Forscher zeigen bei Plattwürmern und Zebrafischen: Jede Verletzung kann Geweberegeneration auslösen

Plattwürmer nach einer Kopfamputation. Bei einer erneuten Gewebewegnahme regenerierte sich der Kopf innerhalb von zwei Wochen vollständig (Mitte). Nach einer Schnittwunde genauso (rechts). S. Owlarn et al./Nature Communications

Manche Tiere sind von Natur aus zu etwas in der Lage, was für Menschen nur ein ersehntes Ziel ist: verlorene Körperteile wiederherzustellen. Um die Mechanismen hinter Regenerationsprozessen zu verstehen, untersuchen Wissenschaftler diese Tiere und beobachten dabei zwei Arten von Heilungsvorgängen:

Einige Wunden, zum Beispiel Schnitte in der Haut, heilen einfach zu – fehlen jedoch Gewebestücke oder sogar ganze Gliedmaße, setzt der Organismus komplizierte Prozesse zur Wiederherstellung des Körperteils in Gang. Bisher waren die meisten Forscher davon ausgegangen, dass die Signale für vollständige Regeneration nur aktiviert werden, wenn auch tatsächlich Gewebe fehlt.

Nun haben Forscher aus Münster und Ulm herausgefunden: Bei Plattwürmern und Zebrafischen lösen überraschenderweise alle Arten von Wunden grundsätzlich Signale aus, die einen Wiederherstellungsprozess anstoßen können. Beide zur Regeneration fähigen Tierarten starteten das entsprechende „Programm“ bei jeder Verletzung – auch wenn diese nur klein war und normalerweise nur einen Wundheilungsprozess auslösen würde.

Zum vollständigen Regenerationsprozess kam es dann aber letztendlich nur, wenn Gewebe fehlte. Die Forscher identifizierten dabei einen zellulären Kommunikationsweg, der den Tieren anzeigt, ob Gewebe verloren gegangen ist.

„Die Ergebnisse unserer Studie lassen uns hoffen, dass wir Wundsignale, die wahrscheinlich in allen Tieren und eventuell auch im Menschen bei einer Verletzung aktiviert werden, dazu benutzen können, den Heilungsprozess in einen Regenerationsprozess umzuwandeln“, sagt Dr. Kerstin Bartscherer, Gruppenleiterin am Exzellenzcluster „Cells in Motion“ der Universität Münster und am münsterschen Max-Planck-Institut für molekulare Biomedizin.

„Wenn man daher Verletzungen jeglicher Art mit Signalen versorgen könnte, die fehlendes Gewebe anzeigen, wäre das ein vielversprechender Ansatz für die regenerative Medizin“. Die Studie ist in der Fachzeitschrift „Nature Communications“ erschienen.

Die Geschichte im Detail:

Plattwürmer sind für Regenerationsbiologen von großem Interesse, weil sie die einzigartige Fähigkeit haben, jeden Teil ihres Körpers – sogar das Gehirn – in weniger als zwei Wochen wiederherzustellen. Unter den Wirbeltieren ist der Zebrafisch dazu in der Lage, schwer verletzte Gewebe und Organe zu ersetzen, zum Beispiel das Herz oder die Schwanzflosse. Dabei müssen alle Tiere mit regenerativen Fähigkeiten „entscheiden“, ob es notwendig ist, einen Wiederherstellungsprozess in Gang zu bringen. „Eine schon lange bestehende, grundlegende Frage ist, woher diese Tiere ,wissen‘, ob sie regenerieren oder lediglich heilen müssen“, sagt Erstautorin Dr. Suthira Owlarn, Biologin in der Arbeitsgruppe von Dr. Kerstin Bartscherer.

Um herauszufinden, ob unterschiedliche Verletzungen auch unterschiedliche Signale aussenden, arbeiteten die Wissenschaftler mit einem neuen Ansatz: Sie verhinderten zunächst die Fähigkeit von Plattwürmern, Regenerationsprozesse zu aktivieren, indem sie kurzzeitig ein Signalmolekül, die Extracellular regulated Kinase (ERK), hemmten. Dieses Enzym vermittelt einen wichtigen Signalweg, der verschiedene zelluläre Prozesse reguliert – unter anderem die Aktivierung der Regeneration, wie die Studie zeigte:

Nachdem die Forscher die Köpfe der manipulierten Plattwürmer amputiert hatten, heilten zwar die Wunden an den so entstandenen Schwanzfragmenten, diese bildeten aber keine neuen Köpfe aus. Als die Wissenschaftler jedoch erneut Gewebe entfernten, stellten die Plattwürmer ihre anfänglich verlorenen Köpfe ohne Probleme wieder her.

Der Clou: Auch wenn die Forscher nur Schnitte zufügten, die in den Plattwürmern normalerweise keinen Regenerationsprozess starten, entstanden neue, funktionstüchtige Köpfe. „Diese Ergebnisse zeigen, dass einfache Wunden das Vermögen haben, die Regeneration anzukurbeln. Der Prozess wird aber nur vervollständigt, wenn die Verletzung in einem Bereich liegt, in dem Gewebe fehlt“, sagt Suthira Owlarn.

