Evolution: Auf verschiedenen Wegen zum Ziel

Drosophila. Foto: LMU

Fruchtfliegen haben im Lauf der Evolution unterschiedliche Lösungen gefunden, um die ungleiche Verteilung von Geschlechtschromosomen zu kompensieren.

Die Geschlechtschromosomen sind im Tierreich oft ungleich verteilt: Weibliche Zellen verfügen über zwei X-Chromosomen, während männliche nur ein X- und ein Gen-armes Y-Chromosom besitzen. Männchen der Fruchtfliege Drosophila gleichen diesen Mangel aus, indem ihr X-Chromosom doppelt so aktiv ist. Der Mechanismus dieser Kompensation ist komplex, er erfordert, dass das X-Chromosom sicher von anderen Chromosomen unterschieden wird. Wie Biologen um Professor Peter Becker vom Biomedizinischen Centrum der LMU nun zeigen, hat die Evolution bei Drosophila im Verlauf von nur 40 Millionen Jahren sogar mindestens zwei unterschiedliche Lösungen für diesen lebenswichtigen Vorgang gefunden.

„Angesichts der großen Bedeutung der Dosiskompensation könnte man meinen, dass die Prinzipien des X-chromosomalen Targetings perfekt konserviert sind, also immer ähnlich ablaufen“, sagt Becker. „Zu unserer Überraschung stellten wir beim Vergleich der beiden Arten Drosophila melanogaster und Drosophila virilis aber fest, dass dies nicht der Fall ist.“ Zwar sind wesentliche Komponenten der Dosiskompensation – die Proteine MSL2 und CLAMP sowie das nicht kodierende RNA-Molekül roX – in beiden Drosophila-Stämmen vorhanden, sodass die Wissenschaftler davon ausgehen, dass auch der gemeinsame Urahn dieser Stämme sie schon besessen hat.

Aber seit sich die beiden Drosophila-Stämme vor rund 40 Millionen Jahren getrennt haben, kam es zu einer parallelen Evolution, in deren Zug sich diese Komponenten und ihre DNA-Bindungsstelle in unterschiedlicher Weise angepasst haben. In der Folge unterscheiden sich nun der relative Einfluss und das Zusammenspiel der einzelnen Komponenten. In D. melanogaster etwa haben sich auf dem X-Chromosom bestimmte Gensequenzen angereichert. Parallel dazu hat die DNA-Bindungsdomäne des MSL2-Proteins die Fähigkeit entwickelt, diese Sequenzen zu erkennen, die nun eine entscheidende Rolle bei der Identifizierung des X-Chromosoms spielen.

In D. virilis dagegen gibt es keine solchen angereicherten Sequenzen. Deshalb ist hier MSL2 stärker von der Kooperation mit dem CLAMP-Protein abhängig als bei D. melanogaster. Dieses Protein bindet aber auch sehr viele Sequenzen auf anderen Chromosomen. „Wir gehen davon aus, dass die nicht kodierende roX-RNA eine falsche Bindung verhindert“, sagt Becker. Damit haben die Forscher eine neue Rolle für diese RNA entdeckt, denn bisher gingen Wissenschaftler davon aus, dass roX nicht bereits bei der Sequenzerkennung von Bedeutung ist, sondern erst bei einem späteren Schritt der Kompensation.

Zudem ist für die Forscher auch der evolutionäre Aspekt ihrer Arbeit interessant: „Die alternativen, gleichwertigen Lösungen für das Problem der Balance des Genoms bei gleichzeitiger Diversifizierung der Geschlechtschromosomen machen anschaulich, dass Evolution nicht deterministisch ist“, sagt Becker.

Wissenschaftliche Ansprechpartner:

Prof. Dr. Peter Becker
Biomedizinisches Centrum München
Telefon: (089) 2180 75427
E-Mail: pbecker@med.uni-muenchen.de
https://www.bmc.med.uni-muenchen.de/forschung/forschungsbereiche/molecular_biolo…

Originalpublikation:

Divergent evolution towards sex chromosome-specific gene regulation in Drosophila
Raffaella Villa, Pravin Kumar Ankush Jagtap, Andreas W. Thomae, Aline Campos Sparr,
Ignasi Forné, Janosch Hennig, Tobias Straub and Peter B. Becker
Genes & Development 2021
http://genesdev.cshlp.org/content/early/2021/06/16/gad.348411.121.short?rss=1

Weitere Informationen:

https://www.lmu.de/de/newsroom/news-und-events/news/evolution-auf-verschiedenen-…

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