Erkennung von Peptiden in Rezeptorfamilien

Strukturen von drei Peptid-Rezeptorkomplexen der menschlichen NPY Familie. Der Peptidligand ist jeweils in orange (NPY) und rot (PP) dargestellt, die Rezeptoren in blau bzw. violett, der Interaktionspartner in der Zelle ist ein sogenanntes G Protein.
Abbildung: Anette Kaiser

Klein, aber essenziell …

Der menschliche Körper besteht aus Billionen Zellen, die ständig miteinander kommunizieren. Eine zentrale Rolle in diesem Kommunikationsprozess spielen Empfänger-Proteine an der Zelloberfläche, sogenannte Rezeptoren. Sie werden besonders häufig als Zielstrukturen für Medikamente genutzt und daher intensiv erforscht. Oft gibt es ganze Familien von Rezeptoren. Sowohl die Signal-Botenstoffe als auch die Rezeptoren untereinander sind sehr ähnlich, sodass nicht klar ist, wie die Signale auf molekularer Ebene voneinander unterschieden werden.

Nun ist es Wissenschaftler:innen des Sonderforschungsbereichs 1423 der Universität Leipzig, dem Hangzhou Institute for Advanced Study und der Chinese Academy of Sciences in Shanghai in einem gemeinsamen Forschungsprojekt gelungen, für die Neuropeptid Y (NPY)-Rezeptorfamilie hochauflösende Strukturen für gleich drei verwandte, im Körper natürlicherweise vorkommende Signalkomplexe zu gewinnen und so die kleinen, aber essenziellen Unterschiede zu beleuchten. Die Forscher:innen haben ihre neuen Erkenntnisse jetzt im renommierten Fachjournal „Science Advances“ veröffentlicht.

Die NPY-Familie besteht aus insgesamt drei verwandten Peptidliganden: NPY, PP und PYY, die unterschiedliche Funktionen im Körper haben. Diese wirken als Botenstoffe sowohl lokal im Gewebe, vor allem im Gehirn, als auch über die Blutbahn. Sie binden an vier verschiedene Rezeptoren (Y1R, Y2R, Y4R und Y5R), wobei verschiedene Kombinationen von Peptidligand und Rezeptor in verschiedenen Situationen auftreten: Während NPY in Verbindung mit Y1R im Gehirn Hunger signalisiert, vermittelt PP, gebunden an Y4R, ein starkes Sättigungssignal. Auch für moderne Krebstherapien sind NPY-Rezeptoren interessant. Eine hohe Zahl an Y1R ist charakteristisch für Brustkrebs-Zellen, dadurch könnten selektiv nur an diesen Rezeptor bindende NPY-Varianten genutzt werden, um Wirkstoffe gezielt in diese Zellen zu transportieren. In gesundem Brustgewebe kommt hingegen vor allem der Rezeptor Y2R vor. Dieser sollte „umgangen“ werden, um das gesunde Gewebe zu schonen.

Für die Entwicklung gezielter Wirkstoffe ist es daher von großer Bedeutung, den molekularen Bauplan dieser Komplexe und die dahinterliegenden Regulationsmechanismen zu kennen. Neben den molekularen Strukturen, die von Prof. Qiang Zhao vom Hangzhou Institute for Advanced Study und Prof. Beili Wu von der Chinese Academy of Sciences mittels Kryo-Elektronenmikroskopie sichtbar gemacht wurden, haben Prof. Dr. Annette Beck-Sickinger und Dr. Anette Kaiser von der Universität Leipzig biochemische Studien durchgeführt, die die komplexen Bindungsmechanismen der Peptide an ihre Rezeptoren besser beleuchten und die Ergebnisse der Strukturuntersuchungen untermauern. Dabei konnten die relevanten Bereiche von Peptid und Rezeptor im Komplex gefunden werden.

Die Arbeitsgruppen forschen bereits seit über zehn Jahren gemeinsam in diesem Forschungsfeld, und die Ergebnisse bauen auf umfangreichen Vorarbeiten auf. Umso wertvoller ist diese nunmehr dritte gemeinsame Publikation der Arbeitsgruppen. Denn mithilfe eines neuartigen Testsystems zeigte sich, dass die Peptide unterschiedliche „Andock-Wege verwenden“ und dies in der Zelle zu unterschiedlichen Signalen führen kann. Dabei spiel die Flexibilität, die Beweglichkeit der Komplexe in bestimmten Bereichen eine wichtige Rolle. Prof. Annette Beck-Sickinger sagt: „Ein Teil der Flexibilität von Peptid und Rezeptor bleibt also auch im gebundenen Zustand erhalten. Welche Ursachen und Folgen das hat, wird nun in weitergehenden Studien im SFB 1423 weiter erforscht, ebenso wie die Frage, welche weiteren Faktoren noch Einfluss auf die Erkennung zwischen Peptiden und Rezeptoren haben.“

Die Untersuchung der NPY-Rezeptorfamilie mit ihrer körpereigenen Liganden sowie weiterer klinisch relevanter Verbindungen ist ein Schwerpunkt des an der Universität Leipzig koordinierten Sonderforschungsbereichs 1423. Er ist eine von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) geförderte vierjährige Forschungseinrichtung, an der vier Fördereinrichtungen beteiligt sind: Universität Leipzig, die Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg, die Charité – Universitätsmedizin Berlin und das Max-Delbrück-Zentrum für Molekulare Medizin in Berlin. Forschende aus biochemischen, biomedizinischen und computerwissenschaftlichen Kontexten arbeiten über die Grenzen ihrer jeweiligen Institutionen und Disziplinen hinweg zusammen, um ein umfassendes Verständnis der Auswirkungen der Strukturdynamik auf die Funktion des GPCR zu erhalten. Die neuesten Erkenntnisse und Ansätze der GPCR-Forschung werden auch auf der internationalen Konferenz 4GPCRnet ´22 vorgestellt, deren Mitorganisator der SFB1423 ist. Dieses hochrangige Treffen findet vom 26. bis 29. September 2022 auf dem Campus der Universität Leipzig am Augustusplatz statt.

Originaltitel der Veröffentlichung in „Science Advances“:

“Receptor-specific recognition of NPY peptides revealed by structures of NPY receptors”, DOI: 10.1126/sciadv.abm1232

Wissenschaftliche Ansprechpartner:

Prof. Dr. Annette Beck-Sickinger
Institut für Biochemie der Universität Leipzig
Telefon: +49 341 97-36901
E-Mail: abeck-sickinger@uni-leipzig.de

Weitere Informationen:

http://www.biochemie.uni-leipzig.de
https://www.science.org/doi/10.1126/sciadv.abm1232

http://www.uni-leipzig.de

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