Erstes fraktales Molekül in der Natur entdeckt

Ein mikrobielles Enzym, eine Citrat-Synthase, ist das erste bekannte molekulare Fraktal. Es handelt sich um ein sogenanntes Sierpinski-Dreieck.
(c) Dr. Georg Hochberg / Max-Planck-Institut für terrestrische Mikrobiologie

Forschende des Max-Planck-Instituts in Marburg fanden erstmals ein Protein, das dem faszinierenden mathematischen Muster der Selbstähnlichkeit folgt.

Ein internationales Forscherteam unter der Leitung von Gruppen des Max-Planck-Instituts in Marburg und der Phillips-Universität Marburg hat das erste regelmäßige molekulare Fraktal in der Natur entdeckt. Ein mikrobielles Enzym setzt sich spontan zu einem regelmäßigen fraktalen Muster, dem so genannten Sierpinski-Dreieck, zusammen. Elektronenmikroskopische und evolutionsbiochemische Untersuchungen deuten darauf hin, dass dieses Fraktal ein evolutionärer Zufall sein könnte.

Farne (unten links) und Romanesco-Blumenkohl sind dagegen Beispiele für regelmäßige Fraktale. Aus der Welt der natürlichen Moleküle war bisher kein regelmäßiges Fraktal bekannt. Nun haben Forscher am MPI Marburg ein fraktales Protein entdeckt.
Farne (unten links) und Romanesco-Blumenkohl sind dagegen Beispiele für regelmäßige Fraktale. Aus der Welt der natürlichen Moleküle war bisher kein regelmäßiges Fraktal bekannt. Nun haben Forscher am MPI Marburg ein fraktales Protein entdeckt. Bild: Max-Planck-Institut für terrestrische Mikrobiologie/Hochberg

Schneeflocken, Farnblätter, Romanesco-Blumenkohlköpfe: In der Natur trifft man manchmal auf Formen, deren einzelnen Bestandteile wie das Ganze aussehen. Formen, die sich vom Großen bis ins Kleinste in sich selbst wiederholen, nennt man Fraktale. Regelmäßige Fraktale, bei denen die Übereinstimmung zwischen den Größenordnungen nahezu exakt ist, wie bei den obigen Beispielen, sind in der Natur sehr selten.

Auch Moleküle weisen eine gewisse Regelmäßigkeit auf. Doch wenn man sie aus hoher Entfernung betrachtet, ist davon nichts mehr zu erkennen. Dann sieht man eine glatte Materie, deren Merkmale nicht mehr mit denen der einzelnen Moleküle übereinstimmen. Der Grad der Feinstruktur, den wir sehen, hängt hier von unserer Vergrößerung ab, ganz im Gegensatz zu Fraktalen, bei der die Selbstähnlichkeit über alle Skalen hinweg bestehen bleibt. Tatsächlich sind auf der Ebene der Moleküle regelmäßige Fraktale in der Natur völlig unbekannt.

Das überrascht ein wenig, denn Moleküle können sich selbst zu allen möglichen wunderschönen Formen zusammensetzen. In wissenschaftlichen Einrichtungen findet man umfangreiche Kataloge selbstorganisierter, komplexer Molekülstrukturen. Allerdings fand sich darunter bisher noch nie ein regelmäßiges Fraktal. Es stellt sich heraus, dass fast alle regelmäßig aussehenden Selbstanordnungen zu der Art von Regelmäßigkeit führen, die auf großen Skalen glatt werden.

Ein internationales Forscherteam unter der Leitung von Gruppen des Marburger Max-Planck-Instituts in Marburg und der Phillips-Universität ist jetzt auf das erste regelmäßige molekulare Fraktal in der Natur gestoßen. Sie entdeckten ein mikrobielles Enzym – die Citrat-Synthase aus einem Cyanobakterium – das sich spontan zu einem regelmäßigen fraktalen Muster, dem so genannten Sierpiński-Dreieck, zusammensetzt. Dabei handelt es sich um eine sich unendlich wiederholende Reihe von Dreiecken, die aus kleineren Dreiecken bestehen.

„Wir sind völlig zufällig auf diese Struktur gestoßen und konnten es kaum glauben, als wir sie zum ersten Mal unter einem Elektronenmikroskop betrachteten“, sagt Erstautorin Franziska Sendker. „Das Protein bildet diese wunderschönen Dreiecke, und während das Fraktal wächst, sehen wir diese immer größeren dreieckigen Lücken in der Mitte, was völlig anders ist als jede Proteinanordnung, die wir je zuvor gesehen haben“, fährt sie fort.

