Die Kunst, Zellen korrekt miteinander zu verkleben

Die Abbildung zeigt Schnitte durch das Ovar der Fruchtfliege Drosophila. Links: Kreis aus Epithelzellen, Gruppe neu hergestellter E-Cadherin Proteine grün markiert, Adhäsionsband rot angefärbt. Mitte: Eine Stunde später. Das E-Cadherin wurde entlang der Zelloberfläche zum Adhäsionsband transportiert (gelbe Farbe durch den Überlapp von grün und rot markierten Proteinen). Rechts: Epithelzellen, in denen das Aktinzytoskelett durch ein Zellgift zerstört wurde. Der Transport des E-Cadherin zum Adhäsionsband ist gestört, sodass sich das Protein gleichmäßig entlang der Zelloberfläche verteilt.

Die Oberfläche des menschlichen Körpers sowie sämtliche inneren Organe werden von Epithelien, dichtgereihten Zellverbänden, umschlossen. Um ein Epithel zu bilden, müssen einzelne Zellen miteinander verbunden werden. Das Protein E-Cadherin dient dabei als „molekularer Klebstoff“, der die Zellen im Verband zusammenhält.

Für den Organismus ist es essentiell, dass das Protein in korrekter Konzentration und Position auf der Oberfläche der Zellen vorhanden ist. Etwa 90 Prozent aller menschlichen Tumore entstehen aus Epithelzellen. Meist ist bei diesen Tumoren die Positionierung von E-Cadherin gestört.

Entsprechend ist der Aufbau des Gewebes stark beeinträchtigt, da die Zellen falsch miteinander „verklebt“ sind. Noch weitaus dramatischer wirkt es sich aus, wenn sich gar kein E-Cadherin an der Zelloberfläche befindet und einzelne Tumorzellen entsprechend den Kontakt zum Tumor verlieren. Die Zellen lösen sich aus dem Epithelverband, beginnen zu wandern und bilden schließlich Metastasen.

E-Cadherin wird in der Zelle synthetisiert. Es agiert an der Zelloberfläche in Form eines Adhäsionsbandes, an genau festgelegter Position. Um das Adhäsionsband korrekt ausbilden zu können, muss das Protein vom Inneren der Zelle exakt an die richtige Stelle transportiert werden. Die Kenntnis der Transportmechanismen von E-Cadherin kann daher zum Verständnis der Mechanismen der Metastasierung beitragen.

Eine Arbeitsgruppe unter der Leitung von Privatdozent Dr. Veit Riechmann, am Centrum für Biomedizin und Medizintechnik (CBTM) der Medizinischen Fakultät Mannheim, hat die Transportwege entschlüsselt, auf denen das E-Cadherin an seinen Wirkungsort gelangt.

Die Mechanismen, die den Transport des E-Cadherin in der Zelle kontrollieren, lassen sich nur bedingt mit in Kultur gehaltenen menschlichen Zellen erforschen. Denn in solchen „in vitro“ Zellkulturen, außerhalb des Körpers, herrschen künstliche Bedingungen, die sich von den Bedingungen im lebenden Organismus unterscheiden.

Die Arbeitsgruppe von Veit Riechmann benutzt deshalb das Epithel des Ovars der Fruchtfliege Drosophila, um die Steuerung des E-Cadherin Transports „in vivo“, also unter natürlichen Bedingungen, zu untersuchen. Denn die Art und Weise, wie Proteine transportiert werden, ist in Zellen von Menschen und Insekten erstaunlich ähnlich.

In einer aktuell im Fachjournal Nature Communications veröffentlichten Studie konnte die Gruppe zeigen, dass der Transport des Proteins E-Cadherin von seinem Bildungsort zum Adhäsionsband viel komplexer verläuft als zunächst vermutet. Neben einem direkten Transportweg, der E-Cadherin nach der Synthese im Inneren der Zelle unverzüglich zum Adhäsionsband an der Zelloberfläche führt, gibt es zwei alternative „Umwege“.

Bei beiden alternativen Wegen wird das Protein zunächst relativ ungezielt an die Zelloberfläche transportiert. Beim „Recyclingweg“ wird das E-Cadherin wieder ins Innere der Zelle gebracht, um erst dann gezielt zum Adhäsionsband transportiert zu werden. Bei einem dritten Transportweg wird das E-Cadherin entlang der Zelloberfläche zum Adhäsionsband gezogen. Dieser Transport wird vermutlich von sogenannten Motorproteinen getrieben, die das direkt unterhalb der Zelloberfläche gelegene Aktinzytoskelett als Transportbahn benutzen.

Die Arbeit der Mannheimer Wissenschaftler zeigt, wie erstaunlich flexibel die Positionierung des E-Cadherin von den Zellen gesteuert werden kann. Vor allem bei der Entwicklung von Embryonen könnte dies von großer Bedeutung sein, da die Zellen hier häufig ihre Adhäsionseigenschaften und ihre Form verändern müssen. Die Existenz mehrerer Transportwege erlaubt es aber auch, bei einem „krankheitsbedingten“ Ausfall eines der Transportwege, diesen zu kompensieren und so das Auswandern von Zellen zu verhindern.

Wie kann die Kenntnis der verschiedenen E-Cadherin Transportwege zum besseren Verständnis der Metastasen-Bildung beitragen? Ergeben sich daraus möglicherweise Ansätze, um dies zu verhindern? Die vorliegenden Ergebnisse sind ein wichtiger Schritt, da nun genauer untersucht werden kann, warum bestimmte Tumorzellen ihren Kontakt zum Ausgangstumor lösen und zu wandern beginnen. Darüber hinaus stellen die am Transport beteiligten Faktoren potenzielle Zielstrukturen dar, um in einen gestörten Transport eingreifen zu können. Sind entsprechende Wirkstoffe identifiziert, können langfristig Medikamente entwickelt werden, die der Metastasierung entgegenwirken.

Publikation
Three mechanisms control E-cadherin localization to the zonula adherens.
Woichansky, I., Beretta C.B., Berns, N. and Riechmann, V.
Nature Communications 7, 2016
DOI: 10.1038/ncomms10834

Die Arbeit wurde von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) und der Deutschen Krebshilfe gefördert.

http://www.nature.com/ncomms/2016/160310/ncomms10834/full/ncomms10834.html

Media Contact

Dr. Eva Maria Wellnitz idw - Informationsdienst Wissenschaft

Weitere Informationen:

http://www.umm.de

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