In Form bleiben
Bereits während der frühen Entwicklung eines Embryos nehmen viele Gewebe und Organe ihre endgültige Form an. Diese muss im Laufe des Wachstums eines Organismus beibehalten werden. Da die richtige Form eines Gewebes oft entscheidend ist für dessen Funktion, ist es wichtig zu verstehen, wie diese Form während des Wachstums unverändert bleibt.
Bislang ist über das Zusammenspiel von Zellen im Gewebe, welches das Wachstum bei gleichzeitiger Formstabilität ermöglicht, noch wenig bekannt. Wissenschaftler des Max-Planck-Instituts für molekulare Zellbiologie und Genetik (MPI-CBG) in Dresden haben nun gemeinsam mit Guillaume Salbreux vom Francis-Crick-Institut eine 3D-Studie über das Wachstum des Auges veröffentlicht.
Sie konnten zeigen, dass langgestreckte Zellen der Schlüssel dazu sind, dass das Netzhautgewebe eines Zebrafisches während des Wachstums seine Form beibehält. Dieses Konzept könnte auch auf andere Organismen zutreffen. Die Forscher präsentieren ihre Ergebnisse in der Fachzeitschrift PLOS Biology.
Eine wichtige Frage in der Biologie ist, wie sich Gewebe während der Entwicklung eines Organismus richtig formen und wachsen. Bei vielen Geweben bildet sich die Form sehr früh in der Entwicklung aus. Daher muss diese beibehalten werden, wenn das Gewebe wächst, ähnlich einem Ballon, dessen Form unverändert bleibt, wenn er aufgeblasen wird. Viele menschliche Gewebe, wie die Nase oder das Auge erlangen früh in der Entwicklung ihre Form.
Da solche Form eines Gewebes oder Organs oft entscheidend für dessen Funktion ist, ist es wichtig zu verstehen, wie zum Beispiel die winzige Nase eines Babys ihre Form während bis zum Erwachsenenalter bewahren kann. Bis jetzt ist noch wenig über das Wechselspiel von Zellen und Gewebe bekannt, welches diesem koordinierten Wachstum zugrunde liegt.
Bisherige Untersuchen betrachteten das Wachstum und die Form von Geweben vor allem zweidimensional. Eine dreidimensionale Betrachtung des Gewebewachstums ist allerdings notwendig, um Form und Größe vollständig zu erfassen.
Das Team um Forschungsgruppenleiterin Dr. Caren Norden am MPI-CBG in Zusammenarbeit mit Guillaume Salbreux, ehemals Mitarbeiter des Max-Planck-Instituts für Physik komplexer Systeme in Dresden und jetzt am Francis-Crick-Institut, machte sich auf die Suche nach Antworten auf diese wichtigen und spannenden Fragen. Dazu nutzten die Forscher und Forscherinnen die außergewöhnlich guten Bildgebungsverfahren, die es für den sich entwickelnden Zebrafisch bereits gibt.
Ein für diese Studie besonders geeignetes Gewebe ist das entstehende Auge, ein wichtiger Teil des zentralen Nervensystems, das schon früh in der Entwicklung eine Art Schale mit glatter Oberfläche bildet. Später bildet dieses entsteht hieraus, unter Beibehaltung der Form, ein Nervenzellgewebe, das die Lichtimpulse vom Auge an das Gehirn weiterleitet.
Für die Netzhaut ist es daher besonders wichtig, dass die Form während der Entwicklung beibehalten wird, damit das Licht gleichmäßig durch die Netzhaut dringen kann. Die Erstautorin der Studie, Dr. Marija Matejčić, erklärt: „Wir konnten zeigen, dass Zellen, die die Netzhaut bilden, sich in die Länge strecken müssen, um die Form des Gewebes beizubehalten, während es wächst. Die Netzhautzellen verlängern sich alle zusammen, nachdem sie gleichzeitig eine innere Komponente im Gewebe verteilt haben. Auf diese Weise bleiben die Zellen und das Gewebe in Bestform!“
Das Protein Aktin spielt dabei eine entscheidende Rolle: Eine Umverteilung von Aktin zum richtigen Zeitpunkt sorgt dafür, dass sich Zellen verlängern können. Wird die Aktin-Umverteilung dagegen blockiert, nimmt können sich Zellen nicht in die Länge strecken, was zu einem gefalteten Gewebe ähnlich einem geknültten Papier des anstatt sonst glatten Netzhautgewebes führt. Die Folge ist, dass das Auge nicht mehr korrekt funktioniert.
„Diese Studie ist ein wichtiges Beispiel dafür, wie das richtige Wachstum eines Gewebes durch die Veränderung der Zellen und deren Form erreicht wird“, sagt Dr. Caren Norden, die die Studie leitete. Das Konzept könnte auch bei anderen Organismen oder den immer beliebter werdenden Organoiden, angewendet werden. Dr. Norden fügt hinzu: „Die nächste Herausforderung besteht darin, die Untersuchungen auf Wachstumsphänomene in Organoidsystemen, das sind vereinfachte künstliche Miniatur-Organe, einschließlich menschlicher Organoide, auszudehnen. Das wird enorm zum Verständnis von Entwicklungsprogrammen, die in Organismen ablaufen beitragen.“
Caren Norden
+49 (0) 351 210 2802
norden@mpi-cbg.de
Marija Matejčić, Guillaume Salbreux, Caren Norden
A non-cell-autonomous actin redistribution enables isotropic retinal growth
PLoS Biol, August 10, 2018. https://doi.org/10.1371/journal.pbio.2006018
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