Bisher unbekannte Funktionen von Genen aufgedeckt

Proteom-Landkarte: Wie interagieren verschiedene Gene und Prozesse bei der Proteinproduktion miteinander? Woran sind möglicherweise bislang unbekannte Gene beteiligt? Die Grafik veranschaulicht Einflüsse nicht essenzieller Gene auf das Proteom von Hefestämmen. Jede Linie steht für einen anderen biologischen Prozess und verbindet ein jeweils im Genom entferntes Gen mit den entsprechenden in ihrer Funktion bekannten Genen.
© Charité | Institut für Biochemie

Charité-Forschende erstellen größte zelluläre Proteomstudie an Hefezellen.

Das Proteom beschreibt die Gesamtheit aller aktiven Eiweißmoleküle in einem Organismus, einem Gewebe oder einer Zelle unter festgelegten Bedingungen und zu einem bestimmten Zeitpunkt. Ein internationales Forschungsteam unter der Leitung von Wissenschaftler:innen der Charité – Universitätsmedizin Berlin, des Francis Crick Institute in London, der Universitäten Zürich und Edinburgh hat jetzt die umfassendste zelluläre Proteom-Landkarte auf der Basis von Hefen als Modellorganismen erstellt. Sie gibt Einblick in bislang unerforschte Gene und die Art und Weise, wie Proteine entsprechend ihrer Bauanleitung hergestellt und reguliert werden. Die Studie ist im aktuellen Fachjournal Cell* erschienen.

Trotz jahrzehntelanger Forschung ist die Funktion vieler Gene immer noch unbekannt. Das schränkt unser Verständnis bestimmter, mitunter seltener Krankheiten ein und erschwert die Entwicklung neuer Therapien. Auch im Fall von Hefe- und Bakterienzellen fehlt grundlegendes Wissen, um neue Antimykotika oder Antibiotika zu entwickeln, die wegen zunehmender Arzneimitteltoleranzen und -resistenzen dringend benötigt werden. Die aktuelle Studie zählt zu den weltweit umfassendsten Proteomstudien.

Um die Aufgabe von Genen, denen bisher noch keine genaue Funktion zugeordnet werden konnte, genauer zu umreißen, hat das Forschungsteam Hefezellen eingehender untersucht. Ziel war es, entscheidende Informationen zu gewinnen, die Rückschlüsse auf Auswirkungen genetischer Mutationen zulassen und dazu beitragen, diagnostische Lücken zu schließen. Die Forschenden wollten offenlegen, wie bestimmte Eiweiße im Einzelnen hergestellt und reguliert werden, um nicht zuletzt einen Grundstein für die Entwicklung neuer Medikamente zu legen.

Forschungsleiter Prof. Dr. Markus Ralser, Direktor des Instituts für Biochemie und Einstein-Professor für Biochemie an der Charité, erklärt: „Wir haben eine Sammlung von Hefestämmen genutzt, die von einem internationalen Konsortium generiert wurde und in der alle nicht essenziellen Gene in mindestens einem Stamm fehlten. Wir haben dazu die Massenspektrometrie genutzt, eine Technologie, die Tausende von Proteinen parallel bestimmen kann, um jeden dieser Stämme zu charakterisieren. Das hat schlussendlich zu dieser bisher größten Proteomstudie geführt.“ Dabei konnten die Forschenden allgemeine Prinzipien ausfindig machen, die der Produktion von Proteinen zugrunde liegen. So konnte die Studie für eine große Anzahl an Proteinen bestimmen, inwieweit deren Funktion oder auch deren biophysikalischen Eigenschaften für die Produktion von Bedeutung sind. Im Zuge der Untersuchungen entstanden umfangreiche Daten über zuvor wenig erforschte Eiweißmoleküle. Gleichzeitig konnte das Team neue Methoden zur Zuweisung von Genfunktionen entwickeln.

