Neue Waffe gegen Seuchen
Max-Planck-Forscher entdecken Mechanismus zur Bekämpfung gefährlicher Bakterien und legen Grundlage für neue Generation von Antibiotika
Ununterbrochen findet in unserem Körper ein Kampf zwischen Krankheitserregern und dem Immunsystem statt. Die erste Abwehrfront gegen solche Eindringlinge sind weiße Blutzellen, die Mikroorganismen aufnehmen und eliminieren können. Prof. Arturo Zychlinsky, Max-Planck-Institut für Infektionsbiologie, und Yvette Weinrauch, New York University School of Medicine, haben jetzt herausgefunden, wie es den weißen Blutzellen mit Hilfe des Enzyms Elastase gelingt, die krankmachenden Waffen von Bakterien lahm zu legen (Nature, 2. Mai 2002). Mit diesem Wissen lassen sich neuartige Antibiotika gegen gefährliche Infektionskrankheiten, wie Ruhr oder Typhus, schneidern.
Weiße Blutzellen, Leukozyten, nehmen in den menschlichen Körper eindringende Bakterien auf. In der Zelle gelangen die Bakterien in ein membranumschlossenes Kompartiment, die so genannte Vakuole, in der sie durch giftige Substanzen abgetötet werden. Dieser Abwehrmechanismus ist auch die Grundlage dafür, warum unser Organismus in der Regel mit kleinen Wunden oder milden Infektionen fertig werden kann. Doch manchmal werden wir von Bakterien infiziert, die mit hoch entwickelten Waffen ausgestattet sind, welche eben diese weißen Blutzellen angreifen, die uns eigentlich verteidigen sollen. Das ist zum Beispiel bei Dysenterie (Ruhr) der Fall, einer lebensbedrohlichen Form von blutigem Durchfall, der durch das Bakterium Shigella verursacht wird. Dysenterie ist eine schwerwiegende Erkrankung, die jedes Jahr Millionen von Todesopfern fordert, insbesondere unter Kindern in Entwicklungsländern.
Shigella nutzt krankheitsvermittelnde Proteine, um menschliche Zellen zu beeinflussen. Mit Hilfe dieser Proteine vermag Shigella in kürzester Zeit in jede beliebige Körperzelle einzudringen und aus dem Gefängnis innerhalb der Zellen, d. h. der Vakuole, zu entkommen. Bei der Untersuchung dieses Mechanismus stießen Weinrauch und Zychlinsky auf den folgenden Widerspruch: Wenn Shigella aus der Vakuole der Abwehrzellen „fliehen“ kann, in der das Bakterium eigentlich getötet werden soll, dann müssten Shigella-Infektionen eigentlich immer tödlich verlaufen. Doch glücklicherweise erholen sich die meisten Menschen nach einer akuten Ruhr-Infektion wieder.
Die Forscher vermuteten die Lösung dieses Widerspruchs in einem bestimmten Typ von weißen Blutzellen, den neutrophilen Granulozyten: Zum einen treten diese Blutzellen bei Shigella-Infektionen in großer Zahl auf, zum anderen sind sie mit Waffen ausgerüstet, die Bakterien töten können, wenn diese in eine Vakuole eingesperrt sind. In Zusammenarbeit mit Jerry Weiss, der jetzt an der Iowa University arbeitet, fanden Zychlinsky und Weinrauch zu ihrer Überraschung heraus, dass Shigellen, anders als in anderen Zellen, in neutrophilen Blutzellen tatsächlich in Vakuolen eingeschlossen bleiben und sich nicht daraus befreien können.
Abb. 1a und 1b: Menschliche neutrophile Blutzellen, die von Shigella-Bakterien infiziert sind. Shigella-Bakterien sind zehnmal kleiner als eine neutrophile Blutzelle. Deshalb ist in den Bildern nur jener Teil der neutrophilen Zellen zu sehen, in dem sich das Shigella-Bakterium befindet. Der Buchstabe „S“ steht für Shigella, „N“ für neutrophile Blutzelle. In Abb. 1a ist das Protein Elastase aktiv und das Shigella-Bakterium in einer Vakuole eingeschlossen. Hingegen wurde in der Zelle in Abb. 1b Elastase deaktiviert – im Ergebnis ist das Bakterium außerhalb der Vakuole. Foto: Max-Planck-Institut für Infektionsbiologie |
Warum bleibt Shigella in den Vakuolen der neutrophilen Blutzelle? Auf der Suche nach der Antwort entdeckten die Forscher einen Mechanismus, mit dem die neutrophilen Blutzellen nicht nur Shigella, sondern auch andere Infektionserreger entwaffnen. Neutrophile Blutzellen produzieren nämlich das Enzym Elastase, das mit einer beeindruckenden Effizienz krankheitsvermittelnde Proteine erkennen und zerstören kann. Dazu gehören auch die Proteine, welche Shigella für die Flucht aus der Vakuole benötigt. Auf diese Weise halten die neutrophilen Blutzellen Shigella so lange gefangen, bis andere Abwehrmechanismen mobilisiert sind, die das Bakterium zerstören. Hingegen können neutrophile Blutzellen mit deaktivierter Elastase Shigellen nicht in der Vakuole zurückhalten, so dass die Bakterien den Angriff überleben und als Sieger hervorgehen, wie gemeinsame Tests zeigten, die gemainsam mit Steve Shapiro von der Harvard Medical School durchgeführt wurden. Hierbei stellten die Forscher außerdem fest, dass Elastase nicht nur die krankheitsvermittelnden Proteine von Shigellen zerstören kann, sondern auch die von Salmonellen und Yersinien, den Erregern von Typhus und Pest.
Prof. Arturo Zychlinsky, Direktor am Berliner Max-Planck-Institut für Infektionsbiologie, sieht wichtige Anwendungsmöglichkeiten seiner Forschungsergebnisse: „Noch haben wir eine Reihe von Fragen nicht beantwortet, wie zum Beispiel: Wie wird die Elastase rechtzeitig bereitgestellt? Wie kann sie die krankheitsvermittelnden von normalen Proteinen eines Bakterium unterscheiden? Doch trotzdem ermöglicht unsere Entdeckung bereits jetzt die Entwicklung einer neuer Generation von Antibiotika, die darauf abzielen, krankheitsvermittelnde Proteine von Infektionserregern zu neutralisieren, statt wie bisher ohne Unterschied jeden Mikroorganismus“.
Originalarbeit:
Neutrophil elastase targets virulence factors of enterobacteria, Nature, 2. Mai 2002
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