Insekten-Verdauungsenzym aktiviert zuckerhaltigen Pflanzenabwehrstoff

Eine Maikäfer-Larve knabbert an den Wurzeln ihrer Futterpflanze Löwenzahn.
(c) Dr. Meret Huber / WWU

Der Abbau von Pflanzenabwehrstoffen durch Insekten-Verdauungsenzyme kann die Vorliebe der Insekten für bestimmte Futterpflanzen beeinflussen, zeigt eine neue Studie nun erstmals. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler der Westfälischen Wilhelms-Universität (WWU) Münster, der Universität Bern (Schweiz) und des Max-Planck-Instituts für chemische Ökologie in Jena untersuchten dieses Phänomen bei Larven des Maikäfers und ihrer Futterpflanze Löwenzahn.

Pflanzen sind ihren Fraßfeinden nicht schutzlos ausgeliefert. Oft sorgen chemische Abwehrstoffe dafür, dass die Pflanzen ungenießbar oder sogar giftig sind und Insekten sowie andere hungrige Tiere einen Bogen um sie machen. Eine neue Studie zeigt nun erstmals, dass der Abbau von Pflanzenabwehrstoffen durch Insekten-Verdauungsenzyme die Vorliebe der Insekten für bestimmte Futterpflanzen beeinflussen kann.

Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler der Westfälischen Wilhelms-Universität (WWU) Münster, der Universität Bern (Schweiz) und des Max-Planck-Instituts für chemische Ökologie in Jena untersuchten dieses Phänomen bei Larven des Maikäfers (Melolontha melolontha) und ihrer Futterpflanze Löwenzahn (Taraxacum officinale).

Bei der Bekämpfung von Fraßfeinden nutzt der pflanzliche Organismus häufig einen chemischen Trick: Er bindet eine Zuckerkomponente an den Abwehrstoff und inaktiviert diesen so. Dadurch wird verhindert, dass die Substanz die Pflanze selbst schädigt. Erst wenn ein Fraßfeind an der Pflanze knabbert, wird die Zuckerkomponente entfernt. Folglich wird die Verbindung giftig oder abschreckend für den Angreifer. „Seltsamerweise entfernen einige Insekten bei der Verdauung auch selbst den Zuckeranteil der pflanzlichen Abwehrstoffe“, berichtet Biologin Dr. Meret Huber von der WWU Münster. „Welche Folgen dies für die Insekten und vor allem für ihr Verhalten hat, ist noch nicht genau bekannt.“

Ein Beispiel für eine zuckerhaltige Abwehrverbindung ist eine Substanz namens Taraxinsäure-β-D-Glucopyranosylester (TA-G), die der Löwenzahn in besonders hohen Konzentrationen in seinen Wurzeln anreichert. TA-G ist ein wichtiger Abwehrstoff des Löwenzahns, welcher die Larve des Maikäfers vom Fressen abschreckt.

Das Team um Dr. Meret Huber und Prof. Dr. Matthias Erb (Universität Bern) zeigte, dass die pH-Bedingungen im Darm des Maikäfers die Aktivität von Löwenzahnenzymen, die sonst den Zucker aus TA-G entfernen würden, hemmen. Stattdessen entfernt die Maikäferlarve den Zucker selbst, und zwar mithilfe eines Enzyms aus dem Darm, das zur Klasse der sogenannten Beta-Glucosidasen (zuckerspaltende Enzyme) gehört.

Indem die Forscher gleichzeitig die Produktion von TA-G und die Präsenz des Insektenenzyms durch biotechnologische Verfahren manipulierten, zeigten sie, dass die Insekten-Glucosidase das Wachstum der Larve auf TA-G haltigen Löwenzahnpflanzen fördert. Gleichzeitig führt die Abspaltung des Zuckers von TA-G zu einer Vermeidung von TA-G haltigen Löwenzahnpflanzen. „Somit konnten wir zum ersten Mal nachweisen, dass die Metabolisierung von Pflanzenabwehrstoffen durch Insekten-Verdauungsenzyme die Futterpflanzenwahl verändert“, unterstreicht Meret Huber. „Diese Erkenntnis ist wichtig, da die Wahl der Wirtspflanze von zentraler Bedeutung für die Verteilung pflanzenfressender Insekten ist und somit großen Einfluss auf den verursachten Schaden hat.“

