Der Duft macht’s

Abgebildet ist das Studienobjekt: die Blüte einer weiblichen Weißen Lichtnelke.
© Roman Adler

Pflanzliche Inzucht mindert Attraktivität für Bestäuber…

CAU-Forschungsteam zeigt am Beispiel der Weißen Lichtnelke, welche Effekte der Lebensraumzerstörung den Fortbestand von Pflanzenpopulationen bedrohen.

Die Vielfalt aller Tier- und Pflanzenarten, auch als Biodiversität bezeichnet, ist ein wichtiger Gradmesser gesunder Ökosysteme, stellt dem Menschen auf vielfältige Weise eine Lebensgrundlage bereit und ist damit für unser Überleben essenziell. Die Biodiversität ist jedoch auf globaler wie lokaler Ebene durch die Zerstörung von Lebensräumen bedroht. Betrachtet man zum Beispiel die Pflanzenwelt, wirkt sich die Zerstörung aber auch die Zerteilung von Lebensräumen oft negativ auf die Größe des lokalen Pflanzenvorkommens aus. In kleineren Pflanzenpopulationen wächst ab einer bestimmten Grenze die Gefahr von Inzucht: Stehen zu wenige Pflanzen, die zudem eng miteinander verwandt sind, zur Verfügung, entstehen oft Nachkommen, die unter sogenannten Fitnessnachteilen leiden. Ihre geringe Widerstandskraft und ihr niedriger Fortpflanzungserfolg verringern dann die Überlebenschancen der Pflanzenpopulation insgesamt.

Ein Forschungsteam aus der Abteilung Geobotanik am Institut für Ökosystemforschung der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel (CAU) hat am Beispiel der Weißen Lichtnelke (Silene latifolia) und ihrem Bestäubungsinsekt, der Lichtnelkeneule (Hadena bicruris), den Effekt von Inzucht in Pflanzenpopulationen auf die Kommunikation mit ihren Bestäubern und damit das Überleben der Pflanzen untersucht.

Die Forschenden im Projekt unter Leitung von Dr. Karin Schrieber, Wissenschaftlerin in der Kieler Geobotanik und Mitglied im Kiel Plant Center (KPC), fanden heraus, dass besonders die Duftsignale der Pflanzen durch die Inzucht gestört werden und sich so die Wahrscheinlichkeit der Bestäubung durch die Insekten signifikant reduziert. Ihre neuen Forschungsergebnisse veröffentlichten die Kieler Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler um Professorin Alexandra Erfmeier gemeinsam mit Forschenden der Universität Bielefeld kürzlich im Fachmagazin eLife.

Komplexe Signale steuern die Insektenbestäubung

Die Weiße Lichtnelke zählt zu den insgesamt selteneren getrenntgeschlechtlichen Pflanzen. Um sich fortpflanzen zu können, sind sie unter anderem auf die Hilfe von Insekten angewiesen, die den Pollen von den männlichen zu den weiblichen Exemplaren transportieren. Bei der Lichtnelke kommt hinzu, dass sie sich stark auf ein bestimmtes Bestäubungsinsekt spezialisiert hat, weshalb diese Mottenart den Namen Lichtnelkeneule trägt. Ihre spezifische Beziehung hat sich im Laufe der sogenannten Koevolution ergeben, in der sich Pflanze und Insekt über lange Zeiträume stark aneinander angepasst haben.

In der Folge hat sich eine komplexe Kommunikation zwischen Pflanze und Insekt entwickelt, die aus verschiedenen optischen, chemischen und räumlichen Signalen besteht. Die Lichtnelke öffnet beispielsweise nur in der Dämmerung oder Dunkelheit ihre dann gut sichtbaren weißen Blüten und verströmt dabei einen aus rund 70 chemischen Verbindungen bestehenden Duft. In dieser Zeit liegt entsprechend auch das Aktivitätsspektrum der Motte, deren Bestäubungsverhalten vom Anflug bis hin zum Ausfahren ihres Rüssels durch die Signalkomplexe der Pflanze ausgelöst wird.

„Wir wollten also herausfinden, ob und wie stark Inzucht diese Signale der Pflanze verändert und wie sich dies wiederum auf das Verhalten der Insekten und ihren Bestäubungsdienst auswirkt“, erklärt die Ökologin Schrieber, Erstautorin der neuen Studie.