Mittels Massenspektrometrie, insbesondere speziellen Proteomtechniken, die die Forschenden um Prof. Ralser in den vergangenen Jahren entwickelt haben, sind die Mengen der jeweiligen Eiweiße in den einzelnen Hefestämmen, in Abwesenheit aller nicht essenziellen Gene ermittelt worden. „Die dabei gewonnenen Erkenntnisse haben das Potenzial, das Verständnis der Zellbiologie grundlegend zu verbessern und neue Einblicke in die Genfunktion bei Lebewesen, deren Zellen einen Zellkern besitzen, sogenannten Eukaryoten, zu geben“, sagt Dr. Georg Kustatscher, der mit seiner Forschungsgruppe an der Universität Edinburgh die riesigen Datenmengen der Studie analysiert hat und resümiert: „Die Proteome, die wir in der Studie abbilden konnten, enthalten wichtige Informationen für Angriffspunkte potenzieller neuer Medikamente, die Hoffnung auf zukünftige Behandlungsoptionen geben.“

Eine Kooperation zwischen Forschungsteams an der Charité, dem Londoner Francis Crick Institute und der Universität Edinburgh hat die umfassende Studie erst möglich gemacht. Ebenso beigetragen haben Labore in Cambridge und an der Universität Toronto. Hier wurden neuartige Proteomtechnologien und Methoden der funktionellen Genomik entwickelt, die in der Studie zum Einsatz kamen. Prof. Dr. Christoph Messner, jetzt Gruppenleiter an der Universität Zürich, hat die Arbeiten am Francis-Crick-Institute in London verantwortet und betont: „Zu unserer Überraschung ergab die Studie, dass die Reaktion eines Proteins auf jede Mutation stärker von seinen biophysikalischen Eigenschaften abhängt als von seiner Funktion. Das eröffnet einen neuen Blick bei der Analyse von großen biologischen Daten, die mit modernen Sequenzier- oder massenspektrometrischen Techniken bereits häufig erhoben werden, aber oft noch schwer zu interpretieren sind.“ Aus diesem Grund vermuten die Forschenden, dass die Ergebnisse der vorliegenden Arbeit weitreichende Auswirkungen auf dem Gebiet der Biowissenschaften haben werden.

Die Untersuchung stellt wesentliche Informationen über die Funktion von Genen und das Zustandekommen von Proteinen bereit. Sie ebnet den Weg für zukünftige Durchbrüche im Bereich der Mikrobiologie. Derzeit bereitet das Team eine ähnliche Studie an menschlichen Zellen vor mit dem Ziel, weitere Informationen über noch unbekannte Gene zu generieren. Auch wollen die Forschenden die an Hefen erstellten Proteom-Landkarten mit anderen molekularen Daten verknüpfen, um dazu beizutragen, dass bessere Therapien für Pilzerkrankungen gefunden werden können.

*Messner CB et al. The proteomic landscape of genome-wide genetic perturbations. Cell 2023. doi: 10.1016/j.cell.2023.03.026

Massenspektrometrie
Die Massenspektrometrie ist ein technisches Verfahren zur Analyse der Masse von Molekülen und Atomen. Die zu untersuchende Substanz wird dabei in eine Gasphase überführt und anschließend ionisiert. Die entstandenen Ionen werden mithilfe eines elektrischen Feldes stark beschleunigt und in der Analyseeinheit des Massenspektrometers nach dem Verhältnis ihrer Masse zu ihrer Ladung sortiert. Das Massenspektrum einer Substanz gibt Aufschluss über ihre molekulare Zusammensetzung. Daher eignet sich die Massenspektrometrie zur Identifizierung, Charakterisierung und Quantifizierung einer Vielzahl von Biomolekülen, wie Proteinen, Metaboliten, Zuckern und Fetten, die sich je nach Krankheitsbild und Individuum anders verhalten.

Über die Studie
Teile der Arbeit wurden durch eine Zusammenarbeit zwischen Wissenschaft und Industrie finanziert, an der unter anderem ein Hersteller von Massenspektrometern (Sciex) und das Biotechnology and Biological Sciences Research Council (BBSRC) in London beteiligt waren. Weitere Unterstützung leistete der Wellcome Trust im Rahmen eines Investigator Award und der Europäische Forschungsrat mit einem Synergy Grant.

Wissenschaftliche Ansprechpartner:

Prof. Dr. Markus Ralser
Direktor des Instituts für Biochemie
Charité – Universitätsmedizin Berlin
t: +49 30 450 528 142
Email: markus.ralser@charite.de

Originalpublikation:

https://www.cell.com/cell/pdf/S0092-8674(23)00300-8.pdf

Weitere Informationen:

https://biochemie.charite.de/
https://ralser.group/
https://www.charite.de/service/pressemitteilung/artikel/detail/erc_synergy_proje…
https://www.crick.ac.uk/

http://www.charite.de

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