Blockieren eines Eiweißmoleküls
… macht aggressive Hirntumoren sensibler für Strahlen- und Chemotherapie.
Jedes Jahr erkranken in Deutschland rund 8.000 Menschen an einem Hirntumor. Als besonders aggresiv gilt dabei das Glioblastom, da die Tumorzellen schnell wachsen und in das gesunde Gehirn einwandern. Die Überlebenschancen sind oft gering, reichen von wenigen Monaten bis hin zu anderthalb Jahren. Die Behandlung kombiniert eine Operation mit anschließender Strahlen- und Chemotherapie. Doch allzu häufig zeigt sich das Glioblastom resistent gegen dieses Vorgehen. Dresdner Forscher*innen wollen die biologischen Zelleigenschaften des Glioblastoms so verändern, dass sie empfindlicher für die Therapie werden. Helfen könnten dabei neue Erkenntnisse zu einem bestimmten Eiweißmolekül.
„Die Behandlung eines Glioblastoms ist schwierig“, erklärt Prof. Nils Cordes, Leiter Strahlenbiologie am Nationalen Zentrum für Strahlenforschung in der Onkologie – OncoRay, das die Medizinische Fakultät und das Universitätsklinikum Carl Gustav Carus der TU Dresden sowie das HZDR gemeinsam tragen. Eine Operation ist nicht ohne Risiko, weil das Tumorgewebe von sensiblen Hirnstrukturen umgeben ist. Das erfordert auch ein sehr vorsichtiges Vorgehen bei der Strahlenbehandlung, um Gewebeschäden in der Umgebung so gut es geht auszuschließen.
„Unsere Bestrahlungsmöglichkeiten und die Kombination von Therapien verbessern die Heilungschancen bei Krebserkrankungen“, erläutert Prof. Mechthild Krause, Direktorin der Klinik und Poliklinik für Strahlentherapie und Radioonkologie sowie Direktorin des OncoRay-Zentrums. „Unsere wissenschaftliche Arbeit ist daher von einer hohen Dynamik geprägt, um die Vielzahl an Perspektiven für schonendere und wirkungsvollere Behandlungsstrategien für Therapie und Erforschung von Tumorerkrankungen auszuloten.“
Die Direktorin der Klinik und Poliklinik für Strahlentherapie und Radioonkologie sowie Dekanin der Medizinischen Fakultät der TU Dresden, Prof. Esther Troost, ergänzt: „Hier greift die in Dresden als einem von nur wenigen Standorten in Deutschland etablierte Protonentherapie als ein besonders präzises Bestrahlungsverfahren, das sich in den vergangenen Jahren enorm entwickelt hat und für die kurativ-intendierte Bestrahlung angewendet wird.“
Ein möglicher Weg für die schonende Strahlenbehandlung führt über die extrazelluläre Matrix. Seit über 20 Jahren beschäftigt sich eine Forschungsgruppe im OncoRay bereits mit diesem Proteingerüst, das im ganzen Körper unterschiedlich verteilt ist. Die Zellen heften dort an und geben allem eine Struktur – gleich eines Klebstoffes. Zudem hat dieses Proteingerüst Anteil daran, wie im Organismus Zellfunktionen, zum Beispiel die Zellteilung oder -wanderung, gesteuert werden.
Tumorzellen und andere, nicht entartete Zellen, die sich in einem Tumor befinden, produzieren solche Matrixproteine im Übermaß. „Das heißt, die Matrix im normalen Gehirn ist ganz anders als in einem Glioblastom“, erklärt Cordes. Der Grund dafür ist noch unbekannt. „Unser Ansatz ist, die Rezeptoren auf den Zellen, die ihnen das Anheften an die Matrix ermöglichen, zu blockieren oder herunter zu regulieren.“ Möglich ist das beispielsweise durch den Einsatz von Antikörpern oder Peptiden. Sie können die Verbindung zwischen Zellen und Matrix schwächen oder deaktivieren. Das führt dazu, dass die Tumorzellen nach Bestrahlung, Chemotherapie oder einer molekularen Therapie schlechter überleben.
In der aktuellen Untersuchung beschäftigten sich die Forscher*innen mit dem Oberflächenprotein Integrin α2. Integrine verbinden Zellen mit anderen Zellen und sind für den Zelleinbau in die Matrix zuständig. Sie konnten mit der Arbeit zeigen, dass die Hemmung des Integrin α2 die Überlebensfähigkeit der Tumorzellen bei einer kombinierten Strahlen- und Chemotherapie deutlich herabsetzt. Gerade der Blick auf die Wirkung bei dieser Kombination von Strahlen- und Chemotherapie sei wichtig, weil diese Behandlungsmethode für viele Patient*innen heute Standard ist. Ein Mangel an Integrin α2 hemmt zudem das Tumorwachstum. Das könnte sich positiv auf die Überlebenschancen Betroffener auswirken. Weitere Untersuchungen legten außerdem nahe, dass der Ansatz auch bei Kopf- und Halstumoren erfolgsversprechend sein könnte. Inwieweit Vorteile bei der Behandlung weiterer Krebsarten bestehen, muss sich künftig noch zeigen, da es weltweit noch sehr wenige Arbeiten über das Integrin α2 gibt.
Der stärkere Blick auf Proteine in der Krebstherapie ist ein Punkt, der künftig immer wichtiger werden wird. Bislang legen Wissenschaft und Klinik das Hauptaugenmerk auf die Genetik, sie ist aber nur ein Baustein neben vielen anderen, wie den Proteinen. In einer früheren Arbeit schaute sich das Team deshalb die Zusammensetzung der zellulären Matrix in Glioblastomen verschiedener Patient*innen genauer an. „Ein überwiegender Teil besteht aus Collagenen“, schildert Cordes. Integrin α2 ist Teil eines Collagenintegrins. „Es gibt also durchaus die Chance, dass wir über die intensive Beschäftigung mit den Proteinen neue Lösungen finden.“
„Hier kommt die enge Verzahnung zwischen Forschung und Klinik zum Tragen, für die diese Arbeit ein gelebtes Beispiel ist“, schätzt Prof. Michael Albrecht, Medizinischer Vorstand des Universitätsklinikums Carl Gustav Carus Dresden, ein. „Nur durch die enge Zusammenarbeit von Forschergruppen können wir Perspektiven für Behandlungsansätze bei Krebserkrankungen entwickeln.“
Nun gilt es zu überprüfen, ob sich die positiven Ergebnisse zum Integrin α2 auch in den Effekten einer kombinierten Therapie widerspiegeln. „Wir wollen in einem nächsten Schritt in Labor-Experimenten herausfinden, wie effizient der Einsatz von Integrin α2-Hemmern bei einer kombinierten Strahlen- und Chemotherapie ist“, blickt Nils Cordes auf eine künftige Aufgabenstellung seiner Gruppe.
Wissenschaftliche Ansprechpartner:
Prof. Nils Cordes
Institut für Radioonkologie – OncoRay am HZDR
Tel.: +49 351 458 7401 | E-Mail: n.cordes@hzdr.de
Originalpublikation:
I. Korovina, A. Vehlow, A. Temme, N. Cordes: Targeting integrin α2 as potential strategy for radiochemosensitization of glioblastoma, Neuro-Oncology, 2023
(DOI: 10.1093/neuonc/noac237)
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