Göttinger Forscher: Neuberechnung des Energieverbrauchs wirbelloser Tiere
Der Stoffwechsel (Metabolismus) ist der Prozess, der auf zellulärer Ebene Energie für alle biochemischen Prozesse liefert und damit auch die „Kosten“ des Lebens bedingt. Seit über hundert Jahren wird der Stoffwechsel von Tieren in Abhängigkeit von Körpermasse und Temperatur mit Potenzgesetzen beschrieben und berechnet.
Wissenschaftler der Universität Göttingen haben nun herausgefunden, dass Unterschiede in Körperbau, Ökologie und Physiologie bei wirbellosen Tieren diese Skalierung beeinflussen. Die Forscher der Abteilung für Systemische Naturschutzbiologie haben neue Gleichungen aufgestellt, mit denen der Energieverbrauch verschiedener wirbelloser Tiergruppen genauer berechnet werden kann. Wie sehr der Gesamtstoffwechsel vom Energiebedarf der einzelnen Zellen abhängt, ist damit kein universelles Gesetz, wie bisher angenommen, sondern muss für jede Tiergruppe individuell beantwortet werden. Die Ergebnisse der Forschungsarbeit sind in der Onlineausgabe der Fachzeitschrift Ecology Letters erschienen.
Der Energieverbrauch eines Organismus verläuft nicht proportional zur Anzahl seiner Zellen und damit auch nicht proportional zu seinem Gewicht. Obwohl jede Zelle einen eigenen Stoffwechsel hat, wird für den Gesamtstoffwechsel weniger Energie verbraucht, als für den „Betrieb“ der einzelnen Zellen eigentlich nötig wäre. Bei dieser sogenannten allometrischen Skalierung wird davon ausgegangen, dass der Gesamtstoffwechsel nicht genauso stark steigt wie die Körpermasse eines Organismus, sondern nur proportional zur Körpermasse hoch ¾ . Damit hat zum Beispiel ein Elefant, der etwa 200.000 mal schwerer ist als eine Maus, einen Stoffwechsel, der nur etwa 15.000 mal höher ist. Pro Gramm Körpergewicht ist der Stoffwechsel des Elefanten damit effizienter und sein metabolischer „Unterhalt“ des Lebens günstiger. Das Ganze (organismischer Metabolismus) weicht damit von der Summe der Teile (Zellmetabolismus) ab.
Metabolische Theorie beschäftigt sich mit den Gründen für diese Abweichung. Welche Strukturen im Organismus sind für diese höhere Effizienz des Stoffwechsels und damit für die Energieeinsparung verantwortlich? Und wie kann der Energieverbrauch von Tierarten exakt berechnet werden? Die große Mehrheit der metabolischen Daten stammt von Messungen an Wirbeltieren, die aber global betrachtet nur einen geringen Anteil an der Artenvielfalt ausmachen. Bisher blieb die Frage offen, ob sich die für Wirbeltiere entwickelten metabolischen Theorien auf die überwältigende Mehrheit von wirbellosen Arten im globalen Ökosystem anwenden lassen.
Die Forscher der Universität Göttingen haben über mehrere Jahre Messungen des Stoffwechsels von wirbellosen Arten (Invertebraten) durchgeführt. Die untersuchten Tiergruppen reichten dabei von kleinen Milben und Springschwänzen bis hin zu großen Regenwürmern, Spinnen und Käfern. Die Auswertung dieser bislang weltweit größten Datenbank zum Stoffwechsel von Invertebraten dokumentiert wesentliche Abweichungen von den bisherigen Modellen zum Energieverbrauch und liefert einen Einblick in die metabolischen Prozesse von wirbellosen Arten. Die Tiergruppen, die die Göttinger Forscher untersucht haben, weisen im Vergleich zu Wirbeltieren wesentlich größere Unterschiede in Aufbau und Struktur ihrer Körper auf. Wie die Studie dokumentiert, müssen diese körperlichen Unterschiede in Modellen zur Erklärung von metabolischer Skalierung berücksichtigt werden. Die Höhe der zum „Unterhalt“ des Organismus benötigten Energie ist also stark abhängig von der Körperarchitektur des Tieres, so das Fazit der Wissenschaftler.
Originalveröffentlichung: Roswitha Ehnes et al. Phylogenetic grouping, curvature and metabolic scaling in terrestrial invertebrates. Ecology Letters. DOI: 10.1111/j.1461-0248.2011.01660.x (2011).
Kontaktadresse:
Prof. Dr. Ulrich Brose
Georg-August-Universität Göttingen – Biologische Fakultät
Johann-Friedrich-Blumenbach-Institut für Zoologie und Anthropologie
Abteilung Systemische Naturschutzbiologie, Berliner Straße 28, 37073 Göttingen
Telefon (0551) 39-9738, Fax (0551) 39-5373, E-Mail: u.brose@gwdg.de
Media Contact
Weitere Informationen:
http://www.uni-goettingen.de/de/189430.htmlAlle Nachrichten aus der Kategorie: Biowissenschaften Chemie
Der innovations-report bietet im Bereich der "Life Sciences" Berichte und Artikel über Anwendungen und wissenschaftliche Erkenntnisse der modernen Biologie, der Chemie und der Humanmedizin.
Unter anderem finden Sie Wissenswertes aus den Teilbereichen: Bakteriologie, Biochemie, Bionik, Bioinformatik, Biophysik, Biotechnologie, Genetik, Geobotanik, Humanbiologie, Meeresbiologie, Mikrobiologie, Molekularbiologie, Zellbiologie, Zoologie, Bioanorganische Chemie, Mikrochemie und Umweltchemie.
Neueste Beiträge
Menschen vs Maschinen – Wer ist besser in der Spracherkennung?
Sind Menschen oder Maschinen besser in der Spracherkennung? Eine neue Studie zeigt, dass aktuelle automatische Spracherkennungssysteme (ASR) unter lauten Bedingungen eine bemerkenswerte Genauigkeit erreichen und manchmal sogar die menschliche Leistung…
Nicht in der Übersetzung verloren: KI erhöht Genauigkeit der Gebärdenspracherkennung
Zusätzliche Daten können helfen, subtile Gesten, Handpositionen und Gesichtsausdrücke zu unterscheiden Die Komplexität der Gebärdensprachen Gebärdensprachen wurden von Nationen weltweit entwickelt, um dem lokalen Kommunikationsstil zu entsprechen, und jede Sprache…
Brechen des Eises: Gletscherschmelze verändert arktische Fjordökosysteme
Die Regionen der Arktis sind besonders anfällig für den Klimawandel. Es mangelt jedoch an umfassenden wissenschaftlichen Informationen über die dortigen Umweltveränderungen. Forscher des Helmholtz-Zentrums Hereon haben nun an Fjordsystemen anorganische…