Kurzlebige Leistungsträger im Rampenlicht

Als Werkzeuge oder Bausteine für neuartige Stoffe werden häufig Enzyme und andere Biomoleküle genutzt. Deren Strukturen und Interaktionen dominieren deshalb noch immer die chemische und biochemische Forschung. Doch diese zeitunabhängigen und rein statischen Eigenschaften greifen für ein tieferes Verständnis zu kurz, weil in vielen Fällen reaktive Zwischenstufen eines Moleküls oder aktivierte Enzyme entstehen, die erst die eigentliche Reaktion durchführen. Eben diesen – meist noch unbekannten – dynamischen Parametern widmet sich nun der neue Sonderforschungsbereich (SFB) 749 „Dynamik und Intermediate molekularer Transformation“. Sprecher des von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) geförderten Projekts ist Professor Thomas Carell vom Department für Chemie und Biochemie der Ludwig-Maximilians-Universität (LMU) München. Im Rahmen des SFB sollen schwer zu untersuchende molekulare Zwischenstufen unter anderem mit Hilfe moderner Ultrakurzzeitmethoden analysiert werden.

Ohne zeitabhängige Transformationen könnten viele Moleküle ihre Aufgaben nicht übernehmen. Doch oft werden die zugrunde liegenden Prinzipien und die dabei entstehenden Zwischenstufen nicht oder zu wenig verstanden. Schuld daran ist die kurzlebige Natur der reaktiven Intermediate. „Es bedarf teilweise komplizierter zeitauflösender Techniken, um sie fassbar und studierbar zu machen“, so Carell. „Es ist dabei unerheblich, ob sich die Forschung auf Prozesse in einem klassischen Reaktionsgefäß oder in einer Zelle konzentriert. Immer bedarf es ausgefeilter Messtechniken, die nur an wenigen Forschungsstandorten weltweit beherrscht werden.“ Und München ist einer davon. Deshalb wird die dynamische Untersuchung molekularer chemischer und biochemischer Reaktivität mit Hilfe zeitauflösender Laserspektroskopie das zentrale Element im geplanten SFB sein. Zudem vereint München eine weltweit einmalige Zahl von führenden Vertretern der relevanten Forschungsgebiete zur molekularen Dynamik.

Ziel des SFB ist, die Parameter zu untersuchen, die die Reaktivität und Funktion von chemisch und biologisch relevanten Molekülen in Lösung und auch in Zellen steuern. „Wir werden uns dabei auf Prozesse in organischen Lösungsmitteln, die für die synthetische Chemie so bedeutsam sind, und auf Wasser in den biologischen Fragestellungen konzentrieren“, berichtet Carell. Reaktionen in der Gasphase stehen nicht im Fokus. „Von Interesse ist für uns dabei nicht nur die Art der reaktiven Zwischenstufen, sondern auch deren Stabilität und die Bildungsgeschwindigkeit, mit der die Aktivierung erfolgt. Denn sie bestimmt wiederum die Reaktivität eines Moleküls.“ Weil die zu untersuchenden Systeme so komplex sind, werden auch neue Methoden und Konzepte erarbeitet werden müssen. Deren allgemeine Natur wiederum wird ganze Klassen von Prozessen einer Beschreibung zugänglich machen. Insgesamt wird der SFB an den Schnittstellen der drei Disziplinen Chemie, Biologie und Physik tätig sein. Er integriert alle Bestrebungen in den Einzeldisziplinen, den zeitlichen Verlauf chemischer und biochemischer Prozesse zu analysieren.

Im Bereich der Biologie soll unter anderem die Proteinfaltung im Vordergrund stehen, ein für die Funktion der Moleküle essentieller Prozess, der immer noch unzureichend aufgeklärt ist. Dieser dynamische Vorgang verläuft über eine Reihe von zum Teil definierten Zwischenstufen der Faltung. „Aber auch hier sind letztlich nur die sehr einfachen Systeme gut verstanden“, meint Carell. „Allgemein haben sich Enzyme, die radikalische Zwischenstufen generieren, bislang nahezu vollständig einer besseren mechanistischen Untersuchung entzogen. Hier wollen wir Untersuchungen mit zeitauflösenden Techniken durchführen.“ Wichtig ist auch, dass die Reaktivität der Systeme oft durch die Positionierung eines Enzyms in der Zelle und die dadurch erzeugte spezifische Umgebung reguliert wird. „Die Untersuchung der enzymatischen Aktivität in der Zelle ist ein neues und sehr spannendes Gebiet“, berichtet Carell. „Auch dieses neue Forschungsfeld werden wir im SFB verfolgen.“

Enzyme und metallorganische Katalysatoren sind zudem auch das Rückgrat der modernen Prozesschemie. „Die fundamentalen Verständnisdefizite im Bereich der Dynamik dieser molekularen Systeme sind deshalb besonders beklagenswert“, meint Carell. „Wären metallorganische Prozesse besser verstanden, könnten die im Labor entwickelten Systeme sehr viel leichter in großtechnische Prozesse integriert werden.“ Auch ließen sich neue Katalysatorsysteme und neue Reaktionen planbarer finden. Bislang sind enzymatische Prozesse und die evolutive Optimierung der Biokatalysatoren noch auf einfachste Systeme beschränkt, weil wenig über die komplexeren Enzyme bekannt ist. „Einige davon könnten aber dabei helfen, eine nachhaltige, moderne und umweltschonende Chemie in der Industrie aufzubauen“, meint Carell. „Wir erwarten aber auch neue Ergebnisse, die Einzug in die Lehrbücher halten könnten.“

Ansprechpartner:
Professor Dr. Thomas Carell
Department für Chemie und Biochemie
Tel.: 089 / 2180-77755
E-Mail: Thomas.Carell@cup.uni-muenchen.de

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Luise Dirscherl idw

Weitere Informationen:

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