Hoffnung auf wirksame Medikamente für Patienten: TUM-Forscher sind Ursachen für Reizdarmsyndrom auf der Spur
Blähungen, Verstopfung oder Durchfall, Übelkeit oder Bauchkrämpfe – beim sogenannten „Reizdarmsyndrom“ wird die Verdauung zum Alptraum. Nicht selten kommen zum ständigen Toilettengang noch Schlafstörungen sowie Kopf- oder Rückenschmerzen. Allein in Deutschland leiden ca. 7 Millionen Menschen an dem Leiden – und daran, dass man ihr Reizdarmsyndrom oft für psychosomatisch hält.
Denn bislang ist der organische Auslöser der Krankheit unentdeckt, entsprechend enttäuschend sind die Therapieansätze für Patienten wie Ärzte. Das könnte sich bald ändern: Denn Biologen der TU München haben jetzt erstmals unsichtbare, körperliche Ursachen der tückischen Darmkrankheit dingfest gemacht.
Dem Forscherteam vom TUM-Lehrstuhl für Humanbiologie ist unter der Leitung von Prof. Michael Schemann jetzt der Nachweis geglückt, dass offenbar Mikroentzündungen in der Schleimhaut eine Sensibilisierung des Darmnervensystems auslösen und damit Ursache für das Reizdarmsyndrom sind. Mit ultraschnellen optischen Messverfahren konnten die Forscher nachweisen, dass Botenstoffe von Mastzellen und enterochromaffinen Zellen die Nervenzellen im Darm direkt aktivieren. Diese Überempfindlichkeit des Darmnervensystems bringt die Kommunikation zwischen Darmschleimhaut und -nervensystem durcheinander, so Projektleiter Prof. Schemann: „Die irritierte Darmschleimhaut setzt nun vermehrt neuroaktive Körpersubstanzen wie Serotonin, Histamin und Proteasen frei. Dieser körpereigene Cocktail könnte also die eigentliche Ursache der unangenehmen Reizdarm-Beschwerden sein.“
Die TUM-Humanbiologen verfolgen die heiße Spur bereits weiter. Sie untersuchen zur Zeit, inwieweit die Nervensensibilisierung mit der Schwere der Krankheitssymptome korreliert. In Zusammenarbeit mit Kollegen aus Amsterdam konnten sie bereits die klinische Relevanz ihrer Ergebnisse untermauern: Reizdarmsymptome verbesserten sich nach Behandlung mit einem Antihistaminikum, dessen immunstabilisierende Wirkung von der Behandlung allergischer Reaktionen wie z.B. Heuschnupfen bekannt ist. Die Wissenschaftler untersuchen nun im von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) geförderten Projekt, ob die Symptomverbesserung mit einer Normalisierung der Nervenaktivität einhergeht.
Mittelfristig ermöglicht die nun gelungene Identifizierung der aktiven Komponenten die Entwicklung wirksamer Medikamente gegen das Reizdarmsyndrom. Die TUM-Forscher haben aber schon jetzt vielen Reizdarm-Patienten Erleichterung verschafft: Denn sie konnten nachweisen, dass das chronische Leiden körperliche Ursachen hat und nicht etwa „eingebildet“ ist.
Kontakt:
Prof. Dr. Michael Schemann
Technische Universität München
Lehrstuhl für Humanbiologie
Hochfeldweg 2
85350 Freising-Weihenstephan
Telefon: 08161 / 71-5484
E-Mail: schemann@wzw.tum.de
http://www.wzw.tum.de/humanbiology/
Hintergrund:
Als federführende Autorin der Publikation in „Gastroenterology“ erhielt die wissenschaftliche Mitarbeiterin Dr. Sabine Bühner den mit 5.000 Euro dotierten Norgine Gastro Award, der für herausragende Forschungs- und Erkenntnisleistung im Bereich der Gastroenterologie verliehen wurde. Gefördert wird das Projekt „Pathophysiologie des Reizdarmsyndroms: Wirkung von Schleimhautbiopsie-Überständen von Reizdarmpatienten auf das enterische Nervensystem.“ durch Mittel der DFG.
Originalveröffentlichungen:
Buhner S, Li Q, Vignali S, Barbara G, De Giorgio R, Stanghellini V, Cremon C, Zeller F, Langer R, Daniel H, Michel K, Schemann M.: Activation of human enteric neurons by supernatants of colonic biopsy specimens from patients with irritable bowel syndrome. Gastroenterology. 2009 Oct;137(4):1425-34. (doi:10.1053/j.gastro.2009.07.005)
Klooker TK, Braak B, Koopman KE, Welting O, Wouters MM, van der Heide S, Schemann M, Bischoff SC, van den Wijngaard RM, Boeckxstaens GE.: The mast cell stabiliser ketotifen decreases visceral hypersensitivity and improves intestinal symptoms in patients with irritable bowel syndrome. Gut. Online vorab veröffentlicht unter http://gut.bmj.com (doi:10.1136/gut.2010.213108)
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