Eine Million für nachhaltige Silizium-Chemie
TU-Professor Matthias Drieß erhält DFG-Förderung für Synthese von Stickstoffverbindungen mit Hilfe von Silizium.
Die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) fördert Prof. Dr. Matthias Drieß, Leiter des Fachgebiets Metallorganische Chemie und Anorganische Materialien an der TU Berlin, mit einer Million Euro über fünf Jahre im Rahmen ihres Reinhart Koselleck-Programms. Dieses soll Wissenschaftler*innen mit besonderen wissenschaftlichen Leistungen die Möglichkeit eröffnen, in hohem Maße innovative und im positiven Sinne risikobehaftete Projekte durchzuführen. Im Fall der Förderung von Matthias Drieß geht es dabei um die nachhaltige Nutzung von Silizium, dem zweithäufigsten Element der Erdkruste, für eine völlig neue Methode zur Erzeugung von Feinchemikalien. Konkret demonstriert werden soll dies an einem Verfahren zur Spaltung und chemischer Wertschöpfung von molekularem Stickstoff mit Hilfe von Silizium. Dabei entstehen stickstoffhaltige Chemikalien zur Herstellung von Medikamenten, Farbstoffen oder für die Luft- und Raumfahrt.
Wir leben in einer Silizium-Welt: Nicht nur ist dieses Element als Siliziumdioxid der Grundstoff von Sand und damit nach Sauerstoff mit fast 30 Gewichtsprozent das zweithäufigste Element in der Erdkruste. Aus Silizium werden Mikrochips für die Elektronik gefertigt und auch Solarzellen nutzen die halbleitenden Eigenschaften des Materials, um Strom aus Sonnenlicht zu erzeugen. Veredelte Baustoffe und biokompatible Ersatzstoffe für den menschlichen Körper enthalten Silizium in Form von Silikonen. „Gerade im Zuge der Energiewende werden wir daher mit immer größeren Mengen von Silizium rechnen müssen, die bei der Herstellung oder Entsorgung von siliziumbasierten Materialien wie Solarzellen anfallen“, erklärt Drieß. Neben der Wiederverwendung in den oben genannten Bereichen gehe es deshalb darum, auch neue Anwendungszwecke von Silizium zu erschließen. „Das lohnt sich auch deshalb, weil das Element ungiftig und chemisch gesehen multitalentiert ist“, sagt Drieß.
Das Siliziumatom: sehr reaktiv und gleichzeitig stark wie ein Diamant gebunden
„Eigentlich möchte ein einzelnes Siliziumatom alle seine vier Außenelektronen loswerden und ist daher in atomarer Form sehr reaktionsfreudig“, berichtet Drieß. Dies ist auch der Grund, warum sich jedes Siliziumatom an vier „gleichgesinnte“ Siliziumatome bindet und eine Kristallstruktur ausbildet, die mit der des Diamanten identisch ist (Diamant selbst besteht aus Kohlenstoff). Im Siliziumkristall sind die Atome also sehr stark miteinander verbunden – man kann sie daher schwer voneinander trennen, um sie in chemischen Reaktionen einzusetzen. „Will man die Vorteile der Reaktivität des Siliziums nutzen, nämlich dass es reaktionsfreudig ist, dann ist das bisher technologisch sehr aufwendig, man muss sich also neue chemische Tricks einfallen lassen.“
Machbarkeit wurde bereits gezeigt
Matthias Drieß und sein Team haben eine Methode entwickelt, wie sie das atomar sehr reaktionsfreudige Silizium dazu benutzen können, andere, ebenfalls sehr stark untereinander gebundene Elemente zu trennen und neue chemische Reaktionen zu ermöglichen. Dass ihr Verfahren prinzipiell funktioniert, haben sie bereits am Molekül Kohlenmonoxid (CO) gezeigt, das sie mit Hilfe von Siliziumverbindungen nicht nur in Kohlenstoff (C) und Sauerstoff (O) trennen, sondern später auch wieder zusammenfügen konnten. Nun wollen die Forscher*innen die Methode auf das besonders reaktionsträge Stickstoffmolekül (N2) anwenden. In dieser Form, mit einer stabilen Dreifachbindung zwischen den beiden Stickstoffatomen, kommt das Element in der Natur vor, etwa in der Luft. Würde es gelingen, das N2-Molekül bei Raumtemperatur und Atmosphärendruck aufzuspalten, stände es für die energieeffiziente Synthese von vielen Ausgangsstoffen für die chemische Industrie zur Verfügung.
