Die sozialen Fähigkeiten von Buntbarschen hängen von ihren frühesten Erfahrungen ab
Warum verlässt ein Tier seine Gruppe, in die es geboren wurde und in der es aufgewachsen ist, um anderswo ein Territorium zu übernehmen? Unter welchen Umständen bleibt ein Tier dagegen in seiner ursprünglichen Gruppe und hilft dort den Nachwuchs anderer aufzuziehen? Und welche Rolle spielt die individuelle Früherfahrung für solche Entscheidungen von Lebewesen?
Mit diesen Fragen beschäftigten sich Dr. Stefan Fischer und Prof. Barbara Taborsky vom Institut für Ökologie und Evolution der Universität Bern. In Langzeitexperimenten mit Buntbarschen der Art Neolamprologus pulcher untersuchten die Forschenden die Entwicklung und das Verhalten von Jungfischen, die mit unterschiedlichen sozialen und ökologischen Früherfahrungen aufgezogen wurden.
Brutpflege als kooperative Gruppenleistung
Die untersuchte Fischart, die aufgrund ihrer Herkunft auch «Prinzessin vom Tanganjikasee» genannt wird, lebt in Gruppenverbänden von bis zu 25 Mitgliedern, in denen die Jungen gemeinsam aufgezogen werden. Ein einzelnes dominantes Brutpaar wird dabei von den anderen Mitgliedern bei der Verteidigung des Reviers und Aufzucht der Jungen unterstützt. Das Sozialsystem dieser Fische ist diesbezüglich mit demjenigen vieler Vögel und Säugetiere vergleichbar, wie beispielsweise den Schwanzmeisen, Bienenfressern und Erdmännchen.
Für das Experiment zogen die Forscher über 400 Tiere auf und setzten die Jungfische während zweier Monate unterschiedlichen sozialen Bedingungen und anderen Umweltfaktoren aus. Die Jungfische wuchsen entweder mit oder ohne Brutpaar auf, sowie mit oder ohne Erfahrungen mit Raubtieren.
Nach zwei Monaten wurden die Buntbarsche schliesslich in eine neutrale Umgebung überführt und während einer Zeitspanne von drei Jahren beobachtet. Die Verhaltenstests zeigten, dass die Früherfahrungen entscheidend dazu beitrugen, welche soziale Fähigkeiten die Fische entwickelten und ob sie es als Erwachsene vorziehen, eine neue Gruppe zu übernehmen oder in ihrer ursprünglichen Gruppe zu bleiben, um fremde Junge grosszuziehen.
Fressen oder pflegen – bleiben oder abwandern?
Die Forscher beobachteten, dass bestimmte Früherfahrungen die Entwicklung unterwürfigen Verhaltens hervorriefen, während andere Früherfahrungen stattdessen die Kooperationsbereitschaft steigerten. «Unterwürfige Tiere zeigen dem dominanten Brutpaar ihre Unterordnung mit einem Verhalten, das wir ‹tail-quivering› nennen, was einem schnellen Wedeln mit der Schwanzflosse entspricht. Den Unterschied zwischen Brutpflegehelfern und Nicht-Helfern erkennt man, wenn Fische ein Eigelege vorgesetzt bekommen. Sie können sie es entweder fressen oder pflegen», sagt Stefan Fischer.
In einem weiteren Schritt konnten die Forschenden nach der Untersuchungsperiode von drei Jahren zeigen, dass die individuelle Früherfahrung ausschlaggebend ist dafür, ob ein ausgewachsener Fisch in der ursprünglichen Gruppe bleibt oder in eine neue Gruppe wechselt. «Die Fische brauchen ganz bestimmte soziale und ökologische Fähigkeiten, um einen Wechsel zu überstehen und sich in der neuen Gruppe erfolgreich zu behaupten», sagt Barbara Taborsky.
Und diese Fähigkeiten werden in der frühesten Phase geprägt. Es zeigte sich, dass die Früherfahrung mit Räubern den Einfluss von sozialer Früherfahrung auf die Entscheidung zu bleiben oder abzuwandern ins Gegenteil umkehrte. Für diese Entscheidung hatte man bislang einen Einfluss individueller Früherfahrung bei hochsozialen Tieren ausgeschlossen.
Die soziale Entwicklung ist sehr viel komplexer als angenommen
Die Studie vermag zum ersten Mal zu zeigen, dass die soziale Entwicklung und wichtige Entscheidungen in der Lebensgeschichte eines Tieres von verschiedenen sozialen und ökologischen Umweltfaktoren in den allerersten Lebensphasen beeinflusst werden. «Die soziale Entwicklung bei hochsozialen Tieren ist offenbar sehr viel komplexer, als wir vermutet haben», stellt der Erstautor der Studie, Stefan Fischer, fest. Er ist überzeugt, dass die späteren Entscheidungen von Individuen nur zu verstehen sind, wenn die Tiere vom Beginn ihres Lebens an beobachtet werden. Über die Bedeutung der Studie meint Projektleiterin Barbara Taborsky, dass die Ergebnisse weitreichenden Einfluss auf die weitere Forschung an hochsozialen Tierarten haben, weil «wir den Einfluss der Früherfahrung auf die Entwicklung sozialer Lebenslaufbahnen grundsätzlich unterschätzt haben.»
Publikationsangaben: Stefan Fischer, Lena Bohn, Evelyne Oberhummer, Cecilia Nyman, Barbara Taborsky: Divergence of developmental trajectories is triggered interactively by early social and ecological experience in a cooperative breeder. Proceedings of the National Academy of Sciences of the United States of America (PNAS), 2017, DOI: www.pnas.org/cgi/doi/10.1073/pnas.1705934114
Kontakt:
Dr. Stefan Fischer
Mammalian Behaviour and Evolution Group, Institute of Integrative Biology, University of Liverpool
Tel: +44 (0)151 794 6007 / s.fischer@liverpool.ac.uk
Prof. Dr. Barbara Taborsky
Institut für Ökologie und Evolution, Universität Bern
Tel: +41 31 631 91 57 / Barbara.taborsky@iee.unibe.ch
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