Um zu testen, ob diese Ergebnisse auch auf andere Lebewesen übertragbar sind, arbeitete das Team eng mit Forschern um Prof. Gilbert Weidinger an der Universität Ulm zusammen, die ähnliche Versuche bei Zebrafischen durchführten. Die Wissenschaftler veränderten Fische genetisch, indem sie kurzzeitig die Aktivität bestimmter Signalproteine und damit die Regenerationsfähigkeit der Fische „ausschalteten“.

Die Folge: Nachdem die Wissenschaftler die Schwanzflossen der Fische amputiert hatten, heilten zwar die so entstandenen Wunden, die verlorenen Flossenteile wuchsen aber nicht wieder nach. Als die Forscher jedoch den unvollständigen Flossen einfache Hautverletzungen zufügten, ließen diese die amputierten Flossenteile ganz einfach wieder nachwachsen – die Knochen eingeschlossen. Das bestätigte die Annahme der Wissenschaftler: Auch bei Fischen werden Signale zur Wiederherstellung grundsätzlich nach Verwundungen ausgelöst, der Prozess kommt aber nur in Gang, wenn Gewebe fehlt.

Aber wie „weiß“ ein Tier, dass ihm Gewebe fehlt? Um das herauszufinden, legten die Wissenschaftler ihr Augenmerk auf das Protein Beta-Catenin, einem Aktivator des zellulären Wnt-Signalwegs. Dieses war bereits dafür bekannt, dass es Zellen anzeigt, welche Art von Körpergewebe nach Amputationen wiederhergestellt werden muss. Die Forscher untersuchten nun, welchen Effekt die Manipulation des Wnt- Signalwegs im Zusammenhang mit Schnittwunden hat. Sie veränderten die Aktivität des Proteins Beta-Catenin in den Plattwürmern und beobachteten: Kleine Schnittwunden ließen ihnen an diesen Stellen irrtümlich Köpfe wachsen. „Diese Ergebnisse lassen uns vermuten, dass der Wnt-Signalweg dafür verantwortlich ist, den Plattwürmern zu ,melden‘, ob Gewebe fehlt und Regeneration notwendig ist“, sagt Kerstin Bartscherer.

Ob und wann die Ergebnisse dieser Grundlagenforschung zu möglichen Anwendungen führen, ist derzeit nicht absehbar.

Die Studie erhielt finanzielle Unterstützung von der Max-Planck-Gesellschaft, der Deutschen Forschungsgemeinschaft und dem Europäischen Forschungsrat.

Originalpublikation:

Owlarn S, Klenner F, Schmidt D, Rabert F, Tomasso A, Reuter H, Mulaw MA, Moritz S, Gentile L, Weidinger G, Bartscherer K. Generic wound signals initiate regeneration in missing-tissue contexts. Nat Commun 2017;8: 2282; DOI: 10.1038/s41467-017-02338-x

Svenja Ronge
Exzellenzcluster „Cells in Motion“
Pressereferentin / Forschungsredakteurin
Tel: +49 251 83-49310
svenja.ronge@uni-muenster.de

https://www.uni-muenster.de/Cells-in-Motion/de/people/all/bartscherer-k.php Dr. Kerstin Bartscherer

Media Contact

Svenja Ronge idw - Informationsdienst Wissenschaft

Alle Nachrichten aus der Kategorie: Biowissenschaften Chemie

Der innovations-report bietet im Bereich der "Life Sciences" Berichte und Artikel über Anwendungen und wissenschaftliche Erkenntnisse der modernen Biologie, der Chemie und der Humanmedizin.

Unter anderem finden Sie Wissenswertes aus den Teilbereichen: Bakteriologie, Biochemie, Bionik, Bioinformatik, Biophysik, Biotechnologie, Genetik, Geobotanik, Humanbiologie, Meeresbiologie, Mikrobiologie, Molekularbiologie, Zellbiologie, Zoologie, Bioanorganische Chemie, Mikrochemie und Umweltchemie.

Zurück zur Startseite

Kommentare (0)

Schreiben Sie einen Kommentar

Neueste Beiträge

Spitzenforschung in der Bioprozesstechnik

Das IMC Krems University of Applied Sciences (IMC Krems) hat sich im Bereich Bioprocess Engineering (Bioprozess- oder Prozesstechnik) als Institution mit herausragender Expertise im Bereich Fermentationstechnologie etabliert. Unter der Leitung…

Datensammler am Meeresgrund

Neuer Messknoten vor Boknis Eck wurde heute installiert. In der Eckernförder Bucht, knapp zwei Kilometer vor der Küste, befindet sich eine der ältesten marinen Zeitserienstationen weltweit: Boknis Eck. Seit 1957…

Rotorblätter für Mega-Windkraftanlagen optimiert

Ein internationales Forschungsteam an der Fachhochschule (FH) Kiel hat die aerodynamischen Profile von Rotorblättern von Mega-Windkraftanlagen optimiert. Hierfür analysierte das Team den Übergangsbereich von Rotorblättern direkt an der Rotornabe, der…