Einblicke in das Pangenom der Gerste

Repräsentative Genotypen werden aus genetisch vielfältigen Populationen, z.B. Sammlungen einer Genbank, auf der Grundlage genomweiter genotypischer Daten ausgewählt. Für einen kleinen, aber möglichst repräsentativen Satz and Genotypen werden vollständige Genomassemblies erstellt, aus denen die „konservierten“ (d. h. genomische Sequenzen, die in allen Individuen einer Art vorkommen) und „variablen“ (d. h. Sequenzen, die in einigen/wenigen Individuen gefunden werden) Pangenom-Kompartimente identifiziert werden.
(c) IPK Leibniz-Institut

Pangenome sind Sammlungen von Genomsequenzen mehrerer Individuen einer Art. Die strukturellen Varianten, die durch diese Datensätze aufgedeckt werden, sind für die genetische Analyse von Nutzpflanzen von großer Bedeutung. Ein internationales Forschungsteam unter der Leitung des IPK-Leibniz-Instituts hat nun das Pangenom der Gerste untersucht. Dazu wurden komplette Genomsequenzen von 76 Wild- und Kulturgersten herangezogen, ebenso wie Resequenzierungsdaten von weiteren 1.315 Genotypen. Ein darauf basierender Katalog der Sequenzvariation umfasst strukturell komplexe Loci für wichtige Merkmale, die sich bisher der eingehenderen Analyse entzogen haben.

Zuverlässige Ernteerträge waren Voraussetzung für den Aufstieg menschlicher Zivilisationen. Doch als die Menschen sich eine neue Lebensweise aneigneten, mussten sich auch die Kulturpflanzen neuen Bedürfnissen anpassen. In der freien Natur herrschen andere Bedingungen, als in einem landwirtschaftlich genutzten Lebensraum. Daher unterscheiden sich Kulturpflanzen und ihre wilden Vorfahren etwa darin, wie viele Seitentriebe sie ausbilden oder wie viele Samen oder Früchte sie zu welchem Zeitpunkt produzieren.

Heute besorgt viele Menschen der Rückgang der genetischen Vielfalt bei Kulturpflanzen durch die moderne landwirtschaftliche Praxis. Aufgrund der Mechanismen der Evolution muss dies jedoch nicht zwangsläufig zu einem Verlust an Vielfalt führen. „Unsere Sammlung aus 1.000 pflanzengenetischen Ressourcen und 315 Kultursorten ermöglichte es uns, in der vorgelegten Studie die Komplexität des Pangenoms in der Kulturpflanze und ihrem wild-vorkommenden Vorfahren zu vergleichen“, sagt Dr. Murukarthick Jayakodi, einer der vier Erstautoren der Studie, die heute in der Fachzeitschrift Nature veröffentlicht wurde. „Und wir haben gezeigt, dass nach der Domestizierung eine wertvolle Vielfalt entstehen kann.“

Anhand des kürzlich veröffentlichten Entwurfes des menschlichen Pangenoms konnte bereits gezeigt werden, wie Referenzgenomesequenzen mehrerer Individuen sinnvoll genutzt werden können. In der aktuellen Studie über das Pangenom der Gerste geht es nun um Evolution und Züchtung von Nutzpflanzen. Die zusammenhängenden und vollständigen Referenzsequenzen für 76 Gerstegenotypen waren hierfür entscheidend. „Wir konnten erstmals die Evolution sogenannter strukturell komplexer Genomregionen oder Loci untersuchen und 173 dieser Loci mit nahezu identischen direkten, Gen-tragenden Wiederholungen nachweisen“, erklärt Dr. Martin Mascher, Leiter der Arbeitsgruppe „Domestikationsgenomik“ am IPK.

Um den Nutzen des Pangenoms zu demonstrieren, konzentrierten sich die Forscherinnen und Forscher auf einige wenige Loci – Mla, HvTB1, amy1_1, HvSRH1 – und die Merkmale, die sie kontrollieren: Krankheitsresistenz, Pflanzenarchitektur, Stärkemobilisierung und die Behaarung eines rudimentären Anhängsels am Korn. Betrachtet man die Umwelt als eine Reihe exogener Faktoren, die die natürliche Selektion vorantreiben, so bietet Gerste nicht nur ein faszinierendes, sondern auch ein wirtschaftlich wichtiges Beispiel.

Beim Mälzen, werden Gerstekörner kontrolliert zum Keimen gebracht. Dabei werden Enzyme freigesetzt, die Stärke in vergärbare Zucker abbauen. Die Pangenom-Sequenzen enthüllten die Unterschiede in der Kopienzahl und die Haplotypenvielfalt der stärkeabbauenden alpha-Amylase1_1-Gen-Familie. „Neue allelische Variationen zeigen die Leistungsfähigkeit der Pangenomik“, bekräftigt Prof. Dr. Nils Stein, Leiter der Abteilung „Genbank“ des IPK. „Unsere Ergebnisse deuten darauf hin, dass ein Großteil der allelischen Vielfalt, die wir an strukturell komplexen Loci im Pangenom sehen, den Kulturpflanzen dabei geholfen haben könnte, sich an neue Selektionsmechanismen in den landwirtschaftlichen Ökosystemen anzupassen.“

Gerste gehört heute zu den fünf wichtigsten Kulturpflanzen weltweit – und ihre Bedeutung könnte sogar weiter zunehmen. Gerste hat wichtige Vorteile. Das Getreide ist in der Lage, sich an raue und karge Bedingungen sowie an trockene Klimazonen anzupassen. Die Allelvielfalt an strukturell variablen Loci spielt hierbei möglicherweise eine wichtige Rolle. „Die Komplexität des Gerste-Pangenoms in Wild- und Kulturgerste bietet eine neue Informationsdichte für die Anpassung dieser wichtigen Kulturpflanze an die sich verändernden Klima- und Anbaubedingungen der Zukunft“, erklärt Prof. Dr. Nils Stein.

Mit dieser Studie unterstreicht das IPK seine international führende Rolle auf dem Gebiet der Analyse der Kulturpflanzengenome und deren Diversität in Genbanken. So war das Institut bereits maßgeblich beteiligt an der Genomsequenzierung und früheren Pangenom-Studien von Gerste, Weizen, Roggen und Hafer sowie deren wilden Verwandten. Das jetzige Gerste-Pangenom-Projekt, an dem 80 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus zwölf Ländern beteiligt waren, wurde ebenfalls vom IPK initiiert und koordiniert.

Wissenschaftliche Ansprechpartner:

Prof. Dr. Nils Stein
Tel.: +49 39482 5522
stein@ipk-gatersleben.de

Originalpublikation:

Jayakodi et al. (2024): Structural variation in the pangenome of wild and domesticated barley. Nature. DOI: 10.1038/s41586-024-08187-1

https://www.ipk-gatersleben.de/pressemitteilungen/artikel/pressemitteilung-13112024

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Christian Schafmeister Presse und Öffentlichkeitsarbeit
Leibniz-Institut für Pflanzengenetik und Kulturpflanzenforschung

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