Die „Autobahn“ im Zelltransport

Prof. Dr. Heike Krebber und ihre wissenschaftlichen Mitarbeiter Dr. Ivo Coban (links) und Jan-Philipp Lamping (rechts) bei der Quantifizierung von Experimenten am Computer
Foto: Universität Göttingen / privat

Ein Forschungsteam der Universität Göttingen hat eine allgemeine Funktion von Antisense-RNA (asRNA) entdeckt und damit ein langjähriges Rätsel um die Aufgabe der asRNA enthüllt. Die Forschenden fanden heraus, dass asRNA als „Autobahn“ im Zelltransport fungiert und damit die Genexpression beschleunigt. Die Ergebnisse sind in der Fachzeitschrift Nature erschienen.

Welche Aufgabe nicht-kodierende RNA in der Zelle hat, war in der Wissenschaft lange Zeit unbekannt. Anders als kodierende RNA stellt nicht-kodierende RNA keine Proteine her – es gibt sie aber in großen Mengen. Deshalb war die Rolle von asRNA jahrelang ein Rätsel. Ein Forschungsteam der Universität Göttingen konnte dieser Frage nun auf den Grund gehen.

RNA (Ribonukleinsäure) spielt eine zentrale Rolle in der Übersetzung der DNA-Information zu Proteinen. Es gibt verschiedene RNA-Arten, eine davon ist die sogenannte Boten- oder auch Messenger-RNA (mRNA). Sie überträgt die Bauanleitung für Proteine von der DNA im Zellkern hinaus in das Zellplasma, wo weitere Zellbestandteile sie in Proteine übersetzen. Neben dieser kodierenden RNA gibt es große Mengen an nicht-kodierender RNA. Viele von ihnen werden als Gegenstrang zu den mRNAs hergestellt und deshalb als Antisense(as)-RNA bezeichnet. Ihre Aufgabe war lange ungeklärt. „Ich konnte nicht glauben, dass eine Zelle RNAs ohne Zweck herstellt“, sagt Prof. Dr. Heike Krebber vom Institut für Mikrobiologie und Genetik. „Das ist entgegen der Natur.“

Ihr Team fand heraus, dass asRNA sich mit der mRNA verbindet, die dann bevorzugt aus dem Zellkern in das Zellplasma transportiert wird. Damit übersetzt die Zelle die Information von der mRNA schneller in Proteine, als es ohne asRNA der Fall wäre – die asRNA dient also als „Booster“ für die Genexpression. Das ist für die Zelle in vielen Situationen erforderlich, zum Beispiel unter schädlichen Umwelteinflüssen oder Stress. Diese Arbeit knüpft an die ebenfalls in Nature veröffentlichte Grundlagenforschung des Teams an, die gezeigt hatte, dass unter Stress aktivierte mRNAs keiner Qualitätskontrolle mehr unterliegen.

Die neuen Forschungsergebnisse zu den asRNAs klären die lang gegenwärtige Frage, warum die Zelle teils große Mengen an asRNA herstellt. „In der Biologie ist das vor allem deshalb auffällig, weil die Zelle für die asRNA-Produktion viel Energie aufwendet“, erläutert Krebber. Mit dem nun entdeckten Mechanismus reagieren Zellen schlagartig auf Einflüsse von außen und stellen die erforderlichen Proteine sofort und in großen Mengen her, um sich an Umweltbedingungen anzupassen oder beispielsweise in ein bestimmtes Entwicklungsstadium überzugehen. „Dieses neue Verständnis rückt nun auch die asRNAs in den Fokus bei der Frage, wie Krankheiten entstehen und wie sie sich bekämpfen lassen“, so Krebber.

Wissenschaftliche Ansprechpartner:

Prof. Dr. Heike Krebber
Georg-August-Universität Göttingen
Göttinger Zentrum für Molekulare Biowissenschaften (GZMB), und
Institut für Mikrobiologie und Genetik – Abteilung Molekulare Genetik
Grisebachstraße 8, 37077 Göttingen
Telefon: (0551) 39-23801
E-Mail: heike.krebber@biologie.uni-goettingen.de
Internet: http://www.img.bio.uni-goettingen.de/Krebber-lab_homepage.html

Originalpublikation:

Coban, I. et al. dsRNA formation leads to preferential nuclear export and gene expression. Nature 2024.
https://doi.org/10.1038/s41586-024-07576-w

Weitere Informationen:

https://www.uni-goettingen.de/de/3240.html?id=7480

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Thomas Richter Öffentlichkeitsarbeit
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