Epigenetische Forschung mit Rückgrat: Regeneration nach Rückenmarksverletzungen initiieren

Sind Nervenfortsätzen in Gehirn oder Rückenmark, also dem zentralen Nervensystem (ZNS) beschädigt, findet keine Regeneration statt. Anders als bei denen des peripheren Nervensystems (PNS). Rund 30 Prozent der Nervenfortsätze wachsen nach einer Verletzung wieder nach.

Das Protein PCAF übernimmt dabei eine entscheidende Funktion, wenn es um die chemischen und genetischen Vorgänge geht, die die Regeneration der Nervenstränge im PNS in Gang setzen. Ist der P300/CBP-assoziierte Faktor (PCAF) blockiert, findet auch im PNS keine Neuroregeneration statt. Einen ähnlichen Regenerationsprozess konnten die Wissenschaftler nun auch im ZNS von Mäusen auslösen.

Dafür injizierten sie Mäusen mit einer Verletzung des zentralen Nervensystems das Protein PCAF. Das erhöhte signifikant die Anzahl der sich regenerierenden Nervenfasern. „Die Ergebnisse unserer Arbeit deuten darauf hin, dass wir in der Lage sind, bestimmte epigenetische Veränderungen im zentralen Nervensystem zu erzielen, die das Wachstum von Nervenfasern nach Verletzungen verbessern“, sagt Professor Simone Di Giovanni vom Hertie-Institut für klinische Hirnforschung der Universität Tübingen und dem Imperial College London.

Der nächste Schritt wäre, so Di Giovanni, zu sehen, ob es gelingt, die Beweglichkeit, der mit PCAF behandelten Mäuse, wiederherzustellen. Bei epigenetischen Prozessen findet die Veränderung nicht an der genetischen Information, der DNA selbst statt, sondern an ihrer Verpackung (epi: auf, außerhalb). Das geschieht in Form chemischer Reaktionen, die Gene aktivieren oder deaktivieren können.

Um die Unterschiede zwischen zentralem und peripherem Nervensystem zu untersuchen, setzten die Forscher sowohl auf Maus-Modelle als auch auf Zellkulturen. Sie verglichen die Reaktionen beider Systeme anhand sogenannter Spinalganglien. Das sind noch innerhalb des Wirbelkanals gelegene Nervenknoten, die ZNS und PNS miteinander verbinden. Sie fanden heraus, dass ein bestimmter epigenetischer Prozess bei der Regeneration eine große Rolle spielt.

Sind Nervenzellen im peripheren Nervensystem beschädigt, startet ein komplexer Kommunikationsmechanismus. Dazu gehört unter anderem eine sogenannte retrograde Signalübertragung zum Zellkörper. „Damit wechselt die Zelle in ein epigenetisches Programm, das das Nervenwachstum initiiert”, beschreibt Dr. Radhika Puttagunta vom Hertie-Institut für klinische Hirnforschung der Universität Tübingen den ersten Schritt der Nervenzelle auf dem Weg zur Regeneration.

Bisher war sehr wenig über diesen Prozess bekannt, in dessen Mittelpunkt der von den Forschern entdeckte P300/CBP-assoziierte Faktor (PCAF) steht. Mit ihrer Arbeit ist es den Forschern um Simone Die Giovanni überdies auch erstmals gelungen, einen spezifischen epigenetischen Prozess, der für die Regeneration von Nervenfasern verantwortlich ist, zu identifizieren.

Originaltitel der Publikation
PCAF-dependent epigenetic changes promote axonal regeneration in the central nervous system’, Nature Communications (2014), DOI 10.1038/ncomms4527.
http://www.nature.com/ncomms/2014/140401/ncomms4527/full/ncomms4527.html

Media Contact

Silke Jakobi Hertie-Institut für klinische Hirnforschung (HIH)

Weitere Informationen:

http://www.hih-tuebingen.de

Alle Nachrichten aus der Kategorie: Biowissenschaften Chemie

Der innovations-report bietet im Bereich der "Life Sciences" Berichte und Artikel über Anwendungen und wissenschaftliche Erkenntnisse der modernen Biologie, der Chemie und der Humanmedizin.

Unter anderem finden Sie Wissenswertes aus den Teilbereichen: Bakteriologie, Biochemie, Bionik, Bioinformatik, Biophysik, Biotechnologie, Genetik, Geobotanik, Humanbiologie, Meeresbiologie, Mikrobiologie, Molekularbiologie, Zellbiologie, Zoologie, Bioanorganische Chemie, Mikrochemie und Umweltchemie.

Zurück zur Startseite

Kommentare (0)

Schreiben Sie einen Kommentar

Neueste Beiträge

Genetische Analyse zeigt neue Risikofaktoren für Depression in verschiedenen Bevölkerungsgruppen

Globale Studie identifiziert Gene für Depressionen in verschiedenen Ethnien

Neue genetische Risikofaktoren für Depression wurden erstmals in allen großen Weltbevölkerungen identifiziert und ermöglichen es Wissenschaftler*innen, das Risiko für Depression unabhängig von der ethnischen Zugehörigkeit vorherzusagen. Die bislang größte und…

Teilnehmer des Gesundes Lebensstilprogramms zur Bewältigung chronischer Kreuzschmerzen

Zurück zu den Grundlagen: Gesunder Lebensstil reduziert chronische Rückenschmerzen

Rückenschmerzen im unteren Rückenbereich sind weltweit eine der Hauptursachen für Behinderungen, wobei viele Behandlungen wie Medikamente oft keine dauerhafte Linderung bieten. Forscher des Centre for Rural Health der Universität Sydney…

3D-Tumormodell für Retinoblastomforschung mit Fokus auf Tumor-Umgebungs-Interaktionen.

Retinoblastom: Aufschlussreiche Untersuchung von Tumorzellen der Netzhaut

Ein Forschungsteam der Medizinischen Fakultät der Universität Duisburg-Essen und des Universitätsklinikums Essen hat ein neues Zellkulturmodell entwickelt, mit dem die Wechselwirkungen zwischen Tumorzellen und ihrer Umgebung beim Retinoblastom besser untersucht…