Die Muskelgesundheit hängt von der Lipidsynthese ab

Von der Muskelmembran abgeleitete Giant Plasma Membrane Vesicles (GPMVs) (Blau)
(c) Domagoj Cikes / IMBA

Muskeldegeneration, die häufigste Ursache für Gebrechlichkeit bei Erbkrankheiten und im Alter, könnte durch einen Enzymmangel in einem Lipid-Biosyntheseweg verursacht werden.

Forscher:innen am Institut für Molekulare Biotechnologie (IMBA) der Österreichischen Akademie der Wissenschaften beleuchten anhand von Labormausmodellen, wie das Enzym PCYT2 die Muskelgesundheit bei Krankheit und Alterung beeinflusst. Die Ergebnisse der Studie erscheinen am 20. März in Nature Metabolism.

Die Muskeldegeneration infolge von Erbkrankheiten und im Alter betrifft weltweit Hunderte von Millionen Menschen. Bei der Skelettmuskulatur, dem Proteinspeicher des Körpers, führt die Muskeldegeneration zu einem allgemeinen physiologischen Verfall, also der Gebrechlichkeit. Nun hat ein Forschungsteam am IMBA unter der Leitung von Domagoj Cikes und Josef Penninger, der auch an der University of British Columbia (UBC) tätig ist, die zentrale Rolle eines Enzyms namens PCYT2 für die Muskelgesundheit aufgedeckt.

PCYT2 ist ein Enzym und der Engpass in einem wichtigen Syntheseweg von aus Ethanolamin gewonnenen Phospholipiden, den Phosphatidylethanolaminen (PEs). Anhand von Patient:innendaten und unter Verwendung von Labormaus- und Zebrafischmodellen zeigten die Forscher:innen, dass PCYT2-Mutationen, oder eine verminderte Aktivität des Enzyms, Kennzeichen der Muskeldegeneration bei Wirbeltieren sind. Insbesondere zeigen sie, dass ein PCYT2-Mangel in den Muskeln die mitochondriale Funktion und die physikochemischen Eigenschaften der Myofasermembran beeinträchtigt.

Membransteifigkeit und Alterung

Von der Muskelmembran abgeleitete Giant Plasma Membrane Vesicles (GPMVs). Diese isolierten großen Membraneinheiten ermöglichten, in Verbindung mit fortschrittlichen Mikroskopieanwendungen, eine genaue Analyse der Architektur der ansonsten schwer zu untersuchenden Lipiddoppelschicht der Zellmembran und gaben Einblick in einen unbekannten pathologischen Mechanismus einer kürzlich entdeckten, schweren menschlichen Erbkrankheit. ©Cikes/IMBA

Lipide sind in biologischen Membranen allgegenwärtig und kommen in den Membranen von Nervenzellen und Nervengewebe in besonders hohen Konzentrationen vor. Nach Berichten, dass Moleküle auf PE-Basis die Membransteifigkeit von Liposomen erhöhen, stellte Domagoj Cikes, Ko-Autor der Studie und ehemaliger Postdoktorand in der Penninger-Forschungsgruppe am IMBA, die Hypothese auf, dass diese Lipidspezies eine wichtige Rolle in Geweben spielen könnte, die ständiger Schubspannung ausgesetzt sind, wie etwa Muskelgewebe.

„Diese Vermutung veranlasste mich, PCYT2 im Muskelgewebe von Tiermodellen selektiv zu entfernen und die Ergebnisse zu untersuchen. Parallel dazu berichteten Kliniker:innen über Patient:innenfälle mit Mutationen, die PCYT2 betreffen. Die Patient:innen litten an den so genannten Hereditären Spastischen Spinalparalysen, einer Gruppe schwerer, multisymptomatischer Erkrankungen, die durch Muskelschwäche, Steifheit und Muskelschwund in den Beinen gekennzeichnet sind und sich mit der Zeit verschlimmern. Da die Krankheit jedoch erst vor kurzem entdeckt wurde, ist die zugrunde liegende pathophysiologische Biologie noch weitgehend unbekannt“, sagt Cikes.

Die Forscher:innen wiesen nach, dass der Gehalt an funktionellem PCYT2 sowohl mit der menschlichen Muskelgesundheit zusammenhängt als auch das Muskelgewebe von Mäusen und Zebrafischen beeinflusst. Insbesondere die Mausmodelle zeigten auffällige und schwerwiegende Phänotypen eines verzögerten Muskelwachstums und einer schnellen Verschlechterung bei PCYT2-Depletion. Sie stellten fest, dass dieser Phänotyp des schnellen Abbaus in den Mausmodellen einem beschleunigten Alterungsprozess ähnelt. So zeigten die Forschenden, dass PCYT2 eine konservierte Rolle in Wirbeltieren spielt.

PEs sind auch in mitochondrialen Membranen reichlich vorhanden. Daher untersuchten die Forscher:innen, wie sich eine PCYT2-Depletion im Muskelgewebe auf die Mitochondrien auswirkt, und stellten fest, dass eine PCYT2-Depletion tatsächlich die mitochondriale Funktion und die Energieversorgung der Muskeln verändert. Ein mitochondrialer Therapieansatz reichte jedoch nicht aus, um den Phänotyp bei Mäusen zu retten. „Dies veranlasste uns zu der Annahme, dass es einen zusätzlichen Mechanismus geben muss, der die Pathologie verursacht“, so Cikes. Tatsächlich zeigte das Team, dass die Organisation der Lipiddoppelschicht der Zellmembran eine zusätzliche Rolle spielt. „Diese Erkenntnis stellt einen neuen pathophysiologischen Mechanismus dar, der auch bei anderen lipidbedingten Störungen auftreten könnte“, sagt Cikes.