Inzuchteffekte auf das Bestäubungsverhalten experimentell entschlüsselt

Um diese Hypothese zu testen, züchtete das Kieler Forschungsteam zunächst Lichtnelken unter Inzuchtbedingungen. Pflanzliche Signale wie Blütenform und -anordnung, Duftstoffemission, Blütenfarbe und Nektarproduktion wurden unter kontrollierten Bedingungen in Kooperation mit der Universität Bielefeld analysiert. Die Inzuchtpflanzen hatten kleinere und weniger Blüten und rochen anders als Pflanzen, die von nicht verwandten Eltern stammten. Insbesondere produzierten sie weniger Flieder-Aldehyde, flüchtige Duftstoffe, die das Bestäubungsverhalten der Motten steuern. Um den Unterschied zwischen Kontrollfpflanzen und Inzuchtpflanzen in der Bestäubung bestimmten zu können, führten die Forschenden sogenannte „Common Garden“-Experimente (Deutsch: „Gemeinsamer Garten“) durch, bei denen die Pflanzen in einen möglichst natürlichen aber gleichzeitig kontrollierten Lebensraum gebracht werden. „Wir haben die Lichtnelken auf eine Freilandfläche verbracht auf der natürlicherweise Lichtnelkeneulen vorkommen. Hier wurden sie in Töpfen mit standardisierter Erde in gleichmäßigen Abständen, Himmelsausrichtungen und Umgebungsvegetationen positioniert.

Die Motten konnten sich dann entscheiden, entweder Populationen aus Inzucht- oder Kontrollpflanzen zu besuchen. So fanden wir heraus, dass die Inzuchtblüten teilweise deutlich weniger von Motten besucht wurden“, so Schrieber weiter, die von der Mathematisch-Naturwissenschaftlichen Fakultät der CAU finanziell unterstützt wurde. Diesen Effekt konnten die Forschenden vor allem bei weiblichen Pflanzen mit einer bestimmten geografischen Herkunft nachweisen. So konnten sie experimentell belegen, dass Inzucht die Pflanzen für ihre Bestäubungsinsekten weniger attraktiv macht.

Auswirkungen der Lebensraumzerstörung

Die neue Forschungsarbeit, an der auch mehrere Studierende der CAU in Abschlusssemestern beteiligt waren, unterstreicht die Auswirkungen der Lebensraumzerstörung auf Pflanzen. „Das Beispiel der Weißen Lichtnelke und ihres spezialisierten Bestäubungsinsekts zeigt, wie empfindlich die fein abgestimmte Kommunikation zwischen Pflanze und Insekt auf äußere Störungen reagieren kann“, fasst Schrieber zusammen. Inzuchteffekte bilden dabei nur einen einzelnen Faktor im Zusammenspiel zahlreicher Einflüsse, die sich im Falle des Lebensraumverlustes negativ auf die Biodiversität auswirken.

„Betrachtet man diese Einflussgrößen insgesamt, helfen uns Forschungsarbeiten wie diese dabei, auf ökologischen Modellen basierende Maßnahmen gegen den Verlust an Artenvielfalt zu entwickeln“, betont Erfmeier. Die aktuelle Publikation trägt damit einen weiteren Baustein zum Bemühen der Abteilung Geobotanik und der Forschenden im Kiel Plant Center bei, die Beziehungen von Umwelt und Pflanzenwelt vor dem Hintergrund globaler Veränderungen zu untersuchen.

Fotos stehen zum Download bereit:

https://www.uni-kiel.de/de/pressemitteilungen/2021/138-schrieber-elife-flower.jp…
Bildunterschrift: Abgebildet ist das Studienobjekt: die Blüte einer weiblichen Weißen Lichtnelke.
© Roman Adler

https://www.uni-kiel.de/de/pressemitteilungen/2021/138-schrieber-elife-dusk.jpg
Bildunterschrift: Ein Mitglied des Forschungsteams aus der Kieler Geobotanik bei der Beobachtung von Bestäubern an der Weißen Lichtnelke in der Abenddämmerung.
© Roman Adler

https://www.uni-kiel.de/de/pressemitteilungen/2021/138-schrieber-elife-greenhous…
Bildunterschrift: Eine der beteiligten Studentinnen bei der Aufnahme von Daten zu den räumlichen Blütensignalen im Gewächshaus.
© Roman Adler

https://www.uni-kiel.de/de/pressemitteilungen/2021/138-schrieber-elife-owl.jpg
Bildunterschrift: Die Lichtnelkeneule an der Blüte einer männlichen Weißen Lichtnelke.
© Zoran Bozovic, Saxifraga Foundation, Lizenz: CC BY-NC-SA

