Chemische Abwehr gegen pflanzensaftsaugende Zikaden entschlüsselt
In einer neuen Studie in der Zeitschrift Science beschreiben Forschende des Max-Planck-Instituts für chemische Ökologie einen Mechanismus, der Koyotentabak vor pflanzensaftsaugenden Zikaden schützt. Durch die Kombination unterschiedlicher genetischer Screening-Methoden in Verbindung mit der Untersuchung der chemischen Veränderungen in den Tabakblättern identifizierten sie einen bislang unbekannten Abwehrstoff, der für die Resistenz gegenüber Zikaden wichtig ist, und charakterisierten die Gene für seine Biosynthese.
Pflanzen stehen auf der untersten Stufe der Nahrungskette und werden fortwährend Krankheitserregern und pflanzenfressenden Insekten bedroht. Doch die allermeisten Angreifer können aufgrund einer breiten Resistenz der Pflanzen, die man auch als Nicht-Wirts-Resistenz bezeichnet, keinen Schaden anrichten. Die Resistenz wirkt dauerhaft und effektiv. Allerdings sind die Mechanismen, die zur dieser Resistenz gegenüber pflanzenfressenden Schädlingen führen, weitgehend unbekannt. In einer neuen Studie konnten Forschende am Max-Planck-Institut für chemische Ökologie nun eine chemische Substanz, die für die Resistenz des Koyotentabaks (Nicotiana attenuata) gegenüber saugenden Blattzikaden (Empoasca spp.) verantwortlich ist, sowie die Gene, die für seine Produktion gebraucht werden, bestimmen. „Unsere Forschungen haben gezeigt, wie Pflanzen in der Natur die chemische Umprogrammierung zur Verteidigung gegen opportunistische Zikaden nutzen,“ fasst Erstautor Yuechen Bai die Ergebnisse zusammen.
Schon in 2004 hatten Wissenschaftler des Instituts bei Felduntersuchungen herausgefunden, dass Tabakpflanzen, deren Signalkaskade für die Abwehr auf der Grundlage des Pflanzenhormons Jasmonsäure ausgeschaltet worden war, unter anderem von blattsaugenden Zikaden befallen werden, die einer Pflanze mit funktionsfähiger Abwehr nichts anhaben können. Die Arbeit belegte, dass Pflanzen in der Natur permanent von Schädlingen „getestet“ werden, ob sie als Nahrungsgrundlage dienen können; die Pflanzen allerdings in den meisten Fällen in der Lage sind, sich wirksam zu verteidigen. In Einklang mit diesen Ergebnissen zeigte eine weitere Studie des Instituts, dass die Zikaden in natürlichen Tabakbeständen genau die Pflanzen besiedeln, deren Jasmonsäure-Signalweg schwächer ausgeprägt war als in anderen Beständen. „Allerdings war zu diesem Zeitpunkt noch unbekannt, welche spezifischen durch Jasmonsäure ausgelösten Abwehrmechanismen für die Resistenz gegenüber den Zikaden verantwortlich sind“, führt Dapeng Li, einer der Leiter der Studie, aus.
Um diese Frage zu beantworten, nutzten die Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen Kreuzungen aus 26 genetisch verschiedenen natürlichen Elternpaaren. Diese Population, die das Forschungsteam über insgesamt 9 Jahre nach einem festgelegten Schema gekreuzt hatte, wurde in ihrem natürlichen Lebensraum in Arizona, USA, ausgepflanzt, wo sie von opportunistischen Zikaden ungehindert angegriffen werden konnte. Wenn die Zikaden diese Pflanzen angriffen, konnten anhand der Stärke des Befalls die genetischen Grundlagen identifiziert werden, die diese Pflanze für Zikaden, die eine schwach ausgeprägte Abwehr zu ihrem Vorteil nutzten, zu einer Wirtspflanze machte.
Außerdem untersuchten die Forschenden, welche chemischen Veränderungen in den Pflanzen nach Befall ausgelöst und welche Gene aktiviert werden. Dabei fanden sie eine neue instabile Substanz, die sie abgekürzt mit CPH (Caffeoylputrescin-flüchtige grüne Blattverbindung) bezeichneten und die für eine dauerhafte Resistenz gegenüber Zikaden verantwortlich war. In bioinformatischer Detektivarbeit und durch die Verwendung von Pflanzen, die gezielt in bestimmten Genen der Abwehr und Signalübertragung verändert waren, konnten sie zeigen, welche drei Stoffwechselwege an der Produktion dieser Substanz beteiligt sind. Schließlich gelang es den Forschenden sogar, den Biosyntheseweg für den Abwehrstoff CPH in zwei verwandten Pflanzen, der Ackerbohne Vicia faba und der Tomatenart Solanum chilense, nachzubauen und dessen Wirksamkeit gegen Zikaden zu belegen.
„Durch die Verknüpfung ausgefeilter molekularbiologischer und chemisch-analytischer Methoden konnten wir nicht nur eine bislang unbekannten Abwehrstoff identifizieren und charakterisieren, sondern auch die Gene, die für seine Bildung verantwortlich sind,“ erläutert Ian Baldwin und führt weiter aus: „Man kann unser Vorgehen als „naturgeschichtlich geleitete Vorwärtsgenetik“ bezeichnen: Die Naturgeschichte und die Beobachtung des Fressverhaltens der Zikaden hat den Entdeckungsprozess vorangetrieben. Denn wenn es um Chemie geht, bleibt die Natur die beste Erfinderin.”
In weiteren Untersuchungen möchten die Forschenden verstehen, wie die Synthese des Abwehrstoffs in der Pflanze koordiniert wird und welche weiteren Faktoren und spezifischen Regulatoren gerade auch unter natürlichen Bedingungen für seine Produktion entscheidend sind. Diese Forschung kann wertvolle Erkenntnisse im Hinblick auf eine dauerhaft verbesserte Resistenz von Nutzpflanzen liefern. Zikaden der Gattung Empoasca, insbesondere die Amerikanische Kartoffelzikade Empoasca fabae, können durch das Saugen an den Blättern junger Pflanzen und die Übertragung von Viruserkrankungen große Ernteschäden anrichten. Höhere Temperaturen haben zu einer bedrohlichen Ausbreitung der Blattzikaden geführt. Gerade vor dem Hintergrund der durch den Klimawandel verursachten neuen Anforderungen an die Landwirtschaft ist die Grundlagenforschung zur Kontrolle dieser Schädlinge von großer Bedeutung.
Wissenschaftliche Ansprechpartner:
Prof. Dr. Ian T. Baldwin, Max Planck Institute for Chemical Ecology, Hans-Knöll-Str. 8, 07745 Jena, Germany, E-Mail baldwin@ice.mpg.de, Tel. +49 175 1804226
Dr. Yuechen Bai, , Max Planck Institute for Chemical Ecology, Hans-Knöll-Str. 8, 07745 Jena, Germany, E-Mail ybai@ice.mpg.de
Originalpublikation:
Bai, Y., Yang, C., Halitschke, R., Paetz, C., Kessler, D., Burkard, K., Gaquerel, E., Baldwin, I. T. Li, D. (2022). Natural history guided –omics reveals plant defensive chemistry against leafhopper pests. Science 375, eabm2948, doi: 10.1126/science.abm2948
https://doi.org/10.1126/science.abm2948
Weitere Informationen:
https://www.ice.mpg.de/2812/de Max-Planck-Institut für chemische Ökologie
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