Auf der Suche nach dem Kompass im Ameisenhirn

Wenn es darum geht, sich in unbekanntem Gelände zu orientieren, ist die Wüstenameise Cataglyphis Meister. Immer schafft sie es, nach ihren Beutezügen auf schnurgeradem Weg zurück in ihr Nest zu finden – und das sogar auf ihrem allerersten Ausflug in die Weite, nachdem sie zuvor wochenlang in einem dunklen, unterirdischen Bau zugebracht hat.

Welcher Technik sie sich dabei bedient, ist aus den langjährigen Forschungsarbeiten von Professor Wehner bekannt: „Cataglyphis-Ameisen benutzen einen Himmelskompass, der sich am Polarisationsmuster des Sonnenlichts orientiert“, sagt Wolfgang Rössler, Professor am Lehrstuhl für Verhaltensphysiologie und Soziobiologie der Universität Würzburg. Unter Polarisation versteht man grob gesagt die Ebene, in der eine Lichtwelle auf und ab schwingt. Ihre Richtung variiert je nach Sonnenstand und Himmelsrichtung und ermöglicht so die Orientierung – wenn man in der Lage ist, die Polarisationsebene zu lesen und zu interpretieren. Zusätzlich besitzen die Ameisen die Fähigkeit zur so genannten Wegintegration, die ihnen in perfekter Weise die Länge des Rückwegs weist.

Rössler erforscht schon seit langem das Zusammenspiel von Verhalten und Nervenstrukturen an sozialen Insekten wie Ameisen und Bienen. Trotzdem kann auch er nicht erklären, wie das Ameisen-Navigationsgerät funktioniert: „Wie diese Abläufe im Gehirn gesteuert werden, ist immer noch rätselhaft – zum Beispiel, wie sofort nach dem ersten Verlassen des dunklen Nestbaus die beachtlichen Navigationsleistungen eingeschaltet werden“, sagt er. Bei der Suche nach einer Antwort auf diese Frage arbeiten nun Wehner und Rössler zusammen: Der Neuroethologe Rüdiger Wehner wird im Sommer- und Wintersemester 2007 als Gastforscher im Biozentrum der Uni Würzburg tätig sein.

Wehner hat viel Zeit damit verbracht, die erstaunlichen Leistungen der Wüstenameise zu untersuchen. Um dem Geheimnis der enormen Kapazität ihrer Mini-Gehirne weiter auf die Spur zu kommen, hat er im vergangenen Sommer gemeinsam mit seinen Mitarbeitern Hunderte von Ameisen in einer Freilandkolonie in Tunesien markiert und in ihrer natürlichen Umgebung abgesammelt. Inzwischen lagern die Gehirne der Tiere in Gefrierschränken im Biozentrum. „Wir haben die Synapsen, die Schaltstellen zwischen den Nervenzellen im Gehirn der Ameisen, mittels spezieller Immunfluoreszenzverfahren sichtbar gemacht“, sagt Rössler. Mit einem besonderen Laser-Rastermikroskop und computergestützter dreidimensionaler Bildverarbeitung hoffen die beiden Neuroethologen nun, ihr Wissen über die Arbeitsweise der Ameisenhirne zu vergrößern.

Die Erkenntnisse, die mithilfe dieser neuroethologischen Grundlagenforschung gewonnen werden, gehen über den Bereich der Biologie hinaus. Manche haben schon Anwendung im Bereich der Robotik gefunden. Wehners Arbeiten an der Wüstenameise führten beispielsweise zur Entwicklung eines mobilen Roboters, der sich am Polarisationsmuster des Himmels orientiert. Der Wissenstransfer funktioniert aber auch in umgekehrter Richtung: „Über Robotermodelle und Computersimulationen können interessante Vorhersagen für die neurobiologische Forschung gemacht werden“, sagt Wolfgang Rössler.

Die enorme Kapazität der Mini-Gehirne der Cataglyphis-Ameisen wird Rüdiger Wehner demnächst im Rahmen des Biozentrums-Kolloquiums vorstellen. „Desert ant navigation: mini-brains, mega tasks, smart solutions“ – so der Titel seines Vortrags, den er am 2. Mai im Hörsaal A101 des Biozentrums halten wird. Beginn ist um 17.15 Uhr; der Vortrag ist öffentlich, Gäste sind herzlich willkommen, der Eintritt ist frei.

Rüdiger Wehner (Jahrgang 1940) ist Professor am Zoologischen Institut der Universität Zürich. Neben zahlreichen Publikationen in Zeitschriften wie Science und Nature hat er eine beachtliche Liste von Auszeichnungen und Tätigkeiten in wichtigen Gremien der Wissenschaft vorzuweisen. Wehner ist ständiges Mitglied im Wissenschaftskolleg zu Berlin, Senator der Leopoldina, Honorary Member der American Academy of Arts and Sciences (USA), außerdem erhielt er Ehrendoktorwürden der Humboldt Universität Berlin, der Universität Oldenburg sowie der Universität Lund (Schweden). Studierenden der Biologie ist sein Name durch sein Lehrbuch „Zoologie“, bekannt, das er zusammen mit seinem Schweizer Kollegen Walter Gehring verfasst hat.

Weitere Information und Kontakt über: Professor Dr. Wolfgang Rössler, Lehrstuhl Verhaltensphysiologie und Soziobiologie (Zoologie II), Biozentrum der Universität Würzburg, T (0931) 888-4313, roessler@biozentrum.uni-wuerzburg.de

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Robert Emmerich idw

Weitere Informationen:

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