Das genetische Geschenk der Schleimpilze an die Fadenwürmer

Umweltbedingungen beeinflussen die Aktivitäten von Zellulase-Genen (in Leuchtfarbe markiert). Ihr Vergleich deute darauf hin, dass Zellulase wichtig für das „Auspacken des Essens“ ist.
(c) Max-Planck-Institut für Biologie

Gentransfer zwischen nicht verwandten Arten im Netz des Lebens mit einzigartigen Vorteilen.

Eine Fadenwurmart der Gattung Pristionchus besitzt Gene zum Zelluloseabbau, die sie wahrscheinlich vor Millionen Jahren von Schleimpilzen bekommen hat. Forschende vom Max-Planck-Institut für Biologie haben dieses seltene Beispiel für horizontalen Gentransfer zwischen höheren Organismen gefunden und konnten auch die evolutionären Vorteile für den Wurm erklären: die fragliche Gene zu besitzen ist, wie eine Pizza mit dem Pizzakarton essen zu können.  Die Ergebnisse werden nun in der Fachzeitschrift Molecular Biology and Evolution veröffentlicht.

Ebenso wie Individuen ihr Erbgut vorwiegend in ‚vertikaler‘ Linie von ihren Eltern bekommen, erben Arten ihr Genom hauptsächlich vertikal von ihren direkten Vorfahren. Bildlich darstellen lassen sich diese Verwandtschaften im Baum des Lebens, in dem alle lebenden Organismen gemäß ihrer gemeinsamen Abstammung miteinander verbunden sind.

Horizontale Verknüpfungen im Netz des Lebens

Doch tatsächlich ist der Baum des Lebens eher ein Netz des Lebens mit unzähligen zusätzlichen horizontalen Verknüpfungen. ‚Horizontale’ genetische Verbindungen entstehen, wenn verschiedene Individuen oder Arten untereinander genetisches Material austauschen. Häufig tauschen zum Beispiel Bakterien Teile ihrer DNA miteinander aus – eine der Hauptursachen für Arzneimittelresistenz.

Eine dieser horizontalen Verbindungen im Netz des Lebens – und noch dazu eine überraschende – sind Zellulase-Gene, die vor etwa 15 Jahren in Pristionchus pacificus gefunden wurden. Pristionchus pacificus ist eine Nematodenart – kleine, nur wenige Millimeter lange Fadenwürmer. Dank den besagten Genen können sie Zellulose verdauen, den Hauptbestandteil von Baumwolle oder Papier. Doch wieso die Nematoden diese Gene besitzen, konnten die Forschenden bis vor kurzem nicht beantworten.

Ziduan Han, Leiter des Teams am Max-Planck-Institut für Biologie, das nun die biologische Funktion des Gens entschlüsseln konnte, kommentiert: „Zellulose wird hauptsächlich von Pflanzen hergestellt; aber unsere Pristionchus pacificus-Würmer ernähren sich von Mikroben, nicht von Pflanzen. Es ist also überhaupt nicht einleuchtend, wieso sie ein Gen zum Verdauen von Zellulose besitzen.“

Vergleiche der Gene verschiedener Arten legen Ursprung bei Schleimpilzen nahe

Die Gene bewirken, dass der Wurm das Enzym Zellulase produziert. Zellulase wird von vielen Mikroorganismen hergestellt, um Zelloluse in Einfachzucker zu zerlegen; dieses Enzym ermöglicht es ihnen erst, Pflanzen zu verdauen. Ebenso wie viele Mikroben sondert Pristionchus pacificus in seine Nahrung ab – in einen von Bakterien produzierten schleimigen Biofilm.

Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler nachverfolgen, woher die Gene stammen, indem sie sie mit Zellulase-Genen anderer Arten verglichen. Mit großer Wahrscheinlichkeit hat der Wurm das Gen von einem Schleimpilz bekommen, einer Art Amöbe. „Horizontaler Gentransfer zwischen Eukaryoten – Organismen mit echtem Zellkern wie Tiere oder Pflanzen, oder in diesem Fall Wurm und Amöbe – ist ein wirklich seltener Fund“, betont Han.

Die Pizza mit dem Pizzakarton essen: ein evolutionärer Vorteil

Doch was Han wirklich faszinierte, war die Frage nach der evolutionären Rolle der Gene: „Das wahre Rätsel war: Warum hat die Evolution ein Gen zur Pflanzenverdauung begünstigt – in Würmern, die keine Pflanzen fressen?“ Die Würmer erwarben das vor mindestens einem Dutzend Millionen Jahre das Gen zunächst rein zufällig. Doch seitdem hat es sich nicht nur im Erbgut erhalten, sondern wurde vervielfältigt und ist nun achtfach im Genom der Nematoden vorhanden.

Um die Gründe dafür zu verstehen, schalteten Han und sein Team das achtfach vorhandene Zellulase-Gen mittels CRISPR in einigen Nematoden aus. Den so entstandenen Mutanten ging es gut, aber im Vergleich mit Zellulase-Produzenten waren sie abgeschlagen: Sie hatten weniger Nachwuchs und ihr Entwicklungszyklus lief langsamer ab.

Zellulose ist in kleinen Mengen in dem bakteriellen Biofilm enthalten, von dem sich die Nematoden ernähren. Durch sie wird der Biofilm stabiler, und damit wird es schwieriger für die räuberischen Nematoden, die Bakterien zu fressen. Indem sie Daten von Mutanten und Wildtypen in verschiedenen Ernährungslagen analysierten, konnten die Forschenden schließen, dass die Würmer von Zellulase-Ausscheidung auf zwei verschiedene Arten profitieren: Sie brechen mit Hilfe der Zellulase den Biofilm auf, um an die darin enthaltenen Nährstoffe zu gelangen, und sie verdauen außerdem die im Biofilm enthaltene Zellulose. „Zellulase abzusondern ist wie die Fähigkeit, eine Pizza gleich mit dem Pizzakarton essen zu können“, erläutert Han. „Man hat den doppelten Nutzen, einerseits zusätzliche Nährstoffe aus dem Karton zu gewinnen und andererseits direkt mit dem Essen anfangen zu können, ohne den Karton zu öffnen.“

Als nächstes möchte Han untersuchen, welche Rolle Wettbewerb und Kooperation spielen, wenn andere Nematoden versuchen, von der Zellulase ihrer Artgenossen zu profitieren.

Ziduan Han wird von der Humboldt Research Fellowship gefördert.

Wissenschaftliche Ansprechpartner:

Dr. Ziduan Han
Max-Planck-Institut für Biologie Tübingen
Email: ziduan.han@tuebingen.mpg.de

Originalpublikation:

Ziduan Han, Bogdan Sieriebriennikov, Vladislav Susoy, Wen-Sui Lo, Catia Igreja, Chuanfu Dong, Aileen Berasategui, Hanh Witte, Ralf J Sommer: Horizontally Acquired Cellulases Assist the Ex-pansion of Dietary Range in Pristionchus Nematodes, Molecular Biology and Evolution, Volume 39, Issue 2, February 2022, msab370, https://doi.org/10.1093/molbev/msab370

https://www.bio.mpg.de

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