Es steckt uns in den Knochen: Blutstammzellen haben ein Gedächtnis und führen Protokoll über ansteckende Begegnungen

Immunzellen unter dem Fluoreszenzmikroskop: Blutstammzellen erinnern sich an einen früheren Angriff und produzieren mehr Immunzellen wie diese Makrophagen, um eine neue Infektion zu bekämpfen © Sieweke lab/CIML

Diese Erkenntnisse dürften zu neuen Wegen führen, ein schwaches Immunsystem zu stärken oder ein überreagierendes zu bremsen. Sie könnten künftige Impfstrategien maßgeblich beeinflussen.

Die Studie, die federführend am Zentrum für Regenerative Therapien der TU Dresden (CRTD) und dem Zentrum für Immunologie der Universität Marseille Luminy (CNRS, INSERM, Universität Aix-Marseille) durchgeführt wurde, wird heute im renommierten Wisssenschaftsjournal Cell Stem Cell veröffentlicht.

Stammzellen haben in unserem Körper einerseits die Aufgabe, neue Stammzellen zu produzieren; andererseits kann aus ihnen eine Vielzahl spezialisierter Zellen hervorgehen, die unsere Körperfunktionen stützen und für die Gewebeerneuerung verantwortlich sind.

Die allgemein als “Blutstammzellen” bezeichneten hämatopoetischen Stammzellen sind im Knochenmark eingebettet. Ihre Aufgabe ist es, den Vorrat an Blutzellen zu erneuern – darunter auch die Zellen des Immunsystems, die für die Bekämpfung von Infektionen und anderen Krankheiten entscheidend sind.

Bis vor zehn Jahren waren Wissenschaftler allgemein der Auffassung, dass es sich bei Blutstammzellen um unspezialisierte Zellen handelt, die blind für externe Signale wie z.B. Infektionen sind. Nur ihre spezialisierten Tochterzellen würden diese Signale wahrnehmen und eine Immunantwort geben.

In den letzten Jahren aber haben Studien u.a. aus dem Labor von Prof. Michael Sieweke diese Auffassung widerlegt und gezeigt, dass Blutstammzellen externe Faktoren wahrnehmen können, um bei Bedarf spezifische Immunzellen zur Bekämpfung einer Infektion zu produzieren.

Offen blieb jedoch bisher die Frage, welche Funktion die Blutstammzellen bei der Reaktion auf wiederholte Infektionsschübe haben. Es ist bekannt, dass das Immunsystem über ein Gedächtnis verfügt, das es ihm erlaubt, besser auf zurückkehrende Infektionserreger zu reagieren. Die vorliegende Studie belegt nun, dass Blutstammzellen eine zentrale Rolle dabei spielen.

„Wir haben entdeckt, dass Blutstammzellen eine schnellere und effizientere Immunantwort auslösen können, wenn sie zuvor dem bakteriellen Molekül LPS ausgesetzt waren, das eine Infektion nachahmt”, sagt Dr. Sandrine Sarrazin, Senior-Autorin der Studie. Prof. Michael Sieweke, Humboldt-Professor am CRTD der TU Dresden und Letzt-Autor der Studie, ergänzt:

„Die erste Konfrontation mit LPS führt dazu, dass sich Markierungen auf der DNA der Stammzellen ablagern, und zwar genau um die Gene herum, die für eine Immunantwort wichtig sind. Ähnlich wie Lesezeichen sorgen die Markierungen auf der DNA dafür, dass diese Gene leicht zu finden sind und im Falle einer zweiten Infektion durch einen ähnlichen Erreger schnell für eine Immunreaktion aktiviert werden können.“

Die Autoren untersuchten weiter, wie dieses „Gedächtnis“ in die DNA eingebrannt wird. Sie stellten fest, dass der Hauptakteur C/EBP heißt – ein Protein, das an der Genregulierung beteiligt ist. Sie entdeckten dabei eine neue Funktion dieses Proteins, das festlegt wo die „Lesezeichen“ gesetzt werden. Die Summe dieser Erkenntnisse sollte zu neuen Wegen führen, die Immunantwort besser zu regulieren und sollte Einfluss auf künftige Impfstrategien haben.

