Den Artgrenzen auf der Spur
Hybridisierungsmuster von zwei Schlangenarten liefern neue Einsichten.
Was ist eigentlich eine Art? Diese uralte Frage lässt sich bis heute nicht universell beantworten, aber die Erforschung konkreter Fallbeispiele trägt zu einem besseren Verständnis bei. Ein Forschungsteam der Zoologischen Staatssammlung München (SNSB-ZSM) und der Senckenberg Naturhistorischen Sammlungen Dresden hat die Hybridzone von zwei Ringelnatterarten im bayerischen Priental untersucht. Obwohl sich diese Arten fruchtbar kreuzen können, beschränkt sich die Hybridzone im Wesentlichen auf eine Breite von nur wenigen Kilometern. Die Studie ist heute in der Fachzeitschrift Salamandra – German Journal of Herpetology erschienen.
Wenn die Verbreitungsgebiete von zwei, nahe verwandten Tierarten aneinanderstoßen, bilden sie an diesen Grenzen oft Hybridzonen aus, in denen sich beide Arten miteinander kreuzen. In manchen Fällen können sich deren Nachkommen sogar weiter fortpflanzen. Diese Vermischung ist allerdings oft räumlich sehr begrenzt. Schmale Hybridzonen deuten darauf hin, dass die Vermischung der beiden Arten erheblich eingeschränkt ist und können als Beleg für das Vorhandensein von Artgrenzen dienen.
Das Forschungsteam aus München und Dresden hat in einer neuen Studie das Gebiet, in dem die Italienische Barrenringelnatter (Natrix helvetica sicula) und die Ringelnatter (Natrix natrix) aufeinandertreffen, genauer untersucht. Um die Hybridzone der beiden Schlangenarten genauer zu verstehen, untersuchte das Team zwei genetische Marker (DNA aus den Mitochondrien und Mikrosatelliten aus dem Zellkern) und die Zeichnungsmuster auf Kopf und Körper von 49 Nattern aus dem Priental. Dabei stellte sich heraus, dass im oberen Priental vor allem reine oder fast reine Barrenringelnattern vorkommen, im unteren Priental zum Chiemsee hin dagegen reine oder fast reine Ringelnattern.
Verbreitung von Natrix natrix und Natrix helvetica im Priental, basierend auf (A) Zeichnungsmerkma-len, (B) DNA aus den Mitochondrien und (C) Mikrosatelliten aus dem Zellkern. (c) A. Neumann / SNSB – Zoologische Staatssammlung München
„Die hauptsächliche Hybridisierungszone liegt in einem nur vier Kilometer breiten Abschnitt um den Ort Aschau im zentralen Priental und ist damit deutlich enger als wir erwartet hatten“ sagt Erstautor Adrian Neumann, der diesem Thema seine Bachelorarbeit an der Zoologischen Staatssammlung München (SNSB-ZSM) gewidmet hat.
„Unsere genetischen Datensätze und die Zeichnungsmuster der Nattern bestätigen unabhängig voneinander eine extrem enge Hybridzone. Das deutet auf eine starke negative Selektion der Hybriden und eine Stabilisierung der Hybridzone durch Umweltgradienten hin. Die Hybriden könnten zum Beispiel weniger lebensfähige Nachkommen haben“, ergänzt Prof. Uwe Fritz von den Senckenberg Naturhistorischen Sammlungen Dresden.
„Unsere Ergebnisse bestätigen sehr deutlich, dass sich Ringelnatter und Barrenringelnatter fruchtbar miteinander fortpflanzen können. Dennoch kommt es hier nicht zu einer großflächigen, diffusen Vermischung beider Formen. Das zeigt uns einmal mehr, dass es sich hier um zwei verschiedene Arten handelt“ sagt Dr. Frank Glaw, Kurator für Reptilien und Amphibien an der Zoologischen Staats-sammlung München (SNSB-ZSM). „Bis heute wird in der Schule oft noch das biologische Artkonzept gelehrt, wonach zwei Individuen zu einer Art gehören, wenn sie fruchtbare Nachkommen haben können. Doch dieses Konzept ist längst überholt. Eisbären und Grizzlybären, aber auch viele Katzenarten wären beispielsweise nach dem biologischen Artkonzept streng genommen keine unterschiedlichen Spezies, denn in der Natur kommt es immer wieder zu fruchtbaren Hybridisierungen zwischen diesen Arten.“
Aber wie sonst kann man Arten definieren? „Eine mögliche Antwort ist, dass sich Arten im Evolutionsverlauf weitgehend unabhängig voneinander entwickeln, wodurch sie sich durch eine Kombination von genetischen und morphologischen Unterschieden und oft auch über ein relativ scharf begrenztes Verbreitungsgebiet mit engen Hybridzonen definieren lassen“, resümiert Prof. Uwe Fritz.
Diese Kriterien erfüllt auch die Barrenringelnatter (Natrix helvetica), die bis zum Jahr 2017 noch als Unterart der weit verbreiteten Ringelnatter (Natrix natrix) betrachtet wurde. Frühere Untersuchungen hatten bereits gezeigt, dass die Italienische Barrenringelnatter nach der letzten Eiszeit die Alpen erfolgreich überquert hat, dann aber offenbar am nördlichen Alpenrand auf die Ringelnatter traf und von ihr gestoppt wurde.
Wissenschaftliche Ansprechpartner:
Dr. Frank Glaw
Zoologische Staatssammlung München (SNSB-ZSM)
Münchhausenstraße 21, 81247 München
Tel.: 089/8107-114
E-Mail: glaw@snsb.de
Adrian Neumann
E-Mail: adriantneumann@gmail.com
Originalpublikation:
Neumann, A., M. Asztalos, U. Fritz & F. Glaw (2024): A spotlight on the hybrid zone of grass snakes (Natrix helvetica sicula and Natrix natrix) in southern Bavaria – the Prien Valley. – Salamandra, Ger-man Journal of Herpetology 60 (1): 17-28.
http://www.salamandra-journal.com/index.php/contents/2024-vol-60/2139-neumann,-a…
Weitere Informationen:
https://www.snsb.de – Staatliche Naturwissenschaftliche Sammlungen Bayerns (SNSB)
https://zsm.snsb.de – Zoologische Staatssammlung München (SNSB-ZSM)
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