Current Biology: Lippenschmatzen von Affen bietet Einblicke in die Evolution der Sprache
Neue Forschungsergebnisse stützen die These, dass sich die menschliche Sprache nicht vorrangig aus der Erzeugung von Lauten, sondern aus der kommunikativen Mimik heraus entwickelte. Das publiziert der W. Tecumseh Fitch, Leiter des Departments für Kognitionsbiologie der Universität Wien und ERC Grant-Preisträger gemeinsam mit WissenschafterInnen der Princeton University im renommierten Fachmagazin „Current Biology“.
WissenschafterInnen der beiden Universitäten arbeiteten mit Röntgenfilmen, anhand derer das Lippenschmatzen bei Makaken untersucht wurde. Viele Affenarten schmatzen in freundlichen „face-to-face“ Situationen, etwa zwischen Mutter und Jungtier. Obwohl es sich dabei um ein leises Geräusch („p p p p“) handelt, ist es nicht von einer Lautbildung begleitet, die durch Vibration der Stimmbänder im Kehlkopf entsteht.
Oberflächlich betrachtet, scheint das Lippenschmatzen durch schnelles Öffnen und Schließen der Lippen zu entstehen. Die Röntgenfilme zeigen aber, dass es sich um ein komplexes Verhalten handelt, bei dem schnelle und koordinierte Bewegungen der Lippen, des Kiefers, der Zunge sowie des Zungenbeins ablaufen. Darüber hinaus finden diese Bewegungen mit einer Rate von fünf Zyklen pro Sekunde in einer ähnlichen Geschwindigkeit wie menschliche Sprache statt, und sind doppelt so schnell wie Kaubewegungen. Obwohl das Lippenschmatzen oberflächlich an ein nachahmendes Kauen erinnert, unterschieden sich die eigentlichen Bewegungsabläufe deutlich davon, und ähneln denen der Sprache.
Faszinierendes Mienenspiel
Diese Beobachtungen stützen eine seit langem bestehende Hypothese von Peter MacNeilage und seinem Team von der University of Texas, der zufolge die Wurzeln der menschlichen Sprache nicht in den Primatenlauten, sondern dem faszinierenden Mienenspiel liegen, mit denen Affen kommunizieren. Die Bewegungen, die das Schmatzen der Lippen erzeugen, sind dem Wechsel von Vokalen und Konsonanten – also der Bildung von Sprecheinheiten/Silben – auffallend ähnlich.
Beeindruckend ist weiters, dass auch Schimpansen kommunikative Geräusche mit den Lippen produzieren, darunter lautes Schmatzen und Prusten, bei dem die Tiere ihre Lippen in Schwingung versetzen. Diese Ausdrucksformen scheinen willentlich kontrolliert zu sein und können – anders als Brüllen und Grunzen – auch erlernt werden. Orang-Utans beispielsweise sind dazu fähig, das Pfeifen zu lernen: Auch hier entsteht das Geräusch durch Lippen- und Zungenbewegungen und nicht durch den Kehlkopf.
Die Daten lassen darauf schließen, dass der Ursprung der menschlichen Sprache in einer evolutionären Kombination aus „traditioneller“ Phonation – sprich: Lauten, die von den Stimmbändern im Kehlkopf erzeugt werden – und schnellen, erlernten Bewegungen des Vokaltrakts liegt. Letztere haben stärkere Ähnlichkeit mit den Gesichtssignalen, die Primaten zur Kommunikation nutzen, als den Rufen, zu denen sie von Geburt an fähig sind. Noch im Dunkeln liegt der Ursprung der „singenden“ Komponente der menschlichen Sprache, die eine Kontrolle über den Kehlkopf erfordert.
Publication in „Current Biology“:
Cineradiography of Monkey Lip-smacking Reveals Putative Precursors of Speech Dynamics: Asif A. Ghanzanfar, Daniel Y. Takahashi, Neil Mathur and W. Tecumseh Fitch.
Current Biology, July 10, 2012 print issue. DOI: 10.1016/
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