Der Schlüssel zur Hörentwicklung

Haben einen wichtigen Schalter für die Hörentwicklung gefunden: Dr. Mark-Oliver Trowe (links) und Professor Dr. Andreas Kispert mit der Aufnahme von inneren (rot) und äußeren (grau) Haarsinneszellen aus dem Innenohr der Maus.
Copyright: Karin Kaiser / MHH

In unserem Innenohr gibt es zwei verschiedene Typen von Sinneszellen, die für das Hören zuständig sind.

Ein MHH-Forschungsteam hat jetzt den molekularen Schalter für die Bildung dieser inneren und äußeren Haarzellen identifiziert und damit einen wichtigen Baustein zur Behandlung von Schwerhörigkeit gefunden.

Die inneren und äußeren Haarzellen entstehen vor der Geburt aus einem gemeinsamen Typ von Vorläuferzellen. Welche Faktoren die unterschiedliche Entwicklung steuern, war lange Zeit unbekannt. Ein Forschungsteam um Professor Dr. Andreas Kispert und Dr. Mark-Oliver Trowe vom Institut für Molekularbiologie der Medizinischen Hochschule Hannover (MHH) hat jetzt den Schlüssel gefunden und nachgewiesen, wie dieser den Prozess kontrolliert: Das Gen Tbx2 sorgt wie ein Schalter dafür, ob sich innere oder äußere Haarzellen bilden. Die Arbeit wurde von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) unterstützt und ist in der renommierten Fachzeitschrift Nature Communications veröffentlicht worden.

Schwingungsumwandler und Schallverstärker

Weltweit sind mehr als 400 Millionen Menschen von Schwerhörigkeit betroffen. Am häufigsten ist die Schallempfindungsschwerhörigkeit, bei der die für das Hören zuständigen Haarzellen zerstört werden. Von Geburt an besitzen wir etwa 15.000 Haarzellen in jedem Ohr. Sie liegen im Innenohr in der Gehörschnecke, in der Fachsprache Cochlea genannt. 3500 davon gehören zu den inneren Haarzellen. Sie sind die eigentlichen Sinneszellen und wandeln die durch äußeren Schall ausgelösten Schwingungen im Innenohr in elektrische Signale um. Diese gelangen über Nervenbahnen ins Gehirn, wo der Höreindruck entsteht. Die äußeren Haarzellen wirken als mechanischer Verstärker und verbessern die Empfindlichkeit des Gehörs. Einmal zerstört, können sich die Haarzellen nicht mehr regenerieren und das Hörvermögen nimmt ab. „Das geschieht beispielsweise durch Alterungsprozesse, übergroßen Lärm oder auch die Einnahme bestimmter Medikamente“, sagt Dr. Trowe, Leiter der Studie. Weltweit arbeitet die Wissenschaft daran, Therapien zu entwickeln, mit deren Hilfe sich die Hörsinneszellen erneuern lassen. „Doch dafür ist es zwingend notwendig zu verstehen, welche Gene die Bildung der Haarzellen in der Embryonalentwicklung kontrollieren“, betont der Molekularbiologe.

Tbx2 regelt Entwicklung zu inneren und äußeren Haarzellen

Das Forschungsteam nahm bei seinen Untersuchungen das Gen Tbx2 in den Fokus. Es enthält die Information für einen sogenannten Transkriptionsfaktor. Dieses Protein regelt wie ein An Aus Schalter, ob bestimmte Erbinformationen auf der DNA abgelesen werden sollen oder nicht. „Wir haben im Mausmodell die Cochlea untersucht und festgestellt, dass Tbx2 ausschließlich in den inneren Haarzellen aktiv ist“, sagt Professor Kispert. Wurde Tbx2 in den Vorläuferzellen gezielt ausgeschaltet, bildeten sich keine inneren Haarzellen mehr. Wurde es dagegen in allen Vorläuferzellen angeschaltet, bildeten sich ausschließlich innere Haarzellen. Auch in einem späteren Entwicklungsstadium zeigte sich, wie wichtig der molekulare Schalter für die Zuordnung der Haarzellen ist. „Wird Tbx2 in den inneren Haarzellen deaktiviert, wandeln sie sich zu äußeren Haarzellen um“, erklärt der Wissenschaftler. „Umgekehrt bewirkt eine Aktivierung von Tbx2 in den äußeren Haarzellen, dass sie sich zu inneren Haarzellen umwandeln.“ Da sich das Innenohr von Mäusen und Menschen ähnelt, gehen die Forschenden davon aus, dass auch die Regulationswege übertragbar sind. Die Identifizierung von Tbx2 als molekularer Schalter für die Bildung innerer Haarzellen ist daher ein wichtiger Baustein für die Entwicklung regenerativer Therapien zur Behandlung von Schwerhörigkeit.

SERVICE:
Die Originalarbeit „TBX2 specifies and maintains inner hair and supporting cell fate in the Organ of Corti” mit Erstautorin Dr. Marina Kaiser finden Sie unter: https://www.nature.com/articles/s41467-022-35214-4#author-information

Weitere Informationen erhalten Sie bei Professor Andreas Kispert, kispert.andreas@mh-hannover.de, Telefon (0511) 532-4017.

https://www.mhh.de/

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