Faszinierende Einblicke ins Reparatursystem der Zelle

Kryo-EM zeigt verschiedene Vipp1-Strukturen: teppichartige Strukturen („Carpets“), Ringkomplexe („Stacked Ring Assembly“) und Röhren („Type I / Type II Tubes“).
(c) Forschungszentrum Jülich / Bendikt Junglas, Carsten Sachse

Die Membran, die Zellen in lebenden Organismen umgibt, ist äußerst flexibel und empfindlich. Wie sie sich vor Schäden schützt und erneuert, ist für viele Prozesse des Lebens entscheidend – und im Detail noch gar nicht vollständig verstanden. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler des Forschungszentrums Jülich konnten nun aber mithilfe der Kryo-Elektronenmikroskopie faszinierende neue Einblicke gewinnen.

So kann etwa das Membranprotein Vipp1, welches im Photosynthese-Apparat von Pflanzen, Algen und Bakterien vorkommt, verschiedene Strukturen ausbilden, die als Werkzeuge dienen könnten, um die Zellmembran zu stabilisieren und bei Bedarf zu verstärken.

In einer zweiten Studie konnten die Forschenden zudem neue Erkenntnisse über die Funktion des verwandten Proteins PspA erlangen, das in Bakterien zu finden ist. Beide Moleküle, Vipp1 und PspA, sind ungewöhnlich plastisch und können verschiedene Strukturen annehmen, und so Ringe und Röhren mit unterschiedlichen Durchmessern erzeugen.

Wissenschaftliches Ergebnis

Die Zellmembran hat zahlreiche wichtige Aufgaben: Sie schützt das Zellinnere vor der Umgebung, durch die Zellmembran werden gleichzeitig Nährstoffe aufgenommen, Abfallprodukte ausgeschieden und Signale zwischen Zellen weitergeleitet. Trotz ihrer zentralen Rolle ist die Zellmembran auch sehr empfindlich. Sie besteht aus einer dünnen Schicht von Lipiden, die zwar selbst schützen, aber auch anfällig für Belastungen durch physikalischen Druck und Dehnung oder auch chemische Einflüsse sind. Auch Umweltfaktoren wie UV-Strahlung oder Giftstoffe können die Membran schädigen.

In Pflanzenzellen kann beispielsweise intensives Licht die Membranen in den Chloroplasten, wo die Photosynthese stattfindet, stark belasten und sogar verletzen. Proteine wie Vipp1 sind deshalb essenziell für das Überleben der Zelle, da sie die Membranstrukturen schützen und bei Bedarf reparieren.

Wie genau der Mechanismus funktioniert, ist noch nicht vollständig verstanden. Dank der hochmodernen Kryo-Elektronenmikroskope am Jülicher Ernst Ruska-Centrum konnten die Forschenden nun jedoch neue Einblicke in die Interaktion zwischen Vipp1 und der Zellmembran gewinnen. Sie entdeckten, dass Vipp1 teppichartige Strukturen auf der Zellmembran ausbildet und sie damit stabilisieren. Darüber hinaus fanden sie Ringkomplexe und Röhren aus Vipp1 gefüllt mit Membran, die möglicherweise beschädigte Membranbereiche „abschnüren“ oder aber auch zwei getrennte Membranen miteinander verbinden können.

Gesellschaftliche und wissenschaftliche Relevanz

Die Arbeiten bieten neue Erkenntnisse zur Fähigkeit der Proteine Vipp1 und PspA, Zellmembranen zu verändern und so lebenswichtige Prozesse in den Zellen zu schützen. Diese Entdeckungen könnten in der Zukunft zur Entwicklung neuer biotechnologischer Anwendungen beitragen, wie etwa in der Herstellung von Biomaterialien oder der Optimierung der Photosynthese in Pflanzen. Vipp1 ist dabei besonders wichtig, da es an der Bildung und Instandhaltung der Thylakoidmembranen beteiligt ist – das sind Membranen in den Chloroplasten von Pflanzenzellen, an denen die Lichtreaktion der Photosynthese stattfindet, also die Umwandlung von Licht in chemische Energie.

Interessant ist dabei, dass der grundlegende Mechanismus hohe Ähnlichkeit zu den ESCRT-III Proteinen aufweist, die auch in menschlichen Zellen hochkonserviert sind – also im Laufe der Evolution im Wesentlichen unverändert geblieben sind, was auf eine wichtige Funktion hinweist. Daher könnte ein besseres Verständnis der Struktur und Funktion dieser Proteine zur Entwicklung neuer Medikamente wie beispielsweise Antibiotika führen, die auf die Prozesse in zellulären Membranen abzielen.

Weitere Details

In beiden Studien kamen hochmoderne Kryo-Elektronenmikroskope des Ernst Ruska-Centrums (ER-C) am Forschungszentrum Jülich zum Einsatz. Diese ermöglichten es den Forschenden, die Proteine in atomarer Auflösung zu untersuchen und in einer ungewöhnlich hohen Anzahl von strukturellen Zuständen sowie die Interaktionen zwischen den Proteinen und den Membranen zu beobachten. Die Arbeiten sind Teil einer seit Jahren etablierten Kooperation mit der Arbeitsgruppe von Prof. Dirk Schneider, Johannes Gutenberg-Universität Mainz.

Originalpublikation:

Structural basis for Vipp1 membrane binding: From loose coats and carpets to ring and rod assemblies
Benedikt Junglas, David Kartte, Mirka Kutzner, Nadja Hellmann, Ilona Ritter, Dirk Schneider, Carsten Sachse
Nat Struct Mol Biol (2024), DOI: 10.1038/s41594-024-01399-z
https://www.nature.com/articles/s41594-024-01399-z

Benedikt Junglas, Esther Hudina, Philipp Schönnenbeck, Ilona Ritter, Anja Heddier, Beatrix Santiago-Schübel, Pitter F. Huesgen, Dirk Schneider & Carsten Sachse
Structural plasticity of bacterial ESCRT-III protein PspA in higher-order assemblies
Nat Struct Mol Biol (2024), DOI: 10.1038/s41594-024-01359-7
https://doi.org/10.1038/s41594-024-01359-7

Weitere Informationen:

https://www.fz-juelich.de/de/aktuelles/news/highlights/2024/faszinierende-einbli… Meldung des Forschungszentrums Jülich

Media Contact

Dipl.-Biologin Annette Stettien Unternehmenskommunikation
Forschungszentrum Jülich

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