Darüber hinaus wies das Team nach, dass die PCYT2-Aktivität während des Alterns bei Menschen und Mäusen abnimmt. Durch die gezielte Verabreichung von aktivem PCYT2 konnten die Wissenschaftler:innen die Muskelschwäche in PCYT2-depletierten Mausmodellen beheben und die Muskelkraft bei alten Mäusen verbessern.

Technische Fortschritte für neue Biologie und Pathophysiologie

Nachdem die Forscher:innen die Muskelgesundheit bei Wirbeltieren mit PEs und der Zusammensetzung der Muskelmembranen in Verbindung gebracht hatten, untersuchten sie die Rolle der PEs in biologischen Membranen. Da die biologische Arbeit mit Lipiden eine besondere Herausforderung darstellt, mussten sie auch nach Möglichkeiten suchen, die verfügbaren Techniken zu verbessern. Durch die Adaption einer von Kareem Elsayad am Vienna BioCenter Core Facilities (VBCF) entwickelten Technik zur Messung der Gewebesteifigkeit mittels Brillouin-Streuung konnten die Forscher:innen die physikalischen Eigenschaften biologischer Membranen untersuchen. Mit dieser Technik konnte das Team nachweisen, dass die Steifigkeit der Membranoberfläche erheblich abnimmt, wenn PCYT2 in Mäusemuskeln deletiert wird. „Darüber hinaus stellt unsere aktuelle Arbeit einen weiteren Fortschritt auf dem Gebiet der Lipidbiologie dar, da wir in der Lage waren, in die Lipiddoppelschicht von Zellmembranen zu blicken und die lokalen Eigenschaften der strukturellen Lipide zu untersuchen“, sagt Cikes. Diese zweite Technik basiert auf der Isolierung von so genannten Giant Plasma Membrane Vesicles (GPMVs) aus biologischem Gewebe und der Untersuchung der physikalisch-chemischen Eigenschaften und der Geometrie der Membran-Doppelschicht mit Hilfe eines interkalierenden Farbstoffs. Mit diesem Ansatz konnte das Team untersuchen, wie gut die Lipide in der Doppelschicht aufeinander abgestimmt sind und ob Lücken, hydrophile Komponenten und Lecks in der Membran vorkommen.

Die Biologie der Lipide – entscheidend, aber wenig erforscht

„Das derzeitige Wissen über die Biologie der Lipide ist zu stark vereinfacht. Der gesamte Lipidbereich wird in einer Handvoll molekularer Familien zusammengefasst, wie Cholesterine, Triglyceride, Phospholipide und Fettsäuren. Es handelt sich um ein riesiges und unerforschtes molekulares Universum, in dem die Funktion der meisten Lipidarten bei Gesundheit und Krankheit unbekannt ist“, sagt Cikes. Indem sie die zentrale Bedeutung eines Lipidbiosynthesewegs für die Muskelgesundheit beleuchten, möchten Cikes und seine Kolleg:innen die Bedeutung und das Entdeckungspotenzial der Lipidforschung hervorheben. „Unsere aktuelle Arbeit zeigt eine grundlegende, spezifische und konservierte Rolle der PCYT2-vermittelten Lipidsynthese für die Gesundheit der Muskeln von Wirbeltieren und ermöglicht es uns, neue therapeutische Wege zur Verbesserung der Muskelgesundheit bei seltenen Krankheiten und im Alter zu untersuchen“, schließt Penninger.

Josef Penninger war der Gründungsdirektor des IMBA und ist derzeit Direktor des Life Sciences Institute an der University of British Columbia (UBC) in Vancouver, Kanada.

Originalveröffentlichung:
Cikes, D., et al., „Critical role of PCYT2 in muscle health and aging“. Nature Metabolism, 2023. DOI: 10.1038/s42255-023-00766-2

Über das IMBA:
Das Institut für Molekulare Biotechnologie (IMBA) der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW) ist eines der führenden biomedizinischen Forschungsinstitute in Europa. Das IMBA ist im Vienna BioCenter angesiedelt, Österreichs pulsierendem Cluster aus Universitäten, Forschungsinstituten und Biotech-Unternehmen. Die Forschungsthemen des IMBA umfassen Chromosomenbiologie, RNA-Biologie, egoistische genetische Elemente und Silencing-Mechanismen, funktionelle Genomik, Zell- und Entwicklungsbiologie, Stammzellbiologie, molekulare Medizin, Neurowissenschaften, Organoidforschung und Krankheitsmodelle.

Originalpublikation:

Cikes, D., et al., „Critical role of PCYT2 in muscle health and aging“. Nature Metabolism, 2023. DOI: 10.1038/s42255-023-00766-2
https://www.nature.com/articles/s42255-023-00766-2

Weitere Informationen:

https://bit.ly/PCYT2-Muskel

Media Contact

Daniel F. Azar, PhD IMBA Communications
IMBA - Institut für Molekulare Biotechnologie der Österreichischen Akademie der Wissenschaften GmbH

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