Altern mit Köpfchen
„Was Hänschen nicht lernt, lernt Hans nimmermehr“ sagt der Volksmund. Fälschlicherweise. Selbst Opa Hans kann es noch lernen, auch wenn es ihm schwerer fällt. Denn das Gehirn bleibt ein Leben lang wandlungsfähig – und diese Eigenschaft ist die Voraussetzung für geistige Lernprozesse. Am Berliner Max-Planck-Institut für Bildungsforschung untersuchen Forscher, wie sich diese Wandlungsfähigkeit des Denkorgans im Laufe der Jahre verändert. Das Ziel: Wege zu finden, um den Geist möglichst lange fit zu halten. Einer unserer Autoren hat sich in ihr Labor gewagt und berichtet darüber in der neuesten Ausgabe der MaxPlanckForschung (1/2007).
Warum verschlechtern sich im Alter die Gedächtnisfunktionen? Und noch wichtiger: Wie lässt sich das verhindern oder zumindest verzögern? Um Antworten auf diese Fragen zu finden, hat der Psychologe Martin Lövdén eine Selbständige Forschergruppe im Forschungsbereich Entwicklungspsychologie aufgebaut. Dass man etwas gegen das kognitive Altern unternehmen kann, steht für ihn außer Zweifel.
Das besondere Augenmerk der Wissenschaftler gilt dabei dem Hippocampus, der für Lernen und Gedächtnisbildung wichtigsten Region des menschlichen Denkorgans. Sämtliche neuen Informationen werden in diesem kleinen Bereich am unteren Rand der Hirnrinde verarbeitet. Voraussetzung dafür ist allerdings die Wandlungsfähigkeit des Gehirns, die Plastizität, wie diese Eigenschaft in Ableitung vom griechischen Wort plastokos („zum Formen geeignet“) auch genannt wird. Lange Zeit gingen Wissenschaftler davon aus, dass sie beim erwachsenen Menschen überhaupt nicht mehr vorhanden ist. Spätestens mit der Pubertät – so dachten sie – sei die Entwicklung des Organs abgeschlossen und fortan würden Nervenzellen, wenn überhaupt, nur noch abgebaut.
Doch heute steht fest: Das erwachsene Gehirn verändert sich bis ins hohe Alter hinein ständig. Schon ein geringfügiger Wechsel der Lebensumstände kann Umbauprozesse, wie das Sprossen neuer Nervenzellverbindungen, in Gang setzen. „Die Plastizität ermöglicht es uns, unser Verhalten an die Umgebungsbedingungen anzupassen und neue Dinge zu lernen“, erklärt Lövdén: „Älteren Menschen fällt das zwar schwerer, grundsätzlich bleibt aber auch ihr Gehirn plastisch.“
Im Keller des Dahlemer Instituts treten die Max-Planck-Forscher seit März den Beweis an. Dazu schicken sie Testpersonen in den virtuellen Zoo, für den sie das Computerspiel Quake umprogrammierten. 96 Menschen werden an der Studie teilnehmen, die eine Hälfte sind Studenten zwischen 20 und 30 Jahren, die andere Senioren im Alter von 60 bis 70. Der Psychologe rechnet fest damit, dass sein Orientierungstraining bei allen Probanden neuronale Spuren hinterlässt. „Wir erwarten eine Volumenzunahme des Hippocampus, die bei den älteren Probanden aber geringer ausfallen sollte als bei den jungen.“
Für den Zoobesuch steigt der Proband auf ein Laufband und sieht vor sich auf einem Bildschirm den Eingang des Tierparks, rechts oben ist das erste von insgesamt zehn Zielen eingeblendet. Ziemlich echt wirkt das Szenario, durch das die Testperson mit zwei Knöpfen navigiert. Sobald sie das gesuchte Tier gefunden hat, gibt ihr das Programm das nächste Ziel vor. Eine Sitzung dauert normalerweise 50 Minuten. Allerdings haben die Forscher des Max-Planck-Instituts die Tierparks gezielt so angelegt, dass ihre Versuchsteilnehmer mehr als eine Übungseinheit brauchen, um sich in dem Wirrwarr von Käfigen und Wegen zurechtzufinden. Drei Sitzungen gibt es pro Woche, und jedes Mal setzt der Proband den Parcours exakt an der Stelle fort, an der er nach der letzten Sitzung stehen geblieben ist. „Er weiß also, dass er übermorgen weiter machen muss und denkt deshalb vermutlich auch zuhause noch über das Labyrinth nach“, erläutert Lövdén, der sich davon einen zusätzlichen Trainingseffekt verspricht.