Atomare Werkbank für eine neue Silizium-Chemie
Auch wenn die reale Umsetzung etwas komplexer ist, lässt sich die Idee des Verfahrens einfach erklären. Dabei zeigt sich, dass moderne Chemie weit mehr ist als das bloße Zusammenbringen verschiedener Stoffe, damit diese reagieren. Wie auf einer atomaren Werkbank geht es stattdessen darum, auch räumlich die für eine Reaktion notwendigen Bedingungen zu schaffen. Hier ganz konkret: das N2-Molekül so lange festhalten zu können, bis durch mehrfache chemische Eingriffe die Dreifachbindung der Atome ganz oder teilweise aufgebrochen werden kann.
Eingebracht wird das Silizium in den Prozess über die Verbindung Siliziumtetrachlorid, das üblicherweise in der Halbleiterindustrie benötigt wird. „An die Siliziumatome hängen wir zunächst einen sogenannten organischen Rest, also eine kohlenwasserstoffhaltige Verbindung, und entfernen danach zwei Chloratome, damit jedes Siliziumatom zwei seiner vier Außenelektronen zurückbehält. Die dadurch bedingte hohe Reaktivität des einzelnen Siliziumatoms wird durch den organischen Rest erstmal in Schach gehalten“, erklärt Matthias Drieß. Zwei derart präparierte Siliziumatome werden dann an zwei gegenüberliegende Ecken eines starren, größeren organischen Moleküls gehängt, zum Beispiel eines „Xanthens“. „Dieses Xanthen wirkt quasi als starre Tasche, in der sich ein N2-Molekül leicht verfangen und festgehalten werden kann. Der Trick besteht darin, dass die Siliziumatome ihre ungebundenen Elektronen nun auf das N2-Molekül übertragen, wodurch die sehr starke Stickstoff-Stickstoff-Dreifachbindung nach und nach gebrochen werden kann.“
Hohes Risiko, hoher Nutzen
So jedenfalls ist der Plan. Weil es außer den Vorarbeiten der Arbeitsgruppe von Matthias Drieß noch keine Erfahrungen mit der Methode gibt, könnten jederzeit unvorhergesehene Probleme auftreten. „Bleibt unsere Tasche so lange stabil, dass wir die Bindungen des Stickstoffs aufbrechen können? Das ist nur eine der ungeklärten Fragen, deretwegen unser Projekt eben auch scheitern könnte“, erklärt Drieß. Der mögliche Gewinn wäre aber auch groß: Je nachdem, wie viele der drei Bindungen aufgebrochen werden, könnten auf direktem Weg zum Beispiel Diazene hergestellt werden, die die Grundlage für viele Farbstoffe bilden, oder Hydrazine, die als Treibstoff in der Luft- und Raumfahrt oder stark verdünnt als Korrosionsschutz zum Einsatz kommen. Löst man die Dreifachfachbindung der beiden Stickstoffatome ganz und werden die Stickstoffatome danach mit organischen Resten verknüpft, können sich Derivate des Ammoniaks (NH3) bilden, die die Grundlage für bestimmte Medikamente und Aminosäuren darstellen.
Kein neues Haber-Bosch-Verfahren, sondern ein Durchbruch in der Silizium-Chemie
Wichtig ist es Matthias Drieß klarzustellen, dass seine neue Methode keine Konkurrenz zum etablierten Haber-Bosch-Verfahren darstellt, bei dem bei hohen Drücken von bis zu 350 bar und Temperaturen bis zu 500 Grad ebenfalls Stickstoffmoleküle gespalten werden und mit Wasserstoff zu Ammoniak reagieren. „Dieses Verfahren ist zwar energieintensiv, aber seit Jahrzehnten etabliert und ausgereift. Es produziert Millionen von Tonnen Ammoniak, der zu großen Teilen in die Produktion von Düngemitteln geht. Unsere Methode könnte dies nicht leisten. Aber wir könnten, wesentlich effizienter als mit Ammoniak als Ausgangssubstanz, verschiedene Feinchemikalien in Kilogramm-Mengen für die chemische Industrie ‚grüner‘ produzieren, die sonst viel aufwendiger hergestellt werden.“
Drieß sieht es denn auch als durchaus realistisch an, dass sich nach den fünf Jahren Förderung ein Start-up ausgründet und die Methode zur Produktionsreife bringt. „Noch wichtiger als diese Überführung in die industrielle Anwendung wäre aber, dass wir mit diesem Verfahren ein Tor zu einer neuen Silizium-Chemie aufstoßen würden“, erklärt Drieß. Das Element wirkt hier zwar nicht als Katalysator, sondern wird bei den Reaktionen tatsächlich verbraucht, es könnte aber zu großen Teilen recycelt werden. Wenn sich aufbauend auf dem neuen Verfahren also weitere Anwendungen fänden, könnte Silizium seine reaktionsfreudigen Eigenschaften in Zukunft nachhaltig ausspielen.
Kontakt:
Prof. Dr. Matthias Drieß
Fachgebiet Metallorganische Chemie und Anorganische Materialien
Institut für Chemie
Technische Universität Berlin
Tel.: 030 314-29731
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