Wie kam es zu dieser außergewöhnlichen Ausnahme? Was unterscheidet das Enzym von allen anderen, so dass es eine fraktale Form bildet? In Zusammenarbeit mit Strukturbiologen der Universität Marburg gelang es dem Team schließlich, mit Hilfe der Elektronenmikroskopie aufzuklären, wie die molekulare Struktur diese fraktale Geometrie bedingt. „Dies war eine der schwierigsten, aber auch faszinierendsten Strukturen, die ich in meiner Laufbahn gelöst habe“, sagt Jan Schuller, dessen Gruppe an der Strukturbestimmung beteiligt war. „Das Problem bestand darin, dass unsere Bildanalysetechniken darauf nicht ausgerichtet sind. Sie wurden durch die Tatsache verwirrt, dass die kleineren Dreiecke Unterstrukturen größerer Dreiecke sein können. Der Algorithmus konzentrierte sich auf diese kleineren Dreiecke, anstatt die größeren Strukturen zu sehen, zu denen sie gehörten“, erklärt er.

Anhand der vorliegenden Struktur wurde deutlich, wie dieses Protein sich zu einem Fraktal zusammensetzen kann. Normalerweise verläuft die Selbstorganisation von Proteinen sehr symmetrisch: Jede einzelne Proteinkette nimmt die gleiche Anordnung zu ihren Nachbarn ein. Diese symmetrischen Wechselwirkungen führen immer zu Strukturen, die auf großen Skalen glatt werden. Der Schlüssel zum fraktalen Protein liegt darin, dass sein Zusammenbau gegen diese Symmetrie-Regel verstößt. Verschiedene Proteinketten gingen an verschiedenen Positionen im Fraktal leicht unterschiedliche Wechselwirkungen ein. Auf diese Weise entstand das Sierpinski-Dreieck mit seinen großen inneren Hohlräumen anstelle eines regelmäßigen Molekülgitters.

Hat diese bizarre Anordnung irgendeinen Nutzen? „Das Prinzip der Selbstorganisation wird häufig zur Regulierung von Enzymen genutzt, aber in diesem Fall scheint es dem Cyanobakterium, in dem dieses Enzym vorkommt, ziemlich egal zu sein, ob sich seine Citrat-Synthase zu einem Fraktal zusammensetzen kann oder nicht.“ Als das Team das Bakterium genetisch manipulierte, um zu verhindern, dass sich seine Citrat-Synthase zu den fraktalen Dreiecken zusammensetzt, wuchsen die Zellen unter verschiedenen Bedingungen genauso gut. „Dies veranlasste uns zu der Frage, ob es sich dabei vielleicht nur um einen harmlosen Zufall der Evolution handelt. Sozusagen ein Unfall, der passiert, weil die betreffende Struktur nicht allzu schwierig zu konstruieren ist“, sagt der Evolutionsbiologe Georg Hochberg, einer der Hauptautoren der Studie.

Um ihre Theorie zu überprüfen, spielte das Team unter Laborbedingungen die evolutionäre Entstehung der fraktalen Anordnung nach. Durch die Wiederbelebung einer Citrat-Synthase eines evolutionär alten Cyanobakteriums mit Hilfe statistischer Methoden und anschließender experimenteller Untersuchungen, konnten sie zeigen, dass die Anordnung recht plötzlich durch eine sehr geringe Anzahl von Mutationen entstand. Sie wurde im Anschluss sofort in mehreren Cyanobakterienlinien wieder verloren, sodass sie nur in dieser einzigen Bakterienart intakt blieb.

„Wir können nie ganz sicher sein, warum etwas in der Vergangenheit passiert ist. Doch in diesem Fall finden wir tatsächlich alle Merkmale eines evolutionären Zufalls: eine scheinbar komplexe biologischen Struktur, die ohne guten Grund entstanden ist, einfach weil es sehr leicht war, sie zu entwickeln“, sagt Hochberg.

Die Tatsache, dass etwas so komplex Aussehendes wie ein molekulares Fraktal in der Evolution so leicht entstehen konnte, lässt vermuten, dass noch mehr Überraschungen und viel Schönheit in bisher unentdeckten molekularen Anordnungen vieler Biomoleküle verborgen sein könnten.

Wissenschaftliche Ansprechpartner:

Dr. Georg Hochberg
Max Planck Research Group Leader +49 6421 28-25441 georg.hochberg@mpi-marburg.mpg.de
Max Planck Institute for Terrestrial Microbiology, Marburg

Originalpublikation:

Sendker, F.L.; Lo, J.K.; Heimerl, T.; Bohn, S.; Persson, L-J.; Mais, C.N.; Sadowska, W.; Paczia, N.; Nußbaum, E.; del Carmen Sánchez Olmos, M.; Forchhammer. K.; Schindler, D.; Erb, T.J.; Benesch, J.L.P.; Marklund, E.; Bange, G.; Schuller, J.M.; Hochberg, G.K.A.
Emergence of fractal geometries in the evolution of a metabolic enzyme
Nature April 10 (2024), DOI: 10.1038/s41586-024-07287-2

https://www.mpi-marburg.mpg.de/1382060/2024-04-b?c=689396

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