„Eigentlich mögen sich Heuschrecken nicht besonders“
Ostafrika wird in diesen Tagen von den größten Heuschreckenschwärmen seit Jahrzehnten heimgesucht. In manchen Regionen Kenias, Somalias und Äthiopien haben die Insekten die Ernte fast vollständig vernichtet.
Iain Couzin erforscht am Max-Planck-Institut für Verhaltensbiologie und an der Universität Konstanz Tierschwärme. Vor Jahren wäre er auf der Suche nach schwärmenden Wüstenheuschrecken in Afrika fast verdurstet.
Haben Sie selbst mal einen solchen Schwarm erlebt?
Iain Couzin: Ich habe vor Jahren in Afrika das Schwarmverhalten der Wanderheuschrecken untersucht. Dabei bin auch in Schwärme wandernder Jungtiere geraten. Diese fliegen nicht, sondern laufen alle in dieselbe Richtung. Soweit das Auge blickt, nur diese wandernden Jung-Heuschrecken – das war schon beinahe surreal!
Warum tun die Heuschrecken das?
Man hat lange geglaubt, dass die Schwärme eine Form von kooperativem Verhalten sind. Aber unsere Experimente haben gezeigt, dass es eher das Gegenteil ist, das die Heuschrecken antreibt: nämlich die Furcht vor Kannibalismus.
Die Tiere mögen sich gegenseitig nicht, denn der größte Feind einer Wanderheuschrecke ist eine andere Wanderheuschrecke. Ein Heuschreckenschwarm gleicht also mehr einer großen Flucht, bei der jeder den anderen jagt.
Die Furcht vor dem Gefressen werden lässt die Tiere dann alle in dieselbe Richtung laufen. Man kann das mit einer Autobahn vergleichen: Der beste Weg, nicht mit anderen zusammenzustoßen, ist, in Fahrtrichtung zu bleiben.
Wanderheuschrecken können Einzelgänger sein. Was ist der Auslöser dafür, dass sie Schwärme bilden?
Der auslösende Faktor ist das Nahrungsangebot. Wenn es wie in diesem Herbst in Ostafrika viel regnet, haben die Heuschrecken so viel Vegetation zu fressen, dass sie sich stark vermehren können. Eigentlich sind sie von Natur aus Einzelgänger, die sich aus dem Weg gehen. Aber wenn sie sehr viele sind, können sie sich bei der Nahrungssuche nicht mehr vermeiden.
Schon der Geruch und der Anblick von Artgenossen verwandelt die Heuschrecken förmlich: Aus vorsichtigen, verborgen lebenden Einzelgängern werden innerhalb weniger Stunden Draufgänger voller Bewegungsdrang.
Verschwinden die schwarmauslösenden Reize, verwandeln sich die Tiere wieder zurück. Aber das dauert deutlich länger. So können zurückgebliebene Individuen nach einer Zeit wieder zu völlig unscheinbaren, harmlosen Grashüpfern werden.
All dies geschieht, obwohl das Erbgut dasselbe bleibt. Dasselbe Genom bringt also zwei völlig unterschiedlich Verhaltensweisen hervor. Es sind wirklich faszinierende Tiere!
Woher weiß der Schwarm denn, in welche Richtung er wandern muss?
Da ist viel Zufall im Spiel. Wir wissen, dass sich die Heuschrecken hin zu senkrechten Strukturen orientieren, weil sie daran Vegetation erkennen. Und sie fliegen ungern über offenes Wasser.
Auf ihrem Weg treffen die Insekten ständig auf Artgenossen und verwandeln diese auch in Schwarmtiere. Ein Schwarm ist also förmlich ansteckend, ähnlich wie bei einer Infektion. So wächst er immer weiter. Aus einem kleinen Buschfeuer kann dadurch ein Flächenbrand werden.
Die betroffenen Länder erwägen nun Insektenvernichtungsmittel aus dem Flugzeug zu versprühen. Bei uns in Europa haben solche Mittel ja inzwischen einen schlechten Ruf. Gibt es keine Alternative dazu?
Ökologisch gesehen sind Insektizide natürlich keine gute Sache. Aber momentan gibt es dazu wohl keine Alternative. Die Schäden, die die Schwärme verursachen, sind wirklich enorm. Rund zehn Prozent der Menschheit sind immer wieder davon betroffen.
Lösen sich die Schwärme nicht irgendwann wieder von alleine auf?
Solange die Insekten genug zu fressen finden, ziehen sie weiter. Sie können sich zwar innerhalb von Stunden von Einzelgängern zu Schwarmtieren entwickeln. In umgekehrter Richtung dauert das aber viel länger. Deshalb sind die Schwärme sehr lange stabil. Einfach nur zu warten, bringt also nichts.
Könnte es denn in absehbarer Zeit Alternativen zu den Insektiziden geben?
Meines Wissens nicht. Es gibt zwar Versuche mit Pilzen, die die Heuschrecken befallen können. Es ist aber sehr schwierig, solche Mittel auf größere Flächen auszubringen, ohne dass sie ihre Wirksamkeit verlieren. Ich befürchte deshalb, dass wir in den nächsten Jahren noch auf Insektenvernichtungsmittel angewiesen sein werden.
Prof. Dr. Iain D. Couzin
Max-Planck-Institut für Verhaltensbiologie, Radolfzell / Konstanz
+49 7531 88-4928
icouzin@ab.mpg.de
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