„Die Fähigkeit unseres Immunsystems, frühere Infektionen zu verfolgen und beim zweiten Auftreten effizienter zu reagieren, ist das Grundprinzip von Impfstoffen. Mit unserem neuen Verständnis, wie Blutstammzellen Informationen der Immunantwort speichern, ergeben sich neue Immunisierungsstrategien, um den Schutz vor Infektionserregern zu verstärken. Ganz grundsätzlich sollten unsere Erkenntnisse neue Wege aufzeigen, das Immunsystem zu stärken, wenn es zu schwach ist, oder zu bremsen, wenn es überreagiert”, erklärt Prof. Michael Sieweke.

Die Forschungsgruppe von Prof. Michael Sieweke arbeitet an der Schnittstelle von Immunologie und Stammzellforschung. Die Wissenschaftler konzentrieren sich dabei auf die Erforschung von Blutstammzellen und Makrophagen, langlebigen Zellen des Immunsystems, die wichtige Aufgaben bei der Gewebeerneuerung übernehmen. 2018 erhielt Prof. Michael Sieweke den höchstdotierten Forschungspreis Deutschlands: die Alexander von Humboldt-Professur, die internationale Spitzenforscher an deutsche Universitäten holt.

Seither ist er neben seiner Funktion als wissenschaftlicher Direktor am Zentrum für Immunologie der Universität Marseille Luminy auch als stellvertretender Direktor am Zentrum für Regenerative Therapien der TU Dresden (CRTD) tätig. Hier widmen sich Spitzenforscher aus mehr als 30 Ländern neuen Therapieansätzen. Sie entschlüsseln die Prinzipien der Zell- und Geweberegeneration und ergründen deren Nutzung für Diagnose, Behandlung und Heilung von Krankheiten.

Das CRTD verknüpft Labor und Klinik, vernetzt Wissenschaftler mit Ärzten, nutzt Fachwissen in Stammzellforschung, Entwicklungsbiologie, Genom-Editing und Geweberegeneration, um letztlich die Heilung von Erkrankungen wie Alzheimer und Parkinson, hämatologischen Krankheiten wie Leukämie, Stoffwechselerkrankungen wie Diabetes sowie Augen- und Knochenerkrankungen zu erreichen.

Diese Studie wurde finanziert durch die TU Dresden / CRTD mit Mitteln der Exzellenzinitiative und der Deutschen Forschungsgemeinschaft sowie durch einen ERC Advanced Grant des Europäischen Forschungsrats und die Alexander von Humboldt-Stiftung. Die Studie wurde weiterhin unterstützt durch Mittel des Institut National de la Sante et de la Recherche Medicale, des Centre National de la Recherche Scientifique, der Aix-Marseille Universität, der Agence Nationale de la Recherche, der Stiftung ARC pour la Recherche sur le Cancer, eines INSERM-Helmholtz-Kooperationsprogramms und der Einstein-Stiftung.

Prof. Michael Sieweke
Tel.: +49 351 458-82200
Email: michael.sieweke@tu-dresden.de
Webpage: http://www.tu-dresden.de/crtd

Cell Stem Cell: “C/EBPb dependent Epigenetic Immune Memory in Hematopoietic Stem Cells”, Autoren: Bérengère de Laval, Julien Maurizio, Prashanth K. Kandalla, Gabriel Brisou, Louise Simonnet, Caroline Huber, Gregory Gimenez, Orit Matcovitch-Natan, Susanne Reinhardt, Eyal David, Alexander Mildner, Achim Leutz, Bertrand Nadel, Christophe Bordi, Ido Amit, Sandrine Sarrazin and Michael H. Sieweke

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Kim-Astrid Magister Technische Universität Dresden

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