Die räumliche Orientierungsaufgabe sei perfekt für diese Studie, so der Max-Planck-Wissenschaftler. „Dazu benötigt man das Faktengedächtnis, es geht um serielles Lernen – erst links, dann rechts und dann wieder links – und darum, immer wieder neue Informationen zu verarbeiten. Alles Dinge, bei denen der Hippocampus eine entscheidende Rolle spielt.“ Lövdén nennt drei Mechanismen, durch die eine trainingsbedingte Vergrößerung des Hippocampus zustande kommen kann: „Durch die Bildung neuer Blutgefäße, neuer synaptischer Verbindungen – und nicht zuletzt durch Neurogenese, also die Produktion neuer Nervenzellen.“
Die Testpersonen müssen das Training 14 Wochen lang absolvieren, davor und danach fahren sie an die Universität Magdeburg zur Kernspintomografie. Mit diesem bildgebenden Verfahren wollen die Forscher herausfinden, wie sich spezielle Hirnareale als Reaktion auf das intensive Lernprogramm verändern – und ob diese Veränderungen bei Älteren anders aussehen als bei Jungen. Außerdem werden die Teilnehmer einer ganzen Reihe von Kognitions- und Gedächtnistests unterzogen. Solchen, die das Orientierungsvermögen prüfen, und anderen. Denn die Alternsforscher bewegt noch eine Frage: Wenn ein Mensch eine bestimmte Gedächtnisaufgabe intensiv übt, profitieren seine kognitiven Leistungen dann auch in anderen Bereichen? Konkret: Hilft das Orientierungstraining etwa dabei, sich Wortlisten zu merken? „Das herauszufinden, ist eines der großen Ziele in der Plastizitätsforschung“, sagt Lövdén. Bislang gebe es allerdings keine Belege, dass ein solcher Transfer stattfindet. Aus diesem Grund hält der Psychologe von den vor allem in den USA boomenden Gehirnjogging-Programmen für Senioren nicht allzu viel. „Die Leute üben eine bestimmte Aufgabe und werden darin auch besser“, sagt er. „Aber eben nur bei genau dieser Aufgabe.“
Selbst wenn die Werbebroschüren für Hirnjogging-Programme es oft versprechen, der wissenschaftliche Nachweis, dass sich damit das altersbedingte Schwinden der Geistesleistung aufhalten lässt, steht bislang aus. Und Lövdén glaubt auch nicht, dass er jemals erbracht wird, weil es so nicht funktioniere. Letztlich entscheide die Lebensführung über das Wohl unseres Gehirns. „Wer versucht, gesund zu bleiben, sich sportlich betätigt, sein Sozialleben pflegt und mentale Aktivitäten sucht, hat gute Chancen, lange geistig auf der Höhe zu bleiben. Und je früher man damit anfängt, desto besser.“
Eine ausführliche Version dieses Textes finden Sie im Schwerpunkt der neuesten Ausgabe der MaxPlanckForschung. Unter dem Thema „Die Welt im Kopf“ beleuchten wir auch die Frage, wie die Vorstellungen von der Wirklichkeit in unserem Bewusstsein entstehen. Antworten auf diese Frage liefern Max-Planck-Wissenschaftler aus verschiedenen Blickwinkeln der Forschung. „Nicht jeder Reiz macht Eindruck“, heißt es zum Beispiel, wenn es um die Bedeutung von Nervenzellen und Gehirnarealen für die Weiterleitung optischer Reize geht. „Auch die Augen hören mit“ bei der Verarbeitung akustischer Informationen im Gehirn. „Wie uns das Gehirn bewegt“, die Frage also, wie wir Sinneseindrücke und Erfahrungen planvoll in Aktivitäten umsetzen, runden diesen Themenschwerpunkt ab.
Im Essay analysiert Gastautor Fritz W. Scharpf die Probleme der Förderalismusreform. Scharpf, emeritierter Direktor am Max-Planck-Institut für Gesellschaftsforschung, sieht systematische und handwerkliche Fehler, die nach seiner Auffassung schon die erste Reformstufe weit hinter den Erwartungen zurück bleiben ließen.
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Welche Rolle Lobbyisten aus Sicht der Max-Planck-Politikwissenschaft wirklich spielen, lesen Sie im Beitrag über die „Souffleure im Polittheater“. Und unter der Rubrik „Zur Person“ porträtieren wir Laura Bernardi, Leiterin der Selbstständigen Nachwuchsgruppe „Kultur der Reproduktion“. In ihrer Arbeit am Rostocker Max-Planck-Institut für demografische Forschung trägt sie Lebensgeschichten und Berichte junger Menschen zusammen und erhält so demografische Einsichten in die familiären Vorstellungen von jungen Paaren jenseits der Statistik.
Dem Heft liegt der GEOMAX „Öl – Quelle für Konflikte – Russlands Weg zwischen Tradition und Moderne“ bei.
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