Das Navigationssystem im Kopf

Die interne Zielkarte des Gehirns dient Tieren als Kompass, um zu einem gewünschten Ort zu navigieren.
(c) Max-Planck-Institut für Hirnforschung / J. Kuhl

Forschende entdecken die interne Zielkarte des Gehirns, die es Tieren ermöglicht, präzise zu einem gewählten Ort zu navigieren.

Tiere, darunter Nagetiere und Menschen, können zu einem gewünschten Ort navigieren, indem sie sich auf die interne kognitive Karte des Gehirns verlassen. Während frühere Studien spezialisierte Neuronen identifiziert haben, die uns helfen, unsere eigene Position und Richtung im Raum zu bestimmen, ist die Frage, ob das Gehirn eine genaue Schätzung eines zukünftigen Zielortes verarbeiten kann, seit langem ungelöst. Wissenschaftler*innen des Max-Planck-Instituts für Hirnforschung in Frankfurt haben nun einen neuronalen Code für räumliche Ziele entdeckt. Damit haben sie die Existenz einer Zielkarte des Gehirns nachgewiesen, die uns über Raum und Zeit zu einem entfernten Ort führt.

Ein innerer Kompass

Um eine einfache alltägliche Aufgabe zu erledigen, wie z. B. die Planung des Supermarktbesuchs, müssen wir uns den Einkaufsladen vorstellen, während wir noch zu Hause sind, damit unser Gehirn die beste Route für die bevorstehende Reise dorthin berechnen kann. Aber wie kann die räumliche Karte des Gehirns gleichzeitig zwei Orte darstellen – unser Zuhause, das wir mit den meisten Sinnen wahrnehmen können, und den Supermarkt, der sich außerhalb der Reichweite unserer Sinneswahrnehmung befindet? Diese Frage beschäftigt Neurowissenschaftler*innen seit 50 Jahren.

„Seit der mit dem Nobelpreis ausgezeichneten Entdeckung der Ortszellen durch John O’Keefe und Kolleg*innen im Jahr 1971 hat sich die Forschung zur räumlichen Navigation hauptsächlich auf die Eigenschaften von Neuronen konzentriert, die auf die momentane Position oder Richtung des Tieres abgestimmt sind“, sagt Hiroshi Ito, Forschungsgruppenleiter am Max-Planck-Institut für Hirnforschung. Er leitete die neue, in der Fachzeitschrift Nature veröffentlichte Studie. Wissenschaftliche Arbeiten der vergangenen Jahrzehnte haben uns ein besseres Verständnis dafür vermittelt, wie wir unsere Position und Richtung im Raum verfolgen können. Der Nachweis für die Zielverortung – ein weiterer grundlegender Aspekt der räumlichen Navigation – fehlte jedoch bisher fast vollständig.

„Wir haben dieses Rätsel gelöst, indem wir gezeigt haben, dass ein künftiges Ziel als Muster neuronaler Aktivität dargestellt wird, das dem Muster früherer Besuche an einem Zielort (wie dem Supermarkt) ähnelt. Wir fanden allerdings heraus, dass dieses Aktivitätsmuster nur dann wiederauftritt, wenn das Tier beschließt, denselben Ort als Navigationsziel anzusteuern – unabhängig davon, wo sich das Tier tatsächlich befindet“, sagt Ito.

„Wir haben eine Aufgabe entwickelt, bei der eine Ratte einen entfernten Ort aufsuchen muss, an dem eine Belohnung auf sie wartet. Wo die Belohnung versteckt ist, ändert sich ständig, sodass die Ratte ihren Zielort ständig aktualisieren muss“, erklärt Raunak Basu, Postdoc im Ito Labor und Erstautor der neuen Studie. Als mögliche Hirnregion, die ein zukünftiges Ziel repräsentiert, konzentrierten die Forschenden sich auf den orbitofrontalen Kortex (OFC) – eine Unterregion des präfrontalen Kortex – von der Neurowissenschaftler*innen annehmen, dass sie an der Entscheidungsfindung beteiligt ist, die aber unter dem Aspekt der räumlichen Navigation noch relativ unerforscht ist.

Entschlüsselung eines neuronalen Codes für zukünftige Ziele

Um die neuronalen Muster im OFC zu untersuchen, zeichneten die Forschenden gleichzeitig die Aktivität von Hunderten von Neuronen auf. „Wir erreichten diese Messungen indem wir speziell angefertigte Aufzeichnungsgeräte verwendeten, die bis zu 60 ultradünne Drähte in das Rattenhirn einführen können. Mit diesen Geräten konnten wir die Aktivitätsmuster des OFC überwachen. Und zwar von dem Zeitpunkt an, an dem die Ratten ihren Weg antraten, bis zum Erreichen des Zielortes. Mit Hilfe statistischer Techniken zur Dekodierung bestätigten wir, dass diese Muster signifikante Ähnlichkeiten aufweisen, was beweist, dass das zukünftige Ziel während der gesamten Dauer der Navigation im OFC präsent ist“, sagt Basu.

Störung von OFC-Neuronen führt zu Navigationsfehlern

Angeregt durch ihre Entdeckung untersuchten Basu und Kolleg*innen auch, ob die Aktivität der OFC-Neuronen das Ziel des Tieres beeinflusst. Zu diesem Zweck störten sie die OFC-Neuronen zu Beginn des Weges mit gepulstem Laserlicht. „Es hat mich sehr überrascht, dass die Ratte, die die Navigationsaufgabe bis dahin fast perfekt löste, nach der Störung plötzlich unwissend am Ziel vorbeilief und stattdessen einen falschen Ort ansteuerte“, erinnert sich Basu. „Diese Fehlsteuerung der Navigation löste sich jedoch auf, sobald die Störung aufhörte. Dies deutet darauf hin, dass die Beeinträchtigung nicht auf einen allgemeinen Verlust des Zielgedächtnisses zurückzuführen ist.“

Ito fügt abschließend hinzu: „Unsere Arbeit deutet auf ein paralleles internes Kartensystem im Gehirn hin, das sich mehr auf die Darstellung eines Ziels konzentriert als auf vorübergehende Orte, die das Tier während der Navigation passiert. Interessanterweise verwendet das Gehirn also mehrere Kartensysteme, die nicht nur die gegenwärtige Position im Raum verfolgen, sondern auch die zukünftige, was wahrscheinlich eine neuronale Grundlage für unsere genaue und flexible Navigationsfähigkeit darstellt“.

Wissenschaftliche Ansprechpartner:

Dr. Hiroshi Ito
Forschungsgruppenleiter
Max-Planck-Institut für Hirnforschung,
Frankfurt am Main
+49 69 850033-1410
hiroshi.ito@brain.mpg.de

Originalpublikation:

Raunak Basu, Robert Gebauer, Tim Herfurth, Simon Kolb, Zahra Golipour, Tatjana Tchumatchenko, and Hiroshi T. Ito. The orbitofrontal cortex maps future navigational goals. Nature (2021). DOI: https://doi.org/10.1038/s41586-021-04042-9

http://www.brain.mpg.de/

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Max-Planck-Institut für Hirnforschung

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