Entwicklung und ökologischer Wettbewerb mehrzelliger Lebenszyklen
Neue Studien des Max-Planck-Instituts für Evolutionsbiologie zeigen, dass eine Konkurrenz zwischen verschiedenen evolutionären Entwicklungsstadien mehrzelliger Lebenszyklen wichtig für die Entwicklung einer gesamten Population sein kann. Ohne direkte Konkurrenz entscheidet nur die Wachstumsrate einer Population, welcher Lebenszyklus sich durchsetzt. Eine ökologische Konkurrenz dagegen kann zur Selektion von völlig anderen Lebenszyklen führen.
Die Evolution mehrzelliger Organismen ist ein zentraler Prozess im Verlauf der Entstehung des Lebens. In den meisten Fällen ist ein Organismus nur einen Teil seines Lebenszyklusses multizellulär: Der einfachste multizelluläre Lebenszyklus besteht dabei aus dem Wachstum der Keimzelle hin zu einer Kolonie und deren Aufspaltung in einzelnen Zellen, um neue Keimzellen hervorzubringen. Bisher gehen die meisten theoretischen Modelle davon aus, dass die Selektion zwischen den Lebenszyklen durch interne Eigenschaften der multizellularen Gruppen angetrieben wird, was zu einem Wachstumswettbewerb führt. Gleichzeitig wird jedoch der Einfluss von Interaktionen zwischen Gruppen auf die Evolution der Lebenszyklen nur selten berücksichtigt.
Vanessa Ress (Universität Hamburg), Arne Traulsen (Max-Planck-Institut für Evolutionsbiologie, Plön) und Yuriy Pichugin (Princeton University, USA) stellen nun ein neues Modell vor, welches die ökologische Konkurrenz zwischen den einzelnen Lebenszyklen berücksichtigt – ein Projekt, das in der durch Dr. Pichugin betreuten Masterarbeit von Vanessa Ress seinen Anfang nahm. In dem Modell zeigt sich, dass das Ergebnis der Evolution eine Koexistenz zwischen mehreren Lebenszyklen sein kann, was ohne Konkurrenz unmöglich wäre. Ebenso zeigen die Untersuchungen, dass Modelle, die diese Konkurrenz vernachlässigen, zwar die kurzfristige Dynamik erfassen können, aber bei der Vorhersage der Entwicklung auf Populationsebene versagen.
Mehrzellige Organismen wie Tiere, Pflanzen, Pilze oder Rot- und Braunalgen werden oft dadurch gebildet, dass deren Zellen nach der Zellteilung zusammenbleiben – anders als bei einzelligen Arten, bei denen sich die Zellen vor der nächsten Teilung trennen. Organismen müssen sich jedoch fortpflanzen, da ihre Art sonst ausstirbt. Für einen mehrzelligen Organismus bedeutet das, dass einige Zellen abwandern müssen, um sich zu einem neuen Individuum zu entwickeln.
Die Kombination aus Wachstum und Fortpflanzung eines Organismus bildet einen klonalen Lebenszyklus. Die Entstehung klonaler mehrzelliger Lebenszyklen war die zentrale Innovation in den früheren Phasen der Evolution der Vielzelligkeit. Dort werden Eigenschaften, die es bei einzelligen Arten gar nicht gibt, entscheidend für den langfristigen Erfolg selbst der primitivsten Zellkolonie. Dazu gehört die Anzahl der Zellen in der Kolonie, die Häufigkeit, mit der Zellen abwandern, um neue Kolonien zu bilden, die Größe der freigesetzten Keimzellen und die Anzahl der produzierten Keimzellen.
Da die Fortpflanzung und damit auch die Fitness einfacher Zellkolonien von diesen Merkmalen abhängt, unterliegen sie sofort der natürlichen Auslese, die einige Lebenszyklen gegenüber anderen bevorzugt.
Da komplexes mehrzelliges Leben von diesen einfachen Zellkolonien abstammt, ist das Verständnis der Evolution primitiver Lebenszyklen entscheidend für das Verständnis der Evolution komplexer Organismen.
Wissenschaftliche Ansprechpartner:
Vanessa Ress, Arne Traulsen, Yuriy Pichugin
Originalpublikation:
https://doi.org/10.7554/eLife.78822
Weitere Informationen:
https://www.evolbio.mpg.de/3608302/news_publication_19147160_transferred?c=5697
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