Ein Stoffwechselenzym als neuer Ansatzpunkt für Immuntherapien bei Krebs

Die durch das Enzym IL4I1 gebildeten Stoffwechselprodukte aktivieren den Dioxinrezeptor. | © Pfänder/DKFZ

Das Stoffwechselenzym IL4I1 (Interleukin-4-Induced-1) fördert die Ausbreitung von Tumorzellen und unterdrückt das Immunsystem. Das haben Wissenschaftler am Deutschen Krebsforschungszentrum (DKFZ) und am Berlin Institute of Health (BIH) herausgefunden. IL4I1 wird in Tumoren verstärkt gebildet und aktiviert den Dioxin-Rezeptor . Wirkstoffe, die IL4I1 hemmen, könnten künftig neue Chancen für die Krebstherapie eröffnen. Ihre Ergebnisse haben die Wissenschaftler nun in der Fachzeitschrift Cell veröffentlicht.

Immuntherapien aktivieren die körpereigene Abwehr gegen Tumoren und revolutionieren gegenwärtig die Krebstherapie. Trotz teilweise bahnbrechender Erfolge profitiert jedoch nur eine geringe Anzahl der Patienten von den derzeit zur Verfügung stehenden Medikamenten. Die Teams um Christiane Opitz und um Martina Seiffert, beide am DKFZ, und um Saskia Trump vom BIH untersuchten die molekularen Mechanismen, durch die Tumoren der Zerstörung durch das Immunsystem entgehen. Ihre Forschungsergebnisse können wichtige Hinweise für die Entwicklung neuer Immuntherapie-Konzepte liefern.

Der Aryl-Hydrocarbon-Rezeptor (AHR) ist auch als Dioxinrezeptor bekannt, weil er die giftige Wirkung von Dioxinen vermittelt. Aber nicht nur Giftstoffe, sondern auch körpereigene Stoffwechselprodukte können den Rezeptor aktivieren. Ein Beispiel dafür sind Abbauprodukte der Aminosäure Tryptophan, die wir als Baustein von Proteinen mit der Nahrung aufnehmen. Tumoren nutzen diese Stoffwechselprodukte zu ihrem Vorteil: Sie fördern die Beweglichkeit der Krebszellen und schwächen die Immunantwort gegen Tumoren.

Die Stoffwechselwege, über die die relevanten Tryptophan-Abbauprodukte produziert werden, sind allerdings nur unzureichend erforscht. Um darüber mehr zu erfahren, untersuchten die Wissenschaftler systematisch bei 32 verschiedenen Krebsarten, welche Tryptophan-abbauenden Enzyme mit einer Aktivierung des Dioxinrezeptors in Verbindung stehen.

Den Wissenschaftlern fiel dabei ein Molekül besonders ins Auge: Das Enzym IL4I1. Kein anderes Enzym des Tryptophan-Stoffwechsels war so stark mit einer Aktivierung des Dioxinrezeptors verknüpft wie IL4I1. „Die durch IL4I1 gebildeten Stoffwechselprodukte binden an den Dioxinrezeptor und aktivieren ihn, was zu einer Unterdrückung von Immunzellen führt“, erklärt Saskia Trump, BIH.

Klinisch interessant ist die Beobachtung, dass die Überlebenswahrscheinlichkeit von Patienten mit Gliomen, einer Art von bösartigen Hirntumoren, sank, wenn das Enzym in diesen Tumoren in höheren Konzentrationen vorlag.

In einem Mausmodell für chronisch lymphatische Leukämie (CLL), einer Art von Blutkrebs, zeigte sich, dass IL4I1 durch seine Effekte auf das Immunsystem den Krebs fördert. „Bei Tieren, die in der Tumorumgebung aufgrund von genetischen Veränderungen kein IL4I1 produzieren, ist das Immunsystem deutlich erfolgreicher darin, das Fortschreiten des Krebses zu verhindern“, erläutert Martina Seiffert vom DKFZ.

„Als Angriffspunkt für Medikamente hat IL4I1 großes Potential. Bislang sind Wirkstoffe, die Enzyme des Tryptophan-Stoffwechsels hemmen, in klinischen Studien gescheitert, da die Tumoren nicht auf sie ansprachen. Allerdings wurde die Rolle von IL4I1 bislang außer Acht gelassen und dieses Enzym noch nicht als Zielmolekül erprobt“, betont Christiane Opitz.

IL4I1 is a metabolic immune checkpoint that activates the AHR and promotes tumor progression. Ahmed Sadik*, Luis F. Somarribas Patterson*, Selcen Öztürk*, Soumya R. Mohapatra*, Verena Panitz, Philipp F. Secker, Pauline Pfänder, Stefanie Loth, Heba Salem, Mirja Tamara Prentzell, Bianca Berdel, Murat Iskar, Erik Faessler, Friederike Reuter, Isabelle Kirst, Verena Kalter, Kathrin I. Foerster, Evelyn Jäger, Carina Ramallo Guevara, Mansour Sobeh, Thomas Hielscher, Gernot Poschet, Annekathrin Reinhardt, Jessica C. Hassel, Marc Zapatka, Udo Hahn, Andreas von Deimling, Carsten Hopf, Rita Schlichting, Beate I. Escher, Jürgen Burhenne, Walter E. Haefeli, Naveed Ishaque, Alexander Böhme, Sascha Schäuble, Kathrin Thedieck, Saskia Trump#, Martina Seiffert#, Christiane A. Opitz#. Cell 2020
DOI: https://doi.org/10.1016/j.cell.2020.07.038

Das Deutsche Krebsforschungszentrum (DKFZ) ist mit mehr als 3.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern die größte biomedizinische Forschungseinrichtung in Deutschland. Über 1.300 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler erforschen im DKFZ, wie Krebs entsteht, erfassen Krebsrisikofaktoren und suchen nach neuen Strategien, die verhindern, dass Menschen an Krebs erkranken. Sie entwickeln neue Methoden, mit denen Tumoren präziser diagnostiziert und Krebspatienten erfolgreicher behandelt werden können.

Beim Krebsinformationsdienst (KID) des DKFZ erhalten Betroffene, interessierte Bürger und Fachkreise individuelle Antworten auf alle Fragen zum Thema Krebs.

Gemeinsam mit Partnern aus den Universitätskliniken betreibt das DKFZ das Nationale Centrum für Tumorerkrankungen (NCT) an den Standorten Heidelberg und Dresden, in Heidelberg außerdem das Hopp-Kindertumorzentrum KiTZ. Im Deutschen Konsortium für Translationale Krebsforschung (DKTK), einem der sechs Deutschen Zentren für Gesundheitsforschung, unterhält das DKFZ Translationszentren an sieben universitären Partnerstandorten. Die Verbindung von exzellenter Hochschulmedizin mit der hochkarätigen Forschung eines Helmholtz-Zentrums an den NCT- und den DKTK-Standorten ist ein wichtiger Beitrag, um vielversprechende Ansätze aus der Krebsforschung in die Klinik zu übertragen und so die Chancen von Krebspatienten zu verbessern.

Das DKFZ wird zu 90 Prozent vom Bundesministerium für Bildung und Forschung und zu 10 Prozent vom Land Baden-Württemberg finanziert und ist Mitglied in der Helmholtz-Gemeinschaft Deutscher Forschungszentren.

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