Fragen zur Chemie der Signale, zum Mechanismus der Signalinduktion und zum Ausmaß der systemimmanenten Spezifität auf der Ebene der Pflanze, der Pflanzenfresser und der Eiparasitoide erforscht.
Ausgewählte Publikationen der AG Angewandte Zoologie/Ökologie der Tiere der FU Berlin zum Thema:
MEINERS, T. & HILKER, M. (2000): Induction of plant synomones by oviposition of a phytophagous insect. J. Chem. Ecol. 26: 221-232
RUTHER, J., REINECKE, A., THIEMANN, K., TOLASCH, T., FRANCKE, W. & HILKER, M. (2000): Mate finding in the forest chockchafer, Melolontha hippocastani, mediated by volatiles from plants and females. Physiol. Entomol. 25: 1-8
WEGENER, R., SCHULZ, S., MEINERS, T., HADWICH, K. & HILKER, M. (2001): Analysis of volatiles induced by oviposition of a phytophagous insect. J. Chem. Ecol. (im Druck)
RUTHER, J., REINICKE, A. & HILKER, M. (2001): Make love not war: Identification of the sex pheromone of the forest chockchafer Melolontha hippocastani. Oecologia (im Druck)
Weitere Informationen erteilt Ihnen gerne:
Prof. Dr. Monika Hilker, Institut für Biologie der Freien Universität Berlin (AG Angewandte Zoologie/Ökologie der Tiere), Haderslebener Str. 9, 14163 Berlin-Dahlem, Tel.: 030 / 838-53918, E-Mail: hilker@zedat.fu-berlin.de
Media Contact
Alle Nachrichten aus der Kategorie: Biowissenschaften Chemie
Der innovations-report bietet im Bereich der "Life Sciences" Berichte und Artikel über Anwendungen und wissenschaftliche Erkenntnisse der modernen Biologie, der Chemie und der Humanmedizin.
Unter anderem finden Sie Wissenswertes aus den Teilbereichen: Bakteriologie, Biochemie, Bionik, Bioinformatik, Biophysik, Biotechnologie, Genetik, Geobotanik, Humanbiologie, Meeresbiologie, Mikrobiologie, Molekularbiologie, Zellbiologie, Zoologie, Bioanorganische Chemie, Mikrochemie und Umweltchemie.
Neueste Beiträge
Lange angestrebte Messung des exotischen Betazerfalls in Thallium
… hilft bei Zeitskalenbestimmung der Sonnenentstehung. Wie lange hat eigentlich die Bildung unserer Sonne in ihrer stellaren Kinderstube gedauert? Eine internationale Kollaboration von Wissenschaftler*innen ist einer Antwort nun nähergekommen. Ihnen…
Soft Robotics: Keramik mit Feingefühl
Roboter, die Berührungen spüren und Temperaturunterschiede wahrnehmen? Ein unerwartetes Material macht das möglich. Im Empa-Labor für Hochleistungskeramik entwickeln Forschende weiche und intelligente Sensormaterialien auf der Basis von Keramik-Partikeln. Beim Wort…
Klimawandel bedroht wichtige Planktongruppen im Meer
Erwärmung und Versauerung der Ozeane stören die marinen Ökosysteme. Planktische Foraminiferen sind winzige Meeresorganismen und von zentraler Bedeutung für den Kohlenstoffkreislauf der Ozeane. Eine aktuelle Studie des Forschungszentrums CEREGE in…