Warum die Abspaltung des Zuckers das Wachstum der Maikäferlarve erhöht, aber gleichzeitig die Larve abschreckt, ist eine der offenen Fragen. Möglicherweise hilft dieses Vermeidungsverhalten der Larve, die Seitenwurzeln der Pflanze zu finden. Diese hat eine niedrigere TA-G-Konzentration, aber einen höheren Nährstoffgehalt als die Hauptwurzeln.

Für ihre Studien setzten die Wissenschaftler unterschiedliche Methoden der chemischen Analytik und der Biotechnologie ein. Außerdem führten sie sogenannte Bioassays durch, um die Auswirkungen von TA-G auf die Wahl der Futterpflanzen durch die Larven zu untersuchen. Die Ergebnisse sollen dabei helfen, das Verständnis der Wechselwirkungen zwischen Pflanzen und ihren Konsumenten zu verbessern. Zukünftige Studien in verschiedenen Systemen könnten es ermöglichen, Medikamente oder Schädlingsbekämpfungsmittel zu entwickeln, die nur in Anwesenheit bestimmter art- oder umweltspezifischer Bedingungen aktiviert werden.

Die Arbeit erhielt finanzielle Unterstützung durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft, durch den Schweizerischen Nationalfond sowie durch das siebte Forschungsrahmenprogramm der Europäischen Kommission.

Wissenschaftliche Ansprechpartner:

Dr. Meret Huber
AG Plant Defense Evolution
Institut für Biologie und Biotechnologie der Pflanzen
Westfälische Wilhelms-Universität Münster
Tel: (+49) (0)251 83 23476
E-Mail: huberm@uni-muenster.de

Originalpublikation:

Meret Huber et al. (2021): A beta-glucosidase of an insect herbivore determines both toxicity and deterrence of a dandelion defense metabolite. eLife 2021;10:e68642; doi: 10.7554/eLife.68642

https://www.uni-muenster.de/news/view.php?cmdid=12103

Media Contact

Dr. Christina Hoppenbrock Stabsstelle Kommunikation und Öffentlichkeitsarbeit
Westfälische Wilhelms-Universität Münster

Alle Nachrichten aus der Kategorie: Biowissenschaften Chemie

Der innovations-report bietet im Bereich der "Life Sciences" Berichte und Artikel über Anwendungen und wissenschaftliche Erkenntnisse der modernen Biologie, der Chemie und der Humanmedizin.

Unter anderem finden Sie Wissenswertes aus den Teilbereichen: Bakteriologie, Biochemie, Bionik, Bioinformatik, Biophysik, Biotechnologie, Genetik, Geobotanik, Humanbiologie, Meeresbiologie, Mikrobiologie, Molekularbiologie, Zellbiologie, Zoologie, Bioanorganische Chemie, Mikrochemie und Umweltchemie.

Zurück zur Startseite

Kommentare (0)

Schreiben Sie einen Kommentar

Neueste Beiträge

Größte bisher bekannte magnetische Anisotropie eines Moleküls gemessen

An der Berliner Synchrotronstrahlungsquelle BESSY II ist es gelungen, die größte magnetische Anisotropie eines einzelnen Moleküls zu bestimmen, die jemals experimentell gemessen wurde. Je größer diese Anisotropie ist, desto besser…

Tsunami-Frühwarnsystem im Indischen Ozean

20 Jahre nach der Tsunami-Katastrophe… Dank des unter Federführung des GFZ von 2005 bis 2008 entwickelten Frühwarnsystems GITEWS ist heute nicht nur der Indische Ozean besser auf solche Naturgefahren vorbereitet….

Resistente Bakterien in der Ostsee

Greifswalder Publikation in npj Clean Water. Ein Forschungsteam des Helmholtz-Instituts für One Health (HIOH) hat die Verbreitung und Eigenschaften von antibiotikaresistenten Bakterien in der Ostsee untersucht. Die Ergebnisse ihrer Arbeit…