Weitere Informationen:

Abteilung Geobotanik,
Institut für Ökosystemforschung, CAU:
http://www.ecosystems.uni-kiel.de/de/abteilung/abt_geo

Kiel Plant Center (KPC), CAU:
http://www.plant-center.uni-kiel.de/de

Abteilung Chemische Ökologie,
Fakultät für Biologie, Universität Bielefeld:
http://www.uni-bielefeld.de/fakultaeten/biologie/forschung/arbeitsgruppen/chem_e…

Verleihung der Förderpreise der Mathematisch-Naturwissenschaftlichen Fakultät, CAU:
http://www.uni-kiel.de/de/detailansicht/news/229-mnf-foerderpreis

Wissenschaftliche Ansprechpartner:

Dr. Karin Schrieber
Abteilung Geobotanik,
Institut für Ökosystemforschung, CAU
Tel.: 0431-880-4082
E-Mail: kschrieber@ecology.uni-kiel.de

Originalpublikation:

Karin Schrieber, Sarah Catherine Paul, Levke Valena Höche, Andrea Cecilia Salas, Rabi Didszun, Jakob Mößnang, Caroline Müller, Alexandra Erfmeier, Elisabeth Johanna Eilers (2021): Inbreeding in a dioecious plant has sex- and population origin-specific effects on its interactions with pollinators. eLife First published May 14, 2021
https://doi.org/10.7554/eLife.65610.sa2

Weitere Informationen:

http://www.ecosystems.uni-kiel.de/de/abteilung/abt_geo
http://www.plant-center.uni-kiel.de/de
http://www.uni-bielefeld.de/fakultaeten/biologie/forschung/arbeitsgruppen/chem_e…
http://www.uni-kiel.de/de/detailansicht/news/229-mnf-foerderpreis

Media Contact

Claudia Eulitz Presse, Kommunikation und Marketing
Christian-Albrechts-Universität zu Kiel

Alle Nachrichten aus der Kategorie: Biowissenschaften Chemie

Der innovations-report bietet im Bereich der "Life Sciences" Berichte und Artikel über Anwendungen und wissenschaftliche Erkenntnisse der modernen Biologie, der Chemie und der Humanmedizin.

Unter anderem finden Sie Wissenswertes aus den Teilbereichen: Bakteriologie, Biochemie, Bionik, Bioinformatik, Biophysik, Biotechnologie, Genetik, Geobotanik, Humanbiologie, Meeresbiologie, Mikrobiologie, Molekularbiologie, Zellbiologie, Zoologie, Bioanorganische Chemie, Mikrochemie und Umweltchemie.

Zurück zur Startseite

Kommentare (0)

Schreiben Sie einen Kommentar

Neueste Beiträge

Selen-Proteine …

Neuer Ansatzpunkt für die Krebsforschung. Eine aktuelle Studie der Uni Würzburg zeigt, wie ein wichtiges Enzym in unserem Körper bei der Produktion von Selen-Proteinen unterstützt – für die Behandlung von…

Pendler-Bike der Zukunft

– h_da präsentiert fahrbereiten Prototyp des „Darmstadt Vehicle“. Das „Darmstadt Vehicle“, kurz DaVe, ist ein neuartiges Allwetter-Fahrzeug für Pendelnde. Es ist als schnelle und komfortable Alternative zum Auto gedacht, soll…

Neuartige Methode zur Tumorbekämpfung

Carl-Zeiss-Stiftung fördert Projekt der Hochschule Aalen mit einer Million Euro. Die bisherige Krebstherapie effizienter gestalten bei deutlicher Reduzierung der Nebenwirkungen auf gesundes Gewebe – dies ist das Ziel